Freilich lässt sich nicht leugnen, dass uns namentlich bei ei- nem Blicke auf die litterarischen Hülfsmittel, welche uns zur Bestimmung unseres Urtheils über die Künstler dieser Periode vorliegen, ein Gefühl der Unsicherheit beschleichen muss: so dürftig sind sie im Vergleich zu denen der früheren Zeit. Plinius sagt geradezu: "Nach der 121sten Olympiade hörte die Kunst auf und gewann erst in der 156sten Olympiade neues Leben." Dies ist nun freilich nicht streng richtig, selbst wenn wir es nur vom Erzguss verstehen wollen, auf den es sich zunächst bezieht. Doch aber verlohnt es sich, nach den Gründen zu fragen, welche Plinius zu einem solchen Aus- spruche veranlassen mochten. Sie sind, wie mir scheint, dop- pelter Art und eben so wohl in der Geschichte der Litteratur, als der Kunst zu suchen. Was die Griechen über Kunstwerke und Künstler geschrieben, fällt zum grössten Theile gerade in den von Plinius angegebenen Zeitabschnitt; die Künstler selbst betheiligten sich mehrfach an dieser Art Schriftstellerei. Der Zeitgenossen wird aber, wie noch heute in neueren Kunst- geschichten, auch damals kaum Erwähnung geschehen sein. Die 121ste Olympiade mochte von einem oder einigen Schrift- stellern aus einem uns nicht näher bekannten Grunde zum Schlusspunkte gewählt worden sein. Dass Plinius dann in der 156sten Ol. einen neuen Anfangspunkt findet, hat seinen Grund in der Kunstschriftstellerei, die sich im letzten Jahr- hundert der Republik in Rom entwickelte. Denn diese Olym- piade bezeichnet in runder Zahl den Zeitpunkt, in welchem die griechische Kunst in Rom zu einer unbestrittenen Herr- schaft gelangte. Während also die römischen Auctoren die älteren Epochen nach den griechischen Darstellungen aus der Diadochenzeit behandeln mochten, über diese selbst aber ihnen nicht ähnliche Hülfsmittel zu Gebote standen, fanden sie für die ihnen zunächst liegende Zeit die Quellen in Rom selbst. Wie aber z. B. gerade in unseren Tagen der sogenannten Zopfzeit eine geringere Aufmerksamkeit zugewendet wird, so mochte auch in Rom bei dem vielfach sichtbaren Streben, sich an die ältere, höchste Entwickelung der Kunst anzu- schliessen, die Kunst unter den Diadochen vielleicht absicht- lich weniger geachtet und geschätzt werden, wenigstens von bestimmten Schulen und Kunstrichtern, welche durch Theore- tisiren zu einem gewissen Purismus geführt worden waren. --
Freilich lässt sich nicht leugnen, dass uns namentlich bei ei- nem Blicke auf die litterarischen Hülfsmittel, welche uns zur Bestimmung unseres Urtheils über die Künstler dieser Periode vorliegen, ein Gefühl der Unsicherheit beschleichen muss: so dürftig sind sie im Vergleich zu denen der früheren Zeit. Plinius sagt geradezu: „Nach der 121sten Olympiade hörte die Kunst auf und gewann erst in der 156sten Olympiade neues Leben.” Dies ist nun freilich nicht streng richtig, selbst wenn wir es nur vom Erzguss verstehen wollen, auf den es sich zunächst bezieht. Doch aber verlohnt es sich, nach den Gründen zu fragen, welche Plinius zu einem solchen Aus- spruche veranlassen mochten. Sie sind, wie mir scheint, dop- pelter Art und eben so wohl in der Geschichte der Litteratur, als der Kunst zu suchen. Was die Griechen über Kunstwerke und Künstler geschrieben, fällt zum grössten Theile gerade in den von Plinius angegebenen Zeitabschnitt; die Künstler selbst betheiligten sich mehrfach an dieser Art Schriftstellerei. Der Zeitgenossen wird aber, wie noch heute in neueren Kunst- geschichten, auch damals kaum Erwähnung geschehen sein. Die 121ste Olympiade mochte von einem oder einigen Schrift- stellern aus einem uns nicht näher bekannten Grunde zum Schlusspunkte gewählt worden sein. Dass Plinius dann in der 156sten Ol. einen neuen Anfangspunkt findet, hat seinen Grund in der Kunstschriftstellerei, die sich im letzten Jahr- hundert der Republik in Rom entwickelte. Denn diese Olym- piade bezeichnet in runder Zahl den Zeitpunkt, in welchem die griechische Kunst in Rom zu einer unbestrittenen Herr- schaft gelangte. Während also die römischen Auctoren die älteren Epochen nach den griechischen Darstellungen aus der Diadochenzeit behandeln mochten, über diese selbst aber ihnen nicht ähnliche Hülfsmittel zu Gebote standen, fanden sie für die ihnen zunächst liegende Zeit die Quellen in Rom selbst. Wie aber z. B. gerade in unseren Tagen der sogenannten Zopfzeit eine geringere Aufmerksamkeit zugewendet wird, so mochte auch in Rom bei dem vielfach sichtbaren Streben, sich an die ältere, höchste Entwickelung der Kunst anzu- schliessen, die Kunst unter den Diadochen vielleicht absicht- lich weniger geachtet und geschätzt werden, wenigstens von bestimmten Schulen und Kunstrichtern, welche durch Theore- tisiren zu einem gewissen Purismus geführt worden waren. —
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[504/0517]
Freilich lässt sich nicht leugnen, dass uns namentlich bei ei-
nem Blicke auf die litterarischen Hülfsmittel, welche uns zur
Bestimmung unseres Urtheils über die Künstler dieser Periode
vorliegen, ein Gefühl der Unsicherheit beschleichen muss: so
dürftig sind sie im Vergleich zu denen der früheren Zeit.
Plinius sagt geradezu: „Nach der 121sten Olympiade hörte die
Kunst auf und gewann erst in der 156sten Olympiade neues
Leben.” Dies ist nun freilich nicht streng richtig, selbst wenn
wir es nur vom Erzguss verstehen wollen, auf den es sich
zunächst bezieht. Doch aber verlohnt es sich, nach den
Gründen zu fragen, welche Plinius zu einem solchen Aus-
spruche veranlassen mochten. Sie sind, wie mir scheint, dop-
pelter Art und eben so wohl in der Geschichte der Litteratur,
als der Kunst zu suchen. Was die Griechen über Kunstwerke
und Künstler geschrieben, fällt zum grössten Theile gerade
in den von Plinius angegebenen Zeitabschnitt; die Künstler
selbst betheiligten sich mehrfach an dieser Art Schriftstellerei.
Der Zeitgenossen wird aber, wie noch heute in neueren Kunst-
geschichten, auch damals kaum Erwähnung geschehen sein.
Die 121ste Olympiade mochte von einem oder einigen Schrift-
stellern aus einem uns nicht näher bekannten Grunde zum
Schlusspunkte gewählt worden sein. Dass Plinius dann in der
156sten Ol. einen neuen Anfangspunkt findet, hat seinen
Grund in der Kunstschriftstellerei, die sich im letzten Jahr-
hundert der Republik in Rom entwickelte. Denn diese Olym-
piade bezeichnet in runder Zahl den Zeitpunkt, in welchem
die griechische Kunst in Rom zu einer unbestrittenen Herr-
schaft gelangte. Während also die römischen Auctoren die
älteren Epochen nach den griechischen Darstellungen aus der
Diadochenzeit behandeln mochten, über diese selbst aber ihnen
nicht ähnliche Hülfsmittel zu Gebote standen, fanden sie für
die ihnen zunächst liegende Zeit die Quellen in Rom selbst.
Wie aber z. B. gerade in unseren Tagen der sogenannten
Zopfzeit eine geringere Aufmerksamkeit zugewendet wird, so
mochte auch in Rom bei dem vielfach sichtbaren Streben,
sich an die ältere, höchste Entwickelung der Kunst anzu-
schliessen, die Kunst unter den Diadochen vielleicht absicht-
lich weniger geachtet und geschätzt werden, wenigstens von
bestimmten Schulen und Kunstrichtern, welche durch Theore-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/517>, abgerufen am 24.11.2024.
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