schen Auffassung den Meistern älterer Zeit entschieden nach, so wird doch der Mangel dieser Eigenschaften, wenn auch nicht durchaus gehoben, doch bedeutend gemildert durch ein gewaltiges, auf den umfassendsten Studien beruhendes künst- lerisches Wissen. Auf der Anerkennung dieser Eigenschaft beruht aber in letzter Instanz auch die Entscheidung über die Entstehungszeit der Gruppe. Sie erklärt sich nicht nur in der Zeit der Diadochen, sondern sie erscheint geradezu als das naturgemässe, nothwendige Resultat, als die Frucht aller früheren Entwickelungsstufen. In der römischen Kaiserzeit würde sie eine Anomalie, wenn nicht geradezu unerklärlich sein. Wer die Gruppe in diese späte Zeit versetzen will, dem liegt es ob, diese Schwierigkeit zu lösen und thatsäch- lich nachzuweisen, dass damals wenigstens Aehnliches in Technik, in Form, in Composition und Erfindung geleistet worden ist. Halten wir uns zunächst an dasjenige, was, wie wir später sehen werden, uns die Künstlergeschichte lehrt, so lässt sich kühn die Behauptung wagen, dass etwas Aehn- liches damals nicht einmal versucht worden ist. Dagegen hat uns das Geschick, welches uns hinsichtlich der positiven Zeug- nisse über die Zeit des Laokoon so kärglieh bedacht hat, noch ein anderes Werk der rhodischen Schule in der alexandrini- schen Epoche erhalten, welches als demselben Geiste, dersel- ben Kunstrichtung entsprossen anerkannt werden muss und daher als eine schlagende Analogie auch für die Erörterungen über den Laokoon von hoher Wichtigkeit ist, nemlich die un- ter dem Namen des farnesischen Stiers bekannte Mar- morgruppe im Museum von Neapel. Plinius1) führt sie unter den Werken im Besitze des Asinius Pollio mit folgenden Wor- ten an: "Zethos und Amphion und Dirke und der Stier nebst dem Lamm aus demselben Blocke, von Rhodos nach Rom ver- setzte Werke des Apollonios und Tauriskos." Hier ist also die Frage nach der etwaigen Entstehung des Werkes in der römischen Zeit von vorn herein abgeschnitten: denn es be- fand sich bereits in der augusteischen Epoche in Rom, nach- dem es schon früher in Rhodos aufgestellt gewesen war.
Es würde gewiss lehrreich sein, die Analogie des Stieres mit dem Laokoon bis in die Einzelnheiten der Technik und der
1) 36, 34.
schen Auffassung den Meistern älterer Zeit entschieden nach, so wird doch der Mangel dieser Eigenschaften, wenn auch nicht durchaus gehoben, doch bedeutend gemildert durch ein gewaltiges, auf den umfassendsten Studien beruhendes künst- lerisches Wissen. Auf der Anerkennung dieser Eigenschaft beruht aber in letzter Instanz auch die Entscheidung über die Entstehungszeit der Gruppe. Sie erklärt sich nicht nur in der Zeit der Diadochen, sondern sie erscheint geradezu als das naturgemässe, nothwendige Resultat, als die Frucht aller früheren Entwickelungsstufen. In der römischen Kaiserzeit würde sie eine Anomalie, wenn nicht geradezu unerklärlich sein. Wer die Gruppe in diese späte Zeit versetzen will, dem liegt es ob, diese Schwierigkeit zu lösen und thatsäch- lich nachzuweisen, dass damals wenigstens Aehnliches in Technik, in Form, in Composition und Erfindung geleistet worden ist. Halten wir uns zunächst an dasjenige, was, wie wir später sehen werden, uns die Künstlergeschichte lehrt, so lässt sich kühn die Behauptung wagen, dass etwas Aehn- liches damals nicht einmal versucht worden ist. Dagegen hat uns das Geschick, welches uns hinsichtlich der positiven Zeug- nisse über die Zeit des Laokoon so kärglieh bedacht hat, noch ein anderes Werk der rhodischen Schule in der alexandrini- schen Epoche erhalten, welches als demselben Geiste, dersel- ben Kunstrichtung entsprossen anerkannt werden muss und daher als eine schlagende Analogie auch für die Erörterungen über den Laokoon von hoher Wichtigkeit ist, nemlich die un- ter dem Namen des farnesischen Stiers bekannte Mar- morgruppe im Museum von Neapel. Plinius1) führt sie unter den Werken im Besitze des Asinius Pollio mit folgenden Wor- ten an: „Zethos und Amphion und Dirke und der Stier nebst dem Lamm aus demselben Blocke, von Rhodos nach Rom ver- setzte Werke des Apollonios und Tauriskos.” Hier ist also die Frage nach der etwaigen Entstehung des Werkes in der römischen Zeit von vorn herein abgeschnitten: denn es be- fand sich bereits in der augusteischen Epoche in Rom, nach- dem es schon früher in Rhodos aufgestellt gewesen war.
Es würde gewiss lehrreich sein, die Analogie des Stieres mit dem Laokoon bis in die Einzelnheiten der Technik und der
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schen Auffassung den Meistern älterer Zeit entschieden nach,
so wird doch der Mangel dieser Eigenschaften, wenn auch
nicht durchaus gehoben, doch bedeutend gemildert durch ein
gewaltiges, auf den umfassendsten Studien beruhendes künst-
lerisches Wissen. Auf der Anerkennung dieser Eigenschaft
beruht aber in letzter Instanz auch die Entscheidung über die
Entstehungszeit der Gruppe. Sie erklärt sich nicht nur in der
Zeit der Diadochen, sondern sie erscheint geradezu als das
naturgemässe, nothwendige Resultat, als die Frucht aller
früheren Entwickelungsstufen. In der römischen Kaiserzeit
würde sie eine Anomalie, wenn nicht geradezu unerklärlich
sein. Wer die Gruppe in diese späte Zeit versetzen will,
dem liegt es ob, diese Schwierigkeit zu lösen und thatsäch-
lich nachzuweisen, dass damals wenigstens Aehnliches in
Technik, in Form, in Composition und Erfindung geleistet
worden ist. Halten wir uns zunächst an dasjenige, was, wie
wir später sehen werden, uns die Künstlergeschichte lehrt,
so lässt sich kühn die Behauptung wagen, dass etwas Aehn-
liches damals nicht einmal versucht worden ist. Dagegen hat
uns das Geschick, welches uns hinsichtlich der positiven Zeug-
nisse über die Zeit des Laokoon so kärglieh bedacht hat, noch
ein anderes Werk der rhodischen Schule in der alexandrini-
schen Epoche erhalten, welches als demselben Geiste, dersel-
ben Kunstrichtung entsprossen anerkannt werden muss und
daher als eine schlagende Analogie auch für die Erörterungen
über den Laokoon von hoher Wichtigkeit ist, nemlich die un-
ter dem Namen des farnesischen Stiers bekannte Mar-
morgruppe im Museum von Neapel. Plinius 1) führt sie unter
den Werken im Besitze des Asinius Pollio mit folgenden Wor-
ten an: „Zethos und Amphion und Dirke und der Stier nebst
dem Lamm aus demselben Blocke, von Rhodos nach Rom ver-
setzte Werke des Apollonios und Tauriskos.” Hier ist also
die Frage nach der etwaigen Entstehung des Werkes in der
römischen Zeit von vorn herein abgeschnitten: denn es be-
fand sich bereits in der augusteischen Epoche in Rom, nach-
dem es schon früher in Rhodos aufgestellt gewesen war.
Es würde gewiss lehrreich sein, die Analogie des Stieres
mit dem Laokoon bis in die Einzelnheiten der Technik und der
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/508>, abgerufen am 24.11.2024.
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