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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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ler der besten römischen Zeit scheinen anders gefühlt zu ha-
ben. Denn, wie mich dünkt, zeigt sich gerade deshalb, weil
in diesem und ähnlichen Werken die Grenze des Möglichen
erreicht war, sofort mit dem Uebersiedeln der griechischen
Kunst nach Rom eine umfangreiche, aber in vieler Hinsicht
völlig naturgemässe Reaction.

In der Technik hatten gewiss die Früheren durch lange
Uebung geleistet, was selbst der verfeinertste Kunstge-
schmack zu fordern vermochte. Dennoch gelang es den rho-
dischen Künstlern, ihre Vorgänger noch zu überbieten, da-
durch dass sie die Kunst der Technik zu derjenigen Virtuosi-
tät ausbildeten, welche eine bestimmte Wirkung gerade durch
Beschränkung auf wenige Mittel, aber durch eine um so si-
cherere Handhabung derselben zu erreichen weiss. Auf diese
Weise aber geschieht es, dass die Technik, während sie frü-
her nie aufgehört hatte, Mittel zu höheren Zwecken zu sein,
jetzt Ansprüche auf selbstständige Geltung erheben muss,
welche dem echten Kunstwerke fremd sind. Ebenso verhält
es sich mit der Behandlung der Form. Noch Aristoteles
scheint keinen bestimmten Begriff von der Natur des Muskels
gehabt zu haben, er spricht von Fleisch im Allgemeinen.
Am Laokoon erscheinen die Muskeln zum Theil so scharf ge-
schieden, so in ihrer Vereinzelung wirkend, dass zu solcher
Darstellung blosse Beobachtung der lebendigen Natur nicht
mehr genügen konnte, sondern ein bestimmtes Wissen nöthig
wurde; und es ist daher gewiss kein zufälliges Zusammen-
treffen, dass gerade in der Diadochenzeit, in welche wir den
Laokoon setzen, das eigentlich anatomische Studium des
menschlichen Körpers beginnt1). In einer Epoche der Gelehr-
samkeit, wie die alexandrinische war, konnte natürlich eine
gelehrte Behandlung des menschlichen Körpers in der Kunst
ihre Wirkung nicht verfehlen. -- In der Gruppirung lässt
sich das Streben nicht verkennen, möglichst viele Motive in
einen kleinen Raum, in eine eng geschlossene Einheit zu-
sammenzudrängen. Die frühere mehr epische Auffassung,
welche alles Einzelne klar auseinander zu legen sucht, weicht
der dramatischen, in welcher die ganze Handlung, wie sie
sich entwickelt hat und noch ferner entwickeln soll, in einen

1) C. F. Hermann Stud. d. griech. Künstl. S. 34.

ler der besten römischen Zeit scheinen anders gefühlt zu ha-
ben. Denn, wie mich dünkt, zeigt sich gerade deshalb, weil
in diesem und ähnlichen Werken die Grenze des Möglichen
erreicht war, sofort mit dem Uebersiedeln der griechischen
Kunst nach Rom eine umfangreiche, aber in vieler Hinsicht
völlig naturgemässe Reaction.

In der Technik hatten gewiss die Früheren durch lange
Uebung geleistet, was selbst der verfeinertste Kunstge-
schmack zu fordern vermochte. Dennoch gelang es den rho-
dischen Künstlern, ihre Vorgänger noch zu überbieten, da-
durch dass sie die Kunst der Technik zu derjenigen Virtuosi-
tät ausbildeten, welche eine bestimmte Wirkung gerade durch
Beschränkung auf wenige Mittel, aber durch eine um so si-
cherere Handhabung derselben zu erreichen weiss. Auf diese
Weise aber geschieht es, dass die Technik, während sie frü-
her nie aufgehört hatte, Mittel zu höheren Zwecken zu sein,
jetzt Ansprüche auf selbstständige Geltung erheben muss,
welche dem echten Kunstwerke fremd sind. Ebenso verhält
es sich mit der Behandlung der Form. Noch Aristoteles
scheint keinen bestimmten Begriff von der Natur des Muskels
gehabt zu haben, er spricht von Fleisch im Allgemeinen.
Am Laokoon erscheinen die Muskeln zum Theil so scharf ge-
schieden, so in ihrer Vereinzelung wirkend, dass zu solcher
Darstellung blosse Beobachtung der lebendigen Natur nicht
mehr genügen konnte, sondern ein bestimmtes Wissen nöthig
wurde; und es ist daher gewiss kein zufälliges Zusammen-
treffen, dass gerade in der Diadochenzeit, in welche wir den
Laokoon setzen, das eigentlich anatomische Studium des
menschlichen Körpers beginnt1). In einer Epoche der Gelehr-
samkeit, wie die alexandrinische war, konnte natürlich eine
gelehrte Behandlung des menschlichen Körpers in der Kunst
ihre Wirkung nicht verfehlen. — In der Gruppirung lässt
sich das Streben nicht verkennen, möglichst viele Motive in
einen kleinen Raum, in eine eng geschlossene Einheit zu-
sammenzudrängen. Die frühere mehr epische Auffassung,
welche alles Einzelne klar auseinander zu legen sucht, weicht
der dramatischen, in welcher die ganze Handlung, wie sie
sich entwickelt hat und noch ferner entwickeln soll, in einen

1) C. F. Hermann Stud. d. griech. Künstl. S. 34.
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[493/0506] ler der besten römischen Zeit scheinen anders gefühlt zu ha- ben. Denn, wie mich dünkt, zeigt sich gerade deshalb, weil in diesem und ähnlichen Werken die Grenze des Möglichen erreicht war, sofort mit dem Uebersiedeln der griechischen Kunst nach Rom eine umfangreiche, aber in vieler Hinsicht völlig naturgemässe Reaction. In der Technik hatten gewiss die Früheren durch lange Uebung geleistet, was selbst der verfeinertste Kunstge- schmack zu fordern vermochte. Dennoch gelang es den rho- dischen Künstlern, ihre Vorgänger noch zu überbieten, da- durch dass sie die Kunst der Technik zu derjenigen Virtuosi- tät ausbildeten, welche eine bestimmte Wirkung gerade durch Beschränkung auf wenige Mittel, aber durch eine um so si- cherere Handhabung derselben zu erreichen weiss. Auf diese Weise aber geschieht es, dass die Technik, während sie frü- her nie aufgehört hatte, Mittel zu höheren Zwecken zu sein, jetzt Ansprüche auf selbstständige Geltung erheben muss, welche dem echten Kunstwerke fremd sind. Ebenso verhält es sich mit der Behandlung der Form. Noch Aristoteles scheint keinen bestimmten Begriff von der Natur des Muskels gehabt zu haben, er spricht von Fleisch im Allgemeinen. Am Laokoon erscheinen die Muskeln zum Theil so scharf ge- schieden, so in ihrer Vereinzelung wirkend, dass zu solcher Darstellung blosse Beobachtung der lebendigen Natur nicht mehr genügen konnte, sondern ein bestimmtes Wissen nöthig wurde; und es ist daher gewiss kein zufälliges Zusammen- treffen, dass gerade in der Diadochenzeit, in welche wir den Laokoon setzen, das eigentlich anatomische Studium des menschlichen Körpers beginnt 1). In einer Epoche der Gelehr- samkeit, wie die alexandrinische war, konnte natürlich eine gelehrte Behandlung des menschlichen Körpers in der Kunst ihre Wirkung nicht verfehlen. — In der Gruppirung lässt sich das Streben nicht verkennen, möglichst viele Motive in einen kleinen Raum, in eine eng geschlossene Einheit zu- sammenzudrängen. Die frühere mehr epische Auffassung, welche alles Einzelne klar auseinander zu legen sucht, weicht der dramatischen, in welcher die ganze Handlung, wie sie sich entwickelt hat und noch ferner entwickeln soll, in einen 1) C. F. Hermann Stud. d. griech. Künstl. S. 34.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/506>, abgerufen am 24.11.2024.