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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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der sich durchaus darauf beschränkt, das naturgemässe Wal-
ten der Kräfte der Bewegung zu verkörpern. Denn es liesse
sich unschwer nachweisen, wie hier jede Falte des Gewandes
durch das Grundmotiv der gesammten Bewegung, durch die
Natur des Stoffes, und durch die Körperform, von welcher sie
sich ablöst, ihre bestimmte Gestalt mit Nothwendigkeit erhal-
ten hat. So musste es auch bei der Maenade des Skopas sein,
wenn die den ganzen Körper durchglühende bacchantische Ra-
serei vom Beschauer recht eindringlich empfunden werden
sollte. -- Nach einer anderen Richtung gewähren uns für die
Beurtheilung des künstlerischen Wissens bei Skopas seine
Meergötter Belehrung. Wir können unter dieser Gattung von
Bildungen drei verschiedene Klassen mit Leichtigkeit unter-
scheiden. Die erste hat volle menschliche Gestalt bewahrt und
die Natur des Meeres zeigt sich einzig in dem geistigen Aus-
drucke. Die zweite besteht aus förmlichen Doppelgestalten,
welche aus Theilen von Menschen und Thieren zusammenge-
setzt sind. Zwischen ihnen steht eine dritte Art, bei welcher
der menschliche Körper in allen wesentlichen Theilen beibe-
halten ist, und nur an der Oberfläche, der Haut, sich hie und
da ein Uebergang in Formen des Thier- oder Pflanzenreiches
offenbart. Die Gesetze dieser Bildungen zu erörtern, ist hier
nicht der Ort. Aber schon die Beobachtung, dass sie etwas
Gesetzmässiges, nichts rein Willkürliches sind, kann uns dar-
über belehren, in wie tiefer und eindringender Weise Skopas
sich der Erforschung und Beobachtung der Natur hingegeben
haben musste. -- Die Vortrefflichkeit seiner Marmortechnik
wird nur einmal bei Gelegenheit des wehenden Haares der
Maenade von Callistratus erwähnt, bei welchem die Angabe der
Farbe an der todten Ziege auch eine Hindeutung auf die Be-
malung des Steines zu enthalten scheint. Welchen Einfluss
endlich die Bevorzugung des Marmors vor der Bronze auf die
ganze Behandlung der Formen, namentlich aber der Oberfläche
der Körper gewinnen musste, werden wir in den Untersuchungen
über Praxiteles ausführlicher darzulegen Veranlassung haben.

Praxiteles.

Das Vaterland des Praxiteles war Athen. Obwohl kein
alter Schriftsteller dies ausdrücklich bestätigt, ergiebt es sich
dennoch sicher daraus, dass seine Söhne Kephisodot und Timar-

der sich durchaus darauf beschränkt, das naturgemässe Wal-
ten der Kräfte der Bewegung zu verkörpern. Denn es liesse
sich unschwer nachweisen, wie hier jede Falte des Gewandes
durch das Grundmotiv der gesammten Bewegung, durch die
Natur des Stoffes, und durch die Körperform, von welcher sie
sich ablöst, ihre bestimmte Gestalt mit Nothwendigkeit erhal-
ten hat. So musste es auch bei der Maenade des Skopas sein,
wenn die den ganzen Körper durchglühende bacchantische Ra-
serei vom Beschauer recht eindringlich empfunden werden
sollte. — Nach einer anderen Richtung gewähren uns für die
Beurtheilung des künstlerischen Wissens bei Skopas seine
Meergötter Belehrung. Wir können unter dieser Gattung von
Bildungen drei verschiedene Klassen mit Leichtigkeit unter-
scheiden. Die erste hat volle menschliche Gestalt bewahrt und
die Natur des Meeres zeigt sich einzig in dem geistigen Aus-
drucke. Die zweite besteht aus förmlichen Doppelgestalten,
welche aus Theilen von Menschen und Thieren zusammenge-
setzt sind. Zwischen ihnen steht eine dritte Art, bei welcher
der menschliche Körper in allen wesentlichen Theilen beibe-
halten ist, und nur an der Oberfläche, der Haut, sich hie und
da ein Uebergang in Formen des Thier- oder Pflanzenreiches
offenbart. Die Gesetze dieser Bildungen zu erörtern, ist hier
nicht der Ort. Aber schon die Beobachtung, dass sie etwas
Gesetzmässiges, nichts rein Willkürliches sind, kann uns dar-
über belehren, in wie tiefer und eindringender Weise Skopas
sich der Erforschung und Beobachtung der Natur hingegeben
haben musste. — Die Vortrefflichkeit seiner Marmortechnik
wird nur einmal bei Gelegenheit des wehenden Haares der
Maenade von Callistratus erwähnt, bei welchem die Angabe der
Farbe an der todten Ziege auch eine Hindeutung auf die Be-
malung des Steines zu enthalten scheint. Welchen Einfluss
endlich die Bevorzugung des Marmors vor der Bronze auf die
ganze Behandlung der Formen, namentlich aber der Oberfläche
der Körper gewinnen musste, werden wir in den Untersuchungen
über Praxiteles ausführlicher darzulegen Veranlassung haben.

Praxiteles.

Das Vaterland des Praxiteles war Athen. Obwohl kein
alter Schriftsteller dies ausdrücklich bestätigt, ergiebt es sich
dennoch sicher daraus, dass seine Söhne Kephisodot und Timar-

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[335/0348] der sich durchaus darauf beschränkt, das naturgemässe Wal- ten der Kräfte der Bewegung zu verkörpern. Denn es liesse sich unschwer nachweisen, wie hier jede Falte des Gewandes durch das Grundmotiv der gesammten Bewegung, durch die Natur des Stoffes, und durch die Körperform, von welcher sie sich ablöst, ihre bestimmte Gestalt mit Nothwendigkeit erhal- ten hat. So musste es auch bei der Maenade des Skopas sein, wenn die den ganzen Körper durchglühende bacchantische Ra- serei vom Beschauer recht eindringlich empfunden werden sollte. — Nach einer anderen Richtung gewähren uns für die Beurtheilung des künstlerischen Wissens bei Skopas seine Meergötter Belehrung. Wir können unter dieser Gattung von Bildungen drei verschiedene Klassen mit Leichtigkeit unter- scheiden. Die erste hat volle menschliche Gestalt bewahrt und die Natur des Meeres zeigt sich einzig in dem geistigen Aus- drucke. Die zweite besteht aus förmlichen Doppelgestalten, welche aus Theilen von Menschen und Thieren zusammenge- setzt sind. Zwischen ihnen steht eine dritte Art, bei welcher der menschliche Körper in allen wesentlichen Theilen beibe- halten ist, und nur an der Oberfläche, der Haut, sich hie und da ein Uebergang in Formen des Thier- oder Pflanzenreiches offenbart. Die Gesetze dieser Bildungen zu erörtern, ist hier nicht der Ort. Aber schon die Beobachtung, dass sie etwas Gesetzmässiges, nichts rein Willkürliches sind, kann uns dar- über belehren, in wie tiefer und eindringender Weise Skopas sich der Erforschung und Beobachtung der Natur hingegeben haben musste. — Die Vortrefflichkeit seiner Marmortechnik wird nur einmal bei Gelegenheit des wehenden Haares der Maenade von Callistratus erwähnt, bei welchem die Angabe der Farbe an der todten Ziege auch eine Hindeutung auf die Be- malung des Steines zu enthalten scheint. Welchen Einfluss endlich die Bevorzugung des Marmors vor der Bronze auf die ganze Behandlung der Formen, namentlich aber der Oberfläche der Körper gewinnen musste, werden wir in den Untersuchungen über Praxiteles ausführlicher darzulegen Veranlassung haben. Praxiteles. Das Vaterland des Praxiteles war Athen. Obwohl kein alter Schriftsteller dies ausdrücklich bestätigt, ergiebt es sich dennoch sicher daraus, dass seine Söhne Kephisodot und Timar-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/348>, abgerufen am 12.05.2024.