des auf dasselbe übergehen. Warum erkläre ich euch aber nicht den Enthusiasmus über die Kunst von seinem Anfangs- punkte an? Es war das Bild einer Bacchantin, aus parischem Stein gebildet, gewissermassen vertauscht mit einer wirklichen Bacchantin. Denn obwohl der Stein innerhalb seiner eigen- thümlichen Natur verblieb, schien er doch die Schranke dieser Natur zu überschreiten. Denn was man vor Augen hatte, war wirklich nur ein Bild; die Kunst aber hatte die Nachahmung bis zur Wirklichkeit getrieben. Da hättest du sehen können, dass der Stein, obgleich an sich hart, sich selbst wie zum Abbilde weiblicher Natur erweichte, wenn lebhafte Erregung dieses Weibliche erfüllt; und, wiewohl nach Belieben sich zu bewegen nicht vermögend, doch bacchischen Taumel verstand und dem Gotte, welcher in sein Inneres gedrungen, zu ant- worten schien. Beim Anblicke des Antlitzes wenigstens stan- den wir sprachlos da: in so hohem Grade that sich Empfindung kund, trotzdem dass Empfindung nicht vorhanden sein konnte; und es sprach sich bacchischer Taumel einer Bacchantin aus, obwohl ein Ergriffenwerden von Taumel nicht möglich war. Und alle die Zeichen, welche eine von Raserei gestachelte Seele an sich tragen kann, alle diese liess die Kunst durch eine unaussprechliche Verschmelzung durchblicken. Das Haupt- haar war gelöst, dem West zum Spiele, und zu blühendem Haarwuchs zerlegte sich allmählig der Stein. Was aber am meisten alle Voraussetzung übertraf, war, dass der Stein trotz seiner Härte sich der Feinheit des Haares fügte, und der Be- wegung der Locken treu folgte und, wenn gleich des leben- digen Wesens baar, doch Lebendigkeit besass. Man hätte be- haupten mögen, dass die Kunst sogar noch eine Steigerung versucht habe; so unglaublich war, was man sah, und doch sah man, was sonst unglaublich gewesen wäre. Aber auch die Hände zeigte uns das Bild in Thätigkeit: zwar schwang es nicht den bacchischen Thyrsos, aber es trug ein Opferthier, als wolle es laut aufjauchzen, als Symbol einer bitterern Ra- serei. Es war das Gebilde einer Ziege, blässlich von Farbe. Denn auch die Gestalt des Todes suchte der Stein anzunehmen; und eines und desselben Stoffes bediente sich die Kunst zur Darstellung des Entgegengesetzten, des Lebens und des To- des, indem sie ihn einer Seits belebt hinstellte und wie voll Verlangen nach dem Kithaeron, anderer Seits von bacchi-
des auf dasselbe übergehen. Warum erkläre ich euch aber nicht den Enthusiasmus über die Kunst von seinem Anfangs- punkte an? Es war das Bild einer Bacchantin, aus parischem Stein gebildet, gewissermassen vertauscht mit einer wirklichen Bacchantin. Denn obwohl der Stein innerhalb seiner eigen- thümlichen Natur verblieb, schien er doch die Schranke dieser Natur zu überschreiten. Denn was man vor Augen hatte, war wirklich nur ein Bild; die Kunst aber hatte die Nachahmung bis zur Wirklichkeit getrieben. Da hättest du sehen können, dass der Stein, obgleich an sich hart, sich selbst wie zum Abbilde weiblicher Natur erweichte, wenn lebhafte Erregung dieses Weibliche erfüllt; und, wiewohl nach Belieben sich zu bewegen nicht vermögend, doch bacchischen Taumel verstand und dem Gotte, welcher in sein Inneres gedrungen, zu ant- worten schien. Beim Anblicke des Antlitzes wenigstens stan- den wir sprachlos da: in so hohem Grade that sich Empfindung kund, trotzdem dass Empfindung nicht vorhanden sein konnte; und es sprach sich bacchischer Taumel einer Bacchantin aus, obwohl ein Ergriffenwerden von Taumel nicht möglich war. Und alle die Zeichen, welche eine von Raserei gestachelte Seele an sich tragen kann, alle diese liess die Kunst durch eine unaussprechliche Verschmelzung durchblicken. Das Haupt- haar war gelöst, dem West zum Spiele, und zu blühendem Haarwuchs zerlegte sich allmählig der Stein. Was aber am meisten alle Voraussetzung übertraf, war, dass der Stein trotz seiner Härte sich der Feinheit des Haares fügte, und der Be- wegung der Locken treu folgte und, wenn gleich des leben- digen Wesens baar, doch Lebendigkeit besass. Man hätte be- haupten mögen, dass die Kunst sogar noch eine Steigerung versucht habe; so unglaublich war, was man sah, und doch sah man, was sonst unglaublich gewesen wäre. Aber auch die Hände zeigte uns das Bild in Thätigkeit: zwar schwang es nicht den bacchischen Thyrsos, aber es trug ein Opferthier, als wolle es laut aufjauchzen, als Symbol einer bitterern Ra- serei. Es war das Gebilde einer Ziege, blässlich von Farbe. Denn auch die Gestalt des Todes suchte der Stein anzunehmen; und eines und desselben Stoffes bediente sich die Kunst zur Darstellung des Entgegengesetzten, des Lebens und des To- des, indem sie ihn einer Seits belebt hinstellte und wie voll Verlangen nach dem Kithaeron, anderer Seits von bacchi-
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des auf dasselbe übergehen. Warum erkläre ich euch aber
nicht den Enthusiasmus über die Kunst von seinem Anfangs-
punkte an? Es war das Bild einer Bacchantin, aus parischem
Stein gebildet, gewissermassen vertauscht mit einer wirklichen
Bacchantin. Denn obwohl der Stein innerhalb seiner eigen-
thümlichen Natur verblieb, schien er doch die Schranke dieser
Natur zu überschreiten. Denn was man vor Augen hatte, war
wirklich nur ein Bild; die Kunst aber hatte die Nachahmung
bis zur Wirklichkeit getrieben. Da hättest du sehen können,
dass der Stein, obgleich an sich hart, sich selbst wie zum
Abbilde weiblicher Natur erweichte, wenn lebhafte Erregung
dieses Weibliche erfüllt; und, wiewohl nach Belieben sich zu
bewegen nicht vermögend, doch bacchischen Taumel verstand
und dem Gotte, welcher in sein Inneres gedrungen, zu ant-
worten schien. Beim Anblicke des Antlitzes wenigstens stan-
den wir sprachlos da: in so hohem Grade that sich Empfindung
kund, trotzdem dass Empfindung nicht vorhanden sein konnte;
und es sprach sich bacchischer Taumel einer Bacchantin aus,
obwohl ein Ergriffenwerden von Taumel nicht möglich war.
Und alle die Zeichen, welche eine von Raserei gestachelte
Seele an sich tragen kann, alle diese liess die Kunst durch
eine unaussprechliche Verschmelzung durchblicken. Das Haupt-
haar war gelöst, dem West zum Spiele, und zu blühendem
Haarwuchs zerlegte sich allmählig der Stein. Was aber am
meisten alle Voraussetzung übertraf, war, dass der Stein trotz
seiner Härte sich der Feinheit des Haares fügte, und der Be-
wegung der Locken treu folgte und, wenn gleich des leben-
digen Wesens baar, doch Lebendigkeit besass. Man hätte be-
haupten mögen, dass die Kunst sogar noch eine Steigerung
versucht habe; so unglaublich war, was man sah, und doch
sah man, was sonst unglaublich gewesen wäre. Aber auch
die Hände zeigte uns das Bild in Thätigkeit: zwar schwang
es nicht den bacchischen Thyrsos, aber es trug ein Opferthier,
als wolle es laut aufjauchzen, als Symbol einer bitterern Ra-
serei. Es war das Gebilde einer Ziege, blässlich von Farbe.
Denn auch die Gestalt des Todes suchte der Stein anzunehmen;
und eines und desselben Stoffes bediente sich die Kunst zur
Darstellung des Entgegengesetzten, des Lebens und des To-
des, indem sie ihn einer Seits belebt hinstellte und wie voll
Verlangen nach dem Kithaeron, anderer Seits von bacchi-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/340>, abgerufen am 22.11.2024.
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