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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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nahme kam, den Vorzug vor dem Erze; er arbeitet selbst in
attischem Marmor; seine Kenntniss der Sculptur in Gold und
Elfenbein, welche er durch die Restauration des Zeusbildes zu
Olympia bethätigt, erklärt sich am einfachsten aus dem Zu-
sammenhange mit der Schule des Phidias. Als Schüler des
Myron wird ausdrücklich zwar nur ein einziger Künstler, sein
Sohn Lykios, angeführt. Aber zu dessen Knaben, welcher
Feuer anbläst, liefert Styppax, man möchte sagen, ein Seiten-
stück durch den Splanchnoptes. Eben so wenig liess sich in
manchen Werken des Kresilas und Strongylion die Verwandt-
schaft mit Myron verkennen. Selbst die Kunst eines De-
metrios scheint demselben nicht fremd, wenn sie auch in
ihrer besonderen Ausbildung in den vollständigsten Naturalis-
mus umschlug. Dass dies in einem einzelnen Falle geschah,
konnte uns nicht Wunder nehmen; aber eben so wenig kann
es uns auffallen, dass dieser Künstler zunächst ganz verein-
samt blieb: es ist dieses nur ein Zeugniss mehr für die Be-
hauptung, dass in der ganzen attischen Kunst dieser Periode
der Idealismus unbedingt herrschte.

Die beiden Richtungen innerhalb desselben scheiden sich
im Ganzen sehr scharf. Die Schüler des Phidias bilden Götter
oder schmücken deren Tempel. Die Ideale des Zeus und der
Athene namentlich waren von Phidias für immer festgestellt.
Wem dieses Verdienst im Besonderen bei den anderen Götter-
gestalten beizulegen ist, vermögen wir aus unseren unzurei-
chenden Quellen nur selten nachzuweisen. Nur darüber be-
lehrt uns auch eine flüchtige Betrachtung, dass die Auffassung
überall eine ernste und strenge war. Die Ideale der nackten
Aphrodite, des jugendlich weichen Dionysos u. A., von denen
unzählige Wiederholungen auf uns gekommen sind, gehören
erst der folgenden Periode an. Noch weniger finden wir die
untergeordneten Wesen aus der Begleitung der grösseren Göt-
ter jetzt schon in selbstständiger Bedeutung von der Kunst
gebildet. Sie erscheinen ihrem Wesen gemäss auch in der
Kunst noch untergeordnet, so namentlich in Tempelgiebeln.
Dasselbe gilt von der Heroenbildung, und in noch höherem
Grade von der Darstellung wirklicher Menschen. Schon bei
Phidias ist sie nur eine Ausnahme: unter den Werken seiner
Schüler finden wir eine einzige Athletenfigur, den Enkrinome-
nos des Alkamenes. -- Zeigt sich demnach die Kunst der

nahme kam, den Vorzug vor dem Erze; er arbeitet selbst in
attischem Marmor; seine Kenntniss der Sculptur in Gold und
Elfenbein, welche er durch die Restauration des Zeusbildes zu
Olympia bethätigt, erklärt sich am einfachsten aus dem Zu-
sammenhange mit der Schule des Phidias. Als Schüler des
Myron wird ausdrücklich zwar nur ein einziger Künstler, sein
Sohn Lykios, angeführt. Aber zu dessen Knaben, welcher
Feuer anbläst, liefert Styppax, man möchte sagen, ein Seiten-
stück durch den Splanchnoptes. Eben so wenig liess sich in
manchen Werken des Kresilas und Strongylion die Verwandt-
schaft mit Myron verkennen. Selbst die Kunst eines De-
metrios scheint demselben nicht fremd, wenn sie auch in
ihrer besonderen Ausbildung in den vollständigsten Naturalis-
mus umschlug. Dass dies in einem einzelnen Falle geschah,
konnte uns nicht Wunder nehmen; aber eben so wenig kann
es uns auffallen, dass dieser Künstler zunächst ganz verein-
samt blieb: es ist dieses nur ein Zeugniss mehr für die Be-
hauptung, dass in der ganzen attischen Kunst dieser Periode
der Idealismus unbedingt herrschte.

Die beiden Richtungen innerhalb desselben scheiden sich
im Ganzen sehr scharf. Die Schüler des Phidias bilden Götter
oder schmücken deren Tempel. Die Ideale des Zeus und der
Athene namentlich waren von Phidias für immer festgestellt.
Wem dieses Verdienst im Besonderen bei den anderen Götter-
gestalten beizulegen ist, vermögen wir aus unseren unzurei-
chenden Quellen nur selten nachzuweisen. Nur darüber be-
lehrt uns auch eine flüchtige Betrachtung, dass die Auffassung
überall eine ernste und strenge war. Die Ideale der nackten
Aphrodite, des jugendlich weichen Dionysos u. A., von denen
unzählige Wiederholungen auf uns gekommen sind, gehören
erst der folgenden Periode an. Noch weniger finden wir die
untergeordneten Wesen aus der Begleitung der grösseren Göt-
ter jetzt schon in selbstständiger Bedeutung von der Kunst
gebildet. Sie erscheinen ihrem Wesen gemäss auch in der
Kunst noch untergeordnet, so namentlich in Tempelgiebeln.
Dasselbe gilt von der Heroenbildung, und in noch höherem
Grade von der Darstellung wirklicher Menschen. Schon bei
Phidias ist sie nur eine Ausnahme: unter den Werken seiner
Schüler finden wir eine einzige Athletenfigur, den Enkrinome-
nos des Alkamenes. — Zeigt sich demnach die Kunst der

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[302/0315] nahme kam, den Vorzug vor dem Erze; er arbeitet selbst in attischem Marmor; seine Kenntniss der Sculptur in Gold und Elfenbein, welche er durch die Restauration des Zeusbildes zu Olympia bethätigt, erklärt sich am einfachsten aus dem Zu- sammenhange mit der Schule des Phidias. Als Schüler des Myron wird ausdrücklich zwar nur ein einziger Künstler, sein Sohn Lykios, angeführt. Aber zu dessen Knaben, welcher Feuer anbläst, liefert Styppax, man möchte sagen, ein Seiten- stück durch den Splanchnoptes. Eben so wenig liess sich in manchen Werken des Kresilas und Strongylion die Verwandt- schaft mit Myron verkennen. Selbst die Kunst eines De- metrios scheint demselben nicht fremd, wenn sie auch in ihrer besonderen Ausbildung in den vollständigsten Naturalis- mus umschlug. Dass dies in einem einzelnen Falle geschah, konnte uns nicht Wunder nehmen; aber eben so wenig kann es uns auffallen, dass dieser Künstler zunächst ganz verein- samt blieb: es ist dieses nur ein Zeugniss mehr für die Be- hauptung, dass in der ganzen attischen Kunst dieser Periode der Idealismus unbedingt herrschte. Die beiden Richtungen innerhalb desselben scheiden sich im Ganzen sehr scharf. Die Schüler des Phidias bilden Götter oder schmücken deren Tempel. Die Ideale des Zeus und der Athene namentlich waren von Phidias für immer festgestellt. Wem dieses Verdienst im Besonderen bei den anderen Götter- gestalten beizulegen ist, vermögen wir aus unseren unzurei- chenden Quellen nur selten nachzuweisen. Nur darüber be- lehrt uns auch eine flüchtige Betrachtung, dass die Auffassung überall eine ernste und strenge war. Die Ideale der nackten Aphrodite, des jugendlich weichen Dionysos u. A., von denen unzählige Wiederholungen auf uns gekommen sind, gehören erst der folgenden Periode an. Noch weniger finden wir die untergeordneten Wesen aus der Begleitung der grösseren Göt- ter jetzt schon in selbstständiger Bedeutung von der Kunst gebildet. Sie erscheinen ihrem Wesen gemäss auch in der Kunst noch untergeordnet, so namentlich in Tempelgiebeln. Dasselbe gilt von der Heroenbildung, und in noch höherem Grade von der Darstellung wirklicher Menschen. Schon bei Phidias ist sie nur eine Ausnahme: unter den Werken seiner Schüler finden wir eine einzige Athletenfigur, den Enkrinome- nos des Alkamenes. — Zeigt sich demnach die Kunst der

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/315>, abgerufen am 13.05.2024.