Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

welche die veritas, die Wahrheit der Natur, am besten erreicht,
treffe den Demetrios der Tadel, darin zu weit gegangen zu
sein; und es sei ihm mehr auf Aehnlichkeit als auf Schönheit
angekommen. Nach diesen Zeugnissen ist also Demetrios
Naturalist in dem Sinne, dass er die Natur in allen Einzeln-
heiten und selbst unschönen Zufälligkeiten treu nachzuahmen
strebte. Wir dürfen daher wohl eine bestimmte Absicht ver-
muthen, wenn ihn Lucian nicht mit dem gewöhnlichen Aus-
drucke andriantopoios, sondern anthropopoios nennt. Dass
auch das Bild der alten Athenepriesterin, in der Verbindung
mit diesen Zeugnissen, die durchaus naturalistische Richtung
des Künstlers zu bestätigen scheine, hat bereits Lange 1)
bemerkt. -- Demetrios steht in dieser Richtung, wenigstens
in der athenischen Kunst dieser Epoche, ganz vereinzelt. Es
waren also gewiss mehr Eigenschaften seiner eigenen Per-
sönlichkeit, als allgemeine Bildungsverhältnisse, auf welchen
der Charakter seiner Werke beruht. Doch dürfen wir auch
den letzteren keineswegs allen Einfluss absprechen. Denken
wir uns z. B. einen nicht unbegabten, aber durchaus pedanti-
schen Künstler den Werken eines Myron und eines Kallima-
chos gegenüber, so wird er die Naturwahrheit des einen zwar
bewundern, aber nicht in ihrem tiefern Grunde, sonderen mehr
in ihren Aeusserlichkeiten erfassen: wo aber dort manche Ein-
zelnheit vielleicht in der bestimmtesten Absicht untergeordnet,
als Nebensache behandelt ist, da wird er diese vermeintliche
Vernachlässigung in eigenen Werken dadurch vermeiden zu
können glauben, dass er dem Kallimachos in seiner kein Ende
findenden Sorgfalt nachzustreben sich bemüht. Bei dem con-
sequenten Gange, in welchem sich die Entwickelung der grie-
chischen Kunst bewegt, konnte jedoch ein einseitiges, selbst
mit Talent durchgeführtes Streben, wenn es jenem allgemeinen
Gange nicht entsprach, keinen weitergreifenden Einfluss ge-
winnen; und deshalb bleibt, wie gesagt, der Naturalismus des
Demetrios eine vereinzelte Erscheinung in dieser Epoche.

Nach der Angabe von Pittakis 2) soll in der Nähe der
Propylaeen eine Ehrenbasis mit dem Namen des Demetrios ge-
funden worden sein:

1) zu Lanzi Sculptur der Alten, S. 84.
2) Ephem. arkh. 1839, Fe-
bruar, N. 171.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 17

welche die veritas, die Wahrheit der Natur, am besten erreicht,
treffe den Demetrios der Tadel, darin zu weit gegangen zu
sein; und es sei ihm mehr auf Aehnlichkeit als auf Schönheit
angekommen. Nach diesen Zeugnissen ist also Demetrios
Naturalist in dem Sinne, dass er die Natur in allen Einzeln-
heiten und selbst unschönen Zufälligkeiten treu nachzuahmen
strebte. Wir dürfen daher wohl eine bestimmte Absicht ver-
muthen, wenn ihn Lucian nicht mit dem gewöhnlichen Aus-
drucke ἀνδριαντοποιὸς, sondern ἀνϑρωποποιός nennt. Dass
auch das Bild der alten Athenepriesterin, in der Verbindung
mit diesen Zeugnissen, die durchaus naturalistische Richtung
des Künstlers zu bestätigen scheine, hat bereits Lange 1)
bemerkt. — Demetrios steht in dieser Richtung, wenigstens
in der athenischen Kunst dieser Epoche, ganz vereinzelt. Es
waren also gewiss mehr Eigenschaften seiner eigenen Per-
sönlichkeit, als allgemeine Bildungsverhältnisse, auf welchen
der Charakter seiner Werke beruht. Doch dürfen wir auch
den letzteren keineswegs allen Einfluss absprechen. Denken
wir uns z. B. einen nicht unbegabten, aber durchaus pedanti-
schen Künstler den Werken eines Myron und eines Kallima-
chos gegenüber, so wird er die Naturwahrheit des einen zwar
bewundern, aber nicht in ihrem tiefern Grunde, sonderen mehr
in ihren Aeusserlichkeiten erfassen: wo aber dort manche Ein-
zelnheit vielleicht in der bestimmtesten Absicht untergeordnet,
als Nebensache behandelt ist, da wird er diese vermeintliche
Vernachlässigung in eigenen Werken dadurch vermeiden zu
können glauben, dass er dem Kallimachos in seiner kein Ende
findenden Sorgfalt nachzustreben sich bemüht. Bei dem con-
sequenten Gange, in welchem sich die Entwickelung der grie-
chischen Kunst bewegt, konnte jedoch ein einseitiges, selbst
mit Talent durchgeführtes Streben, wenn es jenem allgemeinen
Gange nicht entsprach, keinen weitergreifenden Einfluss ge-
winnen; und deshalb bleibt, wie gesagt, der Naturalismus des
Demetrios eine vereinzelte Erscheinung in dieser Epoche.

Nach der Angabe von Pittakis 2) soll in der Nähe der
Propylaeen eine Ehrenbasis mit dem Namen des Demetrios ge-
funden worden sein:

1) zu Lȧnzi Sculptur der Alten, S. 84.
2) Ἐφημ. ἀρχ. 1839, Fe-
bruar, N. 171.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0270" n="257"/>
welche die veritas, die Wahrheit der Natur, am besten erreicht,<lb/>
treffe den Demetrios der Tadel, darin zu weit gegangen zu<lb/>
sein; und es sei ihm mehr auf Aehnlichkeit als auf Schönheit<lb/>
angekommen. Nach diesen Zeugnissen ist also Demetrios<lb/>
Naturalist in dem Sinne, dass er die Natur in allen Einzeln-<lb/>
heiten und selbst unschönen Zufälligkeiten treu nachzuahmen<lb/>
strebte. Wir dürfen daher wohl eine bestimmte Absicht ver-<lb/>
muthen, wenn ihn Lucian nicht mit dem gewöhnlichen Aus-<lb/>
drucke &#x1F00;&#x03BD;&#x03B4;&#x03C1;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x1F78;&#x03C2;, sondern &#x1F00;&#x03BD;&#x03D1;&#x03C1;&#x03C9;&#x03C0;&#x03BF;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03CC;&#x03C2; nennt. Dass<lb/>
auch das Bild der alten Athenepriesterin, in der Verbindung<lb/>
mit diesen Zeugnissen, die durchaus naturalistische Richtung<lb/>
des Künstlers zu bestätigen scheine, hat bereits Lange <note place="foot" n="1)">zu La&#x0307;nzi Sculptur der Alten, S. 84.</note><lb/>
bemerkt. &#x2014; Demetrios steht in dieser Richtung, wenigstens<lb/>
in der athenischen Kunst dieser Epoche, ganz vereinzelt. Es<lb/>
waren also gewiss mehr Eigenschaften seiner eigenen Per-<lb/>
sönlichkeit, als allgemeine Bildungsverhältnisse, auf welchen<lb/>
der Charakter seiner Werke beruht. Doch dürfen wir auch<lb/>
den letzteren keineswegs allen Einfluss absprechen. Denken<lb/>
wir uns z. B. einen nicht unbegabten, aber durchaus pedanti-<lb/>
schen Künstler den Werken eines Myron und eines Kallima-<lb/>
chos gegenüber, so wird er die Naturwahrheit des einen zwar<lb/>
bewundern, aber nicht in ihrem tiefern Grunde, sonderen mehr<lb/>
in ihren Aeusserlichkeiten erfassen: wo aber dort manche Ein-<lb/>
zelnheit vielleicht in der bestimmtesten Absicht untergeordnet,<lb/>
als Nebensache behandelt ist, da wird er diese vermeintliche<lb/>
Vernachlässigung in eigenen Werken dadurch vermeiden zu<lb/>
können glauben, dass er dem Kallimachos in seiner kein Ende<lb/>
findenden Sorgfalt nachzustreben sich bemüht. Bei dem con-<lb/>
sequenten Gange, in welchem sich die Entwickelung der grie-<lb/>
chischen Kunst bewegt, konnte jedoch ein einseitiges, selbst<lb/>
mit Talent durchgeführtes Streben, wenn es jenem allgemeinen<lb/>
Gange nicht entsprach, keinen weitergreifenden Einfluss ge-<lb/>
winnen; und deshalb bleibt, wie gesagt, der Naturalismus des<lb/>
Demetrios eine vereinzelte Erscheinung in dieser Epoche.</p><lb/>
            <p>Nach der Angabe von Pittakis <note place="foot" n="2)">&#x1F18;&#x03C6;&#x03B7;&#x03BC;. &#x1F00;&#x03C1;&#x03C7;. 1839, Fe-<lb/>
bruar, N. 171.</note> soll in der Nähe der<lb/>
Propylaeen eine Ehrenbasis mit dem Namen des Demetrios ge-<lb/>
funden worden sein:</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Brunn,</hi> Geschichte der griech. Künstler.</hi> 17</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0270] welche die veritas, die Wahrheit der Natur, am besten erreicht, treffe den Demetrios der Tadel, darin zu weit gegangen zu sein; und es sei ihm mehr auf Aehnlichkeit als auf Schönheit angekommen. Nach diesen Zeugnissen ist also Demetrios Naturalist in dem Sinne, dass er die Natur in allen Einzeln- heiten und selbst unschönen Zufälligkeiten treu nachzuahmen strebte. Wir dürfen daher wohl eine bestimmte Absicht ver- muthen, wenn ihn Lucian nicht mit dem gewöhnlichen Aus- drucke ἀνδριαντοποιὸς, sondern ἀνϑρωποποιός nennt. Dass auch das Bild der alten Athenepriesterin, in der Verbindung mit diesen Zeugnissen, die durchaus naturalistische Richtung des Künstlers zu bestätigen scheine, hat bereits Lange 1) bemerkt. — Demetrios steht in dieser Richtung, wenigstens in der athenischen Kunst dieser Epoche, ganz vereinzelt. Es waren also gewiss mehr Eigenschaften seiner eigenen Per- sönlichkeit, als allgemeine Bildungsverhältnisse, auf welchen der Charakter seiner Werke beruht. Doch dürfen wir auch den letzteren keineswegs allen Einfluss absprechen. Denken wir uns z. B. einen nicht unbegabten, aber durchaus pedanti- schen Künstler den Werken eines Myron und eines Kallima- chos gegenüber, so wird er die Naturwahrheit des einen zwar bewundern, aber nicht in ihrem tiefern Grunde, sonderen mehr in ihren Aeusserlichkeiten erfassen: wo aber dort manche Ein- zelnheit vielleicht in der bestimmtesten Absicht untergeordnet, als Nebensache behandelt ist, da wird er diese vermeintliche Vernachlässigung in eigenen Werken dadurch vermeiden zu können glauben, dass er dem Kallimachos in seiner kein Ende findenden Sorgfalt nachzustreben sich bemüht. Bei dem con- sequenten Gange, in welchem sich die Entwickelung der grie- chischen Kunst bewegt, konnte jedoch ein einseitiges, selbst mit Talent durchgeführtes Streben, wenn es jenem allgemeinen Gange nicht entsprach, keinen weitergreifenden Einfluss ge- winnen; und deshalb bleibt, wie gesagt, der Naturalismus des Demetrios eine vereinzelte Erscheinung in dieser Epoche. Nach der Angabe von Pittakis 2) soll in der Nähe der Propylaeen eine Ehrenbasis mit dem Namen des Demetrios ge- funden worden sein: 1) zu Lȧnzi Sculptur der Alten, S. 84. 2) Ἐφημ. ἀρχ. 1839, Fe- bruar, N. 171. Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/270
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/270>, abgerufen am 24.11.2024.