zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver- mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion, sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen- heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür- lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.
Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei- ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche einmal etwas genauer in's Auge, um daraus den Charakter seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen. Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1), ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi- lippos von Thessalonike 2) wiederfindet: E theos elth' epi gen ex ouranou eikona deixon, Pheidia, e su g' ebes ton theon opsomenos. Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min- destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich, Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel, welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi- dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt: so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst
1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.
4) 34, 54. Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et probatum est.
5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.
6) XII, 10, 9.
zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver- mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion, sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen- heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür- lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.
Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei- ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche einmal etwas genauer in’s Auge, um daraus den Charakter seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen. Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1), ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi- lippos von Thessalonike 2) wiederfindet: Ἢ ϑεὸς ἦλϑ᾽ ἐπὶ γῆν ἐξ οὐρανοῦ εἰκόνα δείξων, Φειδία, ἢ σύ γ᾽ ἔβης τὸν ϑεὸν ὀψόμενος. Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min- destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich, Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel, welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi- dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt: so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst
1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.
4) 34, 54. Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et probatum est.
5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.
6) XII, 10, 9.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0216"n="203"/>
zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht<lb/>
bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver-<lb/>
mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem<lb/>
alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben<lb/>
wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse<lb/>
Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben<lb/>
nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung<lb/>
zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion,<lb/>
sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine<lb/>
Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu<lb/>
thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen-<lb/>
heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür-<lb/>
lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere<lb/>
Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.</p><lb/><p>Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei-<lb/>
ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die<lb/>
spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche<lb/>
einmal etwas genauer in’s Auge, um daraus den Charakter<lb/>
seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen.<lb/>
Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der<lb/>
Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht <noteplace="foot"n="1)">Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.</note>,<lb/>
ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi-<lb/>
lippos von Thessalonike <noteplace="foot"n="2)">Anall. II, p. 225.</note> wiederfindet:<lb/><hirendition="#et">Ἢϑεὸςἦλϑ᾽ἐπὶγῆνἐξοὐρανοῦεἰκόναδείξων,<lb/>Φειδία, ἢσύγ᾽ἔβηςτὸνϑεὸνὀψόμενος.</hi><lb/>
Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der<lb/>
olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min-<lb/>
destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der<lb/>
Gott selbst gegenwärtig <noteplace="foot"n="3)">Polyb. Exc. XXX, 15, 3. Plut. Paull. Aem. 28. Livius 45, 28.</note>. Plinius <noteplace="foot"n="4)">34, 54.<lb/>
Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et<lb/>
probatum est.</note> nennt ihn unnachahmlich,<lb/>
Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel,<lb/>
welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache <noteplace="foot"n="5)">Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.</note>. Für uns<lb/>
wichtiger ist es, wenn Quintilian <noteplace="foot"n="6)">XII, 10, 9.</note> angiebt, man habe Phi-<lb/>
dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung<lb/>
der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar<lb/>
der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt:<lb/>
so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[203/0216]
zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht
bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver-
mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem
alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben
wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse
Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben
nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung
zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion,
sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine
Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu
thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen-
heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür-
lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere
Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.
Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei-
ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die
spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche
einmal etwas genauer in’s Auge, um daraus den Charakter
seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen.
Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der
Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1),
ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi-
lippos von Thessalonike 2) wiederfindet:
Ἢ ϑεὸς ἦλϑ᾽ ἐπὶ γῆν ἐξ οὐρανοῦ εἰκόνα δείξων,
Φειδία, ἢ σύ γ᾽ ἔβης τὸν ϑεὸν ὀψόμενος.
Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der
olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min-
destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der
Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich,
Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel,
welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns
wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi-
dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung
der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar
der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt:
so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst
1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.
2) Anall. II, p. 225.
3) Polyb. Exc. XXX, 15, 3. Plut. Paull. Aem. 28. Livius 45, 28.
4) 34, 54.
Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et
probatum est.
5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.
6) XII, 10, 9.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/216>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.