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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht
bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver-
mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem
alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben
wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse
Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben
nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung
zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion,
sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine
Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu
thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen-
heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür-
lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere
Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.

Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei-
ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die
spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche
einmal etwas genauer in's Auge, um daraus den Charakter
seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen.
Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der
Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1),
ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi-
lippos von Thessalonike 2) wiederfindet:
E theos elth' epi gen ex ouranou eikona deixon,
Pheidia, e su g' ebes ton theon opsomenos.

Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der
olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min-
destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der
Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich,
Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel,
welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns
wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi-
dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung
der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar
der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt:
so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst

1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.
2) Anall. II, p. 225.
3) Polyb. Exc. XXX, 15, 3. Plut. Paull. Aem. 28. Livius 45, 28.
4) 34, 54.
Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et
probatum est.
5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.
6) XII, 10, 9.

zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht
bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver-
mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem
alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben
wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse
Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben
nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung
zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion,
sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine
Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu
thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen-
heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür-
lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere
Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte.

Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei-
ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die
spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche
einmal etwas genauer in’s Auge, um daraus den Charakter
seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen.
Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der
Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1),
ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi-
lippos von Thessalonike 2) wiederfindet:
Ἢ ϑεὸς ἦλϑ᾽ ἐπὶ γῆν ἐξ οὐρανοῦ εἰκόνα δείξων,
Φειδία, ἢ σύ γ᾽ ἔβης τὸν ϑεὸν ὀψόμενος.

Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der
olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min-
destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der
Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich,
Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel,
welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns
wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi-
dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung
der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar
der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt:
so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst

1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker.
2) Anall. II, p. 225.
3) Polyb. Exc. XXX, 15, 3. Plut. Paull. Aem. 28. Livius 45, 28.
4) 34, 54.
Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et
probatum est.
5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209.
6) XII, 10, 9.
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[203/0216] zeitig mit ihm arbeitete, nemlich Onatas; und diese Nachricht bestätigt nur, was wir über seine jüngeren Zeitgenossen ver- mutheten. Er bildet seine schwarze Demeter theils nach einem alten Vorbilde, theils nach Traumerscheinungen. Hier haben wir auf der einen Seite noch ganz den alten, durch religiöse Satzung geheiligten Typus, auf der andern Seite das Streben nach Idealität. Allein, selbst um sich nur theilweise Geltung zu verschaffen, muss auch dieses Streben wieder zur Religion, sei es auch selbst zu einer Art von religiösem Betruge, seine Zuflucht nehmen. Um den letzten Schritt zu voller Freiheit zu thun, war ein Geist nöthig, der sich seiner eigenen Ueberlegen- heit bewusst war. Phidias wagte ihn, indem er alle willkür- lichen Satzungen verachtete und als Gesetz nur das innere Wesen der darzustellenden Dinge selbst anerkannte. Und das ganze Alterthum wurde von dem Eindrucke sei- ner Werke überwältigt und verkündete sein Lob bis in die spätesten Zeiten hinab. Fassen wir daher diese Lobsprüche einmal etwas genauer in’s Auge, um daraus den Charakter seiner Idealbilder, wo möglich, noch genauer zu bestimmen. Berühmt ist der Ausspruch: Phidias allein habe Ebenbilder der Götter gesehen, oder allein sie zur Anschauung gebracht 1), ein Gedanke, der sich ähnlich in einem Epigramme des Phi- lippos von Thessalonike 2) wiederfindet: Ἢ ϑεὸς ἦλϑ᾽ ἐπὶ γῆν ἐξ οὐρανοῦ εἰκόνα δείξων, Φειδία, ἢ σύ γ᾽ ἔβης τὸν ϑεὸν ὀψόμενος. Auch auf einen Römer, wie den Aemilius Paullus, machte der olympische Zeus den gewaltigsten Eindruck; ihm erschien min- destens der homerische Zeus verkörpert, wenn nicht gar der Gott selbst gegenwärtig 3). Plinius 4) nennt ihn unnachahmlich, Spätere preisen seinen Anblick gerade wie ein Zaubermittel, welches alle Sorge und alles Leid vergessen mache 5). Für uns wichtiger ist es, wenn Quintilian 6) angiebt, man habe Phi- dias für einen noch bedeutenderen Künstler in der Bildung der Götter als der Menschen gehalten; sein Zeus habe sogar der bestehenden Religion noch ein neues Moment hinzugefügt: so sehr komme die Majestät des Werkes dem Gotte selbst 1) Strabo l. l. Vgl. Photius Bibl. p. 37 F Bekker. 2) Anall. II, p. 225. 3) Polyb. Exc. XXX, 15, 3. Plut. Paull. Aem. 28. Livius 45, 28. 4) 34, 54. Vgl. Cic. Brut. 64 Hortensii ingenium ut Phidiae signum simul adspectum et probatum est. 5) Arrian Epict. I, 6. Dio Chrys. XII. p. 209. 6) XII, 10, 9.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/216>, abgerufen am 22.11.2024.