rische Talent an diesen Aufgaben hätte scheitern müssen, wenn ihm nicht die vielseitigste praktische Ausbildung die Mittel an die Hand gegeben, den Gedanken in die passenden Formen einzukleiden. Dass Einzelnes noch hier und da einer Verbes- serung fähig blieb, darf uns um so weniger wundern, als bei der complicirten Technik mancherlei sich erst durch die Erfah- rung bewähren musste. So werden wir denn dem Phidias keinen Vorwurf daraus machen, dass an seinem Zeus etwa achtzig Jahre nach seiner Aufstellung eine Reparatur nöthig war. Wollen wir aber Strabo's 1) Worte: Polyklets Xoana seien te men tekhne kallista ton panton, im engsten Sinne auf die Technik beziehen, so ist auch hier zu bedenken, dass Polyklets Hera erst nach den Werken des Phidias entstanden ist.
Die formelle Seite der künstlerischen Thätigkeit hat es theils mit der Erkenntniss der darzustellenden Gestalt an sich, theils mit der Darstellung dieser Gestalt in einem bestimmten Stoffe und für einen bestimmten Zweck zu thun. Doch lässt sich namentlich in letzterer Beziehung eine scharfe Gränze zwischen Kenntniss der Form und Technik häufig kaum zie- hen. Denn die Darstellung im Stoffe setzt die Kenntniss der Eigenschaften dieses Stoffes auch in sofern voraus, als dadurch die Form des Darzustellenden oft wesentlich bedingt und daher auch technisch wesentlich verschieden behandelt werden muss. So sprechen wir von Bronze-, von Marmortechnik, auch wo wir die durch den Stoff veranlasste Verschiedenheit der Mo- dellirung im Auge haben. Diese Unterschiede aber finden wir in den guten Zeiten des Alterthums mit einer Strenge beob- achtet, von welcher die neuere Zeit kaum noch einen Begriff zu haben scheint. Was Phidias anlangt, so können wir frei- lich bei dem Mangel sonstiger Nachrichten nichts weiter sagen, als dass die aus seiner Werkstatt hervorgegangenen Sculptu- ren des Parthenon den strengsten Forderungen dieser höheren Marmortechnik in Behandlung des Nackten, wie der Gewän- der, die vollste Genüge leisten. -- Etwas mehr melden uns die Alten von der Weisheit des Phidias, seine Werke dem bestimmten Zwecke, dem Orte der Aufstellung anzupassen, oder mit anderen Worten, von seiner Kenntniss der optischen und perspectivischen Gesetze. Lehrreich ist hier besonders
1) VIII, p. 372.
rische Talent an diesen Aufgaben hätte scheitern müssen, wenn ihm nicht die vielseitigste praktische Ausbildung die Mittel an die Hand gegeben, den Gedanken in die passenden Formen einzukleiden. Dass Einzelnes noch hier und da einer Verbes- serung fähig blieb, darf uns um so weniger wundern, als bei der complicirten Technik mancherlei sich erst durch die Erfah- rung bewähren musste. So werden wir denn dem Phidias keinen Vorwurf daraus machen, dass an seinem Zeus etwa achtzig Jahre nach seiner Aufstellung eine Reparatur nöthig war. Wollen wir aber Strabo’s 1) Worte: Polyklets Xoana seien τῇ μὲν τέχνῃ κάλλιστα τῶν πάντων, im engsten Sinne auf die Technik beziehen, so ist auch hier zu bedenken, dass Polyklets Hera erst nach den Werken des Phidias entstanden ist.
Die formelle Seite der künstlerischen Thätigkeit hat es theils mit der Erkenntniss der darzustellenden Gestalt an sich, theils mit der Darstellung dieser Gestalt in einem bestimmten Stoffe und für einen bestimmten Zweck zu thun. Doch lässt sich namentlich in letzterer Beziehung eine scharfe Gränze zwischen Kenntniss der Form und Technik häufig kaum zie- hen. Denn die Darstellung im Stoffe setzt die Kenntniss der Eigenschaften dieses Stoffes auch in sofern voraus, als dadurch die Form des Darzustellenden oft wesentlich bedingt und daher auch technisch wesentlich verschieden behandelt werden muss. So sprechen wir von Bronze-, von Marmortechnik, auch wo wir die durch den Stoff veranlasste Verschiedenheit der Mo- dellirung im Auge haben. Diese Unterschiede aber finden wir in den guten Zeiten des Alterthums mit einer Strenge beob- achtet, von welcher die neuere Zeit kaum noch einen Begriff zu haben scheint. Was Phidias anlangt, so können wir frei- lich bei dem Mangel sonstiger Nachrichten nichts weiter sagen, als dass die aus seiner Werkstatt hervorgegangenen Sculptu- ren des Parthenon den strengsten Forderungen dieser höheren Marmortechnik in Behandlung des Nackten, wie der Gewän- der, die vollste Genüge leisten. — Etwas mehr melden uns die Alten von der Weisheit des Phidias, seine Werke dem bestimmten Zwecke, dem Orte der Aufstellung anzupassen, oder mit anderen Worten, von seiner Kenntniss der optischen und perspectivischen Gesetze. Lehrreich ist hier besonders
1) VIII, p. 372.
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rische Talent an diesen Aufgaben hätte scheitern müssen, wenn
ihm nicht die vielseitigste praktische Ausbildung die Mittel an
die Hand gegeben, den Gedanken in die passenden Formen
einzukleiden. Dass Einzelnes noch hier und da einer Verbes-
serung fähig blieb, darf uns um so weniger wundern, als bei
der complicirten Technik mancherlei sich erst durch die Erfah-
rung bewähren musste. So werden wir denn dem Phidias
keinen Vorwurf daraus machen, dass an seinem Zeus etwa
achtzig Jahre nach seiner Aufstellung eine Reparatur nöthig
war. Wollen wir aber Strabo’s 1) Worte: Polyklets Xoana
seien τῇ μὲν τέχνῃ κάλλιστα τῶν πάντων, im engsten Sinne
auf die Technik beziehen, so ist auch hier zu bedenken, dass
Polyklets Hera erst nach den Werken des Phidias entstanden ist.
Die formelle Seite der künstlerischen Thätigkeit hat es
theils mit der Erkenntniss der darzustellenden Gestalt an sich,
theils mit der Darstellung dieser Gestalt in einem bestimmten
Stoffe und für einen bestimmten Zweck zu thun. Doch lässt
sich namentlich in letzterer Beziehung eine scharfe Gränze
zwischen Kenntniss der Form und Technik häufig kaum zie-
hen. Denn die Darstellung im Stoffe setzt die Kenntniss der
Eigenschaften dieses Stoffes auch in sofern voraus, als dadurch
die Form des Darzustellenden oft wesentlich bedingt und daher
auch technisch wesentlich verschieden behandelt werden muss.
So sprechen wir von Bronze-, von Marmortechnik, auch wo
wir die durch den Stoff veranlasste Verschiedenheit der Mo-
dellirung im Auge haben. Diese Unterschiede aber finden wir
in den guten Zeiten des Alterthums mit einer Strenge beob-
achtet, von welcher die neuere Zeit kaum noch einen Begriff
zu haben scheint. Was Phidias anlangt, so können wir frei-
lich bei dem Mangel sonstiger Nachrichten nichts weiter sagen,
als dass die aus seiner Werkstatt hervorgegangenen Sculptu-
ren des Parthenon den strengsten Forderungen dieser höheren
Marmortechnik in Behandlung des Nackten, wie der Gewän-
der, die vollste Genüge leisten. — Etwas mehr melden uns
die Alten von der Weisheit des Phidias, seine Werke dem
bestimmten Zwecke, dem Orte der Aufstellung anzupassen,
oder mit anderen Worten, von seiner Kenntniss der optischen
und perspectivischen Gesetze. Lehrreich ist hier besonders
1) VIII, p. 372.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/207>, abgerufen am 09.11.2024.
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