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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Stellung einem Künstler oder einer Kunstschule gebührt in
Hinsicht auf die technische Behandlung des Stoffes, auf die
wissenschaftliche Erkenntniss der Form, auf die künstlerische
Darstellung einer Idee. Auf diese Weise gewinnen wir durch
die Geschichte der Künstler die Grundlinien, gewissermassen
das Skelett für den gesammten Bau der Kunstgeschichte. Wie
aber die Formen eines lebendigen Körpers nur dann sich zu
voller Schönheit zu entwickeln vermögen, wenn sie auf einem
makellosen Knochenbau ruhen, obwohl dieser selbst dem Auge
äusserlich verborgen bleibt, so wird auch die Geschichte der
Kunst nur dann zu wahrer Vollendung heranreifen, wenn ihr
durch die Geschichte der Künstler eine solche Grundlage ge-
boten wird, dass darauf die Erforschung der Denkmäler mit dem
Bewusstsein voller Sicherheit ihren Bau im Einzelnen aufzu-
führen vermag.

Erst jetzt, nachdem wir unser Ziel bestimmt ins Auge
gefasst haben, wird sich darüber handeln lassen, bis zu wel-
chem Punkte wir es verfolgen sollen. Unsere Aufgabe ist, die
Geschichte der Künstler zu schreiben. Aber wer sind
diese Künstler? Nicht immer verdient jeder, der sich so
nennt, diesen Namen mit Recht, und umgekehrt kann, na-
mentlich nach dem Sprachgebrauch und der Sitte der Alten,
mancher die nöthige Tüchtigkeit besessen haben, ohne den
Namen in Anspruch zu nehmen. Soll hier nicht die Unter-
suchung mit nutzlosem Ballast beladen werden, so ist eine
scharfe Grenzlinie zwischen Künstler und Handwerker zu ziehen.
Was daher von der Kunst oder einer der allgemein angenom-
menen Hauptzweige derselben, der Bildhauerei, Malerei, Ar-
chitektur, nicht einmal den Namen führt, ist von vorn herein
auszuschliessen, es sei denn, dass die Urheberschaft eines
Kunstwerkes den Urheber trotz des geringern Standes zum Künst-
ler macht. Es kann aber ferner auch der Name für sich allein
noch keine Anwartschaft der Aufnahme gewähren. Während
in den Zeiten aufstrebender Entwickelung der Handwerker sich
zum Künstler erhebt, aber mit einem gewissen Stolze den
Namen eines Handwerkers beibehält, finden wir das Umge-
kehrte in den Zeiten des Verfalls: der Handwerker strebt
nach dem Namen des Künstlers und masst sich denselben in
unverdienter Weise an. In der Literatur finden wir von sol-

Stellung einem Künstler oder einer Kunstschule gebührt in
Hinsicht auf die technische Behandlung des Stoffes, auf die
wissenschaftliche Erkenntniss der Form, auf die künstlerische
Darstellung einer Idee. Auf diese Weise gewinnen wir durch
die Geschichte der Künstler die Grundlinien, gewissermassen
das Skelett für den gesammten Bau der Kunstgeschichte. Wie
aber die Formen eines lebendigen Körpers nur dann sich zu
voller Schönheit zu entwickeln vermögen, wenn sie auf einem
makellosen Knochenbau ruhen, obwohl dieser selbst dem Auge
äusserlich verborgen bleibt, so wird auch die Geschichte der
Kunst nur dann zu wahrer Vollendung heranreifen, wenn ihr
durch die Geschichte der Künstler eine solche Grundlage ge-
boten wird, dass darauf die Erforschung der Denkmäler mit dem
Bewusstsein voller Sicherheit ihren Bau im Einzelnen aufzu-
führen vermag.

Erst jetzt, nachdem wir unser Ziel bestimmt ins Auge
gefasst haben, wird sich darüber handeln lassen, bis zu wel-
chem Punkte wir es verfolgen sollen. Unsere Aufgabe ist, die
Geschichte der Künstler zu schreiben. Aber wer sind
diese Künstler? Nicht immer verdient jeder, der sich so
nennt, diesen Namen mit Recht, und umgekehrt kann, na-
mentlich nach dem Sprachgebrauch und der Sitte der Alten,
mancher die nöthige Tüchtigkeit besessen haben, ohne den
Namen in Anspruch zu nehmen. Soll hier nicht die Unter-
suchung mit nutzlosem Ballast beladen werden, so ist eine
scharfe Grenzlinie zwischen Künstler und Handwerker zu ziehen.
Was daher von der Kunst oder einer der allgemein angenom-
menen Hauptzweige derselben, der Bildhauerei, Malerei, Ar-
chitektur, nicht einmal den Namen führt, ist von vorn herein
auszuschliessen, es sei denn, dass die Urheberschaft eines
Kunstwerkes den Urheber trotz des geringern Standes zum Künst-
ler macht. Es kann aber ferner auch der Name für sich allein
noch keine Anwartschaft der Aufnahme gewähren. Während
in den Zeiten aufstrebender Entwickelung der Handwerker sich
zum Künstler erhebt, aber mit einem gewissen Stolze den
Namen eines Handwerkers beibehält, finden wir das Umge-
kehrte in den Zeiten des Verfalls: der Handwerker strebt
nach dem Namen des Künstlers und masst sich denselben in
unverdienter Weise an. In der Literatur finden wir von sol-

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[5/0018] Stellung einem Künstler oder einer Kunstschule gebührt in Hinsicht auf die technische Behandlung des Stoffes, auf die wissenschaftliche Erkenntniss der Form, auf die künstlerische Darstellung einer Idee. Auf diese Weise gewinnen wir durch die Geschichte der Künstler die Grundlinien, gewissermassen das Skelett für den gesammten Bau der Kunstgeschichte. Wie aber die Formen eines lebendigen Körpers nur dann sich zu voller Schönheit zu entwickeln vermögen, wenn sie auf einem makellosen Knochenbau ruhen, obwohl dieser selbst dem Auge äusserlich verborgen bleibt, so wird auch die Geschichte der Kunst nur dann zu wahrer Vollendung heranreifen, wenn ihr durch die Geschichte der Künstler eine solche Grundlage ge- boten wird, dass darauf die Erforschung der Denkmäler mit dem Bewusstsein voller Sicherheit ihren Bau im Einzelnen aufzu- führen vermag. Erst jetzt, nachdem wir unser Ziel bestimmt ins Auge gefasst haben, wird sich darüber handeln lassen, bis zu wel- chem Punkte wir es verfolgen sollen. Unsere Aufgabe ist, die Geschichte der Künstler zu schreiben. Aber wer sind diese Künstler? Nicht immer verdient jeder, der sich so nennt, diesen Namen mit Recht, und umgekehrt kann, na- mentlich nach dem Sprachgebrauch und der Sitte der Alten, mancher die nöthige Tüchtigkeit besessen haben, ohne den Namen in Anspruch zu nehmen. Soll hier nicht die Unter- suchung mit nutzlosem Ballast beladen werden, so ist eine scharfe Grenzlinie zwischen Künstler und Handwerker zu ziehen. Was daher von der Kunst oder einer der allgemein angenom- menen Hauptzweige derselben, der Bildhauerei, Malerei, Ar- chitektur, nicht einmal den Namen führt, ist von vorn herein auszuschliessen, es sei denn, dass die Urheberschaft eines Kunstwerkes den Urheber trotz des geringern Standes zum Künst- ler macht. Es kann aber ferner auch der Name für sich allein noch keine Anwartschaft der Aufnahme gewähren. Während in den Zeiten aufstrebender Entwickelung der Handwerker sich zum Künstler erhebt, aber mit einem gewissen Stolze den Namen eines Handwerkers beibehält, finden wir das Umge- kehrte in den Zeiten des Verfalls: der Handwerker strebt nach dem Namen des Künstlers und masst sich denselben in unverdienter Weise an. In der Literatur finden wir von sol-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/18>, abgerufen am 25.04.2024.