Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Träumen spielen, sie muss genährt sein von Erkenntniss und
Anschauung aller lebendigen Dinge."

So haben wir die Kunst in den verschiedensten Richtungen
ihrer höchsten Entwickelung zueilen sehen. Gefühlvollerer
Ausdruck zeichnete die Werke des Kalamis, naturgemässere
Durchbildung der Form die Werke des Pythagoras aus. Die
Richtung des Myron können wir kaum anders als eine idea-
listische nennen. Nur hatte es sein Idealismus nicht mit gei-
stigen Ideen, sondern mit körperlichen Kräften zu thun. In-
dem er aber den streng gesetzmässigen Wirkungen derselben
auf den gesammten Organismus künstlerische Gestaltung ver-
lieh, musste er sich über die Zufälligkeiten der Wirklichkeit
erheben und Gebilde von einer höheren Wahrheit, man möchte
sagen, Nothwendigkeit schaffen. Diese Eigenschaft aber ist
es, welche ihnen auf den Namen von Idealen einen gegründe-
ten Anspruch verleiht.

Jetzt war nur noch ein Schritt zur höchsten Vollendung
zu thun übrig, nemlich: die erhabensten, göttlichsten Ideen
der griechischen Welt in freien Schöpfungen der Kunst zu
verkörpern. Diesen Schritt wagt der gewaltigste unter den
Zeitgenossen des Myron, Phidias.



Dritter Abschnitt.
Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelung.
Phidias. *)

Phidias nannte sich in der Inschrift des Zeusbildes zu
Olympia einen Athener von Geburt und Sohn des Charmides 1).
Da aber die Eleer seinen Nachkommen die Sorge für die Rei-
nigung dieses Bildes erblich übertragen hatten, und diese der

*) O. Müller de Phidiae vita et operibus. Gott. 1827. Preller in der Halli-
schen Encyclopaedie III, 22, S. 165--203.
1) Paus. V, 10, 2.

Träumen spielen, sie muss genährt sein von Erkenntniss und
Anschauung aller lebendigen Dinge.”

So haben wir die Kunst in den verschiedensten Richtungen
ihrer höchsten Entwickelung zueilen sehen. Gefühlvollerer
Ausdruck zeichnete die Werke des Kalamis, naturgemässere
Durchbildung der Form die Werke des Pythagoras aus. Die
Richtung des Myron können wir kaum anders als eine idea-
listische nennen. Nur hatte es sein Idealismus nicht mit gei-
stigen Ideen, sondern mit körperlichen Kräften zu thun. In-
dem er aber den streng gesetzmässigen Wirkungen derselben
auf den gesammten Organismus künstlerische Gestaltung ver-
lieh, musste er sich über die Zufälligkeiten der Wirklichkeit
erheben und Gebilde von einer höheren Wahrheit, man möchte
sagen, Nothwendigkeit schaffen. Diese Eigenschaft aber ist
es, welche ihnen auf den Namen von Idealen einen gegründe-
ten Anspruch verleiht.

Jetzt war nur noch ein Schritt zur höchsten Vollendung
zu thun übrig, nemlich: die erhabensten, göttlichsten Ideen
der griechischen Welt in freien Schöpfungen der Kunst zu
verkörpern. Diesen Schritt wagt der gewaltigste unter den
Zeitgenossen des Myron, Phidias.



Dritter Abschnitt.
Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelung.
Phidias. *)

Phidias nannte sich in der Inschrift des Zeusbildes zu
Olympia einen Athener von Geburt und Sohn des Charmides 1).
Da aber die Eleer seinen Nachkommen die Sorge für die Rei-
nigung dieses Bildes erblich übertragen hatten, und diese der

*) O. Müller de Phidiae vita et operibus. Gott. 1827. Preller in der Halli-
schen Encyclopaedie III, 22, S. 165—203.
1) Paus. V, 10, 2.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="157"/>
Träumen spielen, sie muss genährt sein von Erkenntniss und<lb/>
Anschauung aller lebendigen Dinge.&#x201D;</p><lb/>
            <p>So haben wir die Kunst in den verschiedensten Richtungen<lb/>
ihrer höchsten Entwickelung zueilen sehen. Gefühlvollerer<lb/>
Ausdruck zeichnete die Werke des Kalamis, naturgemässere<lb/>
Durchbildung der Form die Werke des Pythagoras aus. Die<lb/>
Richtung des Myron können wir kaum anders als eine idea-<lb/>
listische nennen. Nur hatte es sein Idealismus nicht mit gei-<lb/>
stigen Ideen, sondern mit körperlichen Kräften zu thun. In-<lb/>
dem er aber den streng gesetzmässigen Wirkungen derselben<lb/>
auf den gesammten Organismus künstlerische Gestaltung ver-<lb/>
lieh, musste er sich über die Zufälligkeiten der Wirklichkeit<lb/>
erheben und Gebilde von einer höheren Wahrheit, man möchte<lb/>
sagen, Nothwendigkeit schaffen. Diese Eigenschaft aber ist<lb/>
es, welche ihnen auf den Namen von Idealen einen gegründe-<lb/>
ten Anspruch verleiht.</p><lb/>
            <p>Jetzt war nur noch <hi rendition="#g">ein</hi> Schritt zur höchsten Vollendung<lb/>
zu thun übrig, nemlich: die erhabensten, göttlichsten Ideen<lb/>
der griechischen Welt in freien Schöpfungen der Kunst zu<lb/>
verkörpern. Diesen Schritt wagt der gewaltigste unter den<lb/>
Zeitgenossen des Myron, Phidias.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Dritter Abschnitt.</hi><lb/>
Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelung.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Phidias.</hi> <note place="foot" n="*)">O. Müller de Phidiae vita et operibus. Gott. 1827. Preller in der Halli-<lb/>
schen Encyclopaedie III, 22, S. 165&#x2014;203.</note>
            </head><lb/>
            <p>Phidias nannte sich in der Inschrift des Zeusbildes zu<lb/>
Olympia einen Athener von Geburt und Sohn des Charmides <note place="foot" n="1)">Paus. V, 10, 2.</note>.<lb/>
Da aber die Eleer seinen Nachkommen die Sorge für die Rei-<lb/>
nigung dieses Bildes erblich übertragen hatten, und diese der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0170] Träumen spielen, sie muss genährt sein von Erkenntniss und Anschauung aller lebendigen Dinge.” So haben wir die Kunst in den verschiedensten Richtungen ihrer höchsten Entwickelung zueilen sehen. Gefühlvollerer Ausdruck zeichnete die Werke des Kalamis, naturgemässere Durchbildung der Form die Werke des Pythagoras aus. Die Richtung des Myron können wir kaum anders als eine idea- listische nennen. Nur hatte es sein Idealismus nicht mit gei- stigen Ideen, sondern mit körperlichen Kräften zu thun. In- dem er aber den streng gesetzmässigen Wirkungen derselben auf den gesammten Organismus künstlerische Gestaltung ver- lieh, musste er sich über die Zufälligkeiten der Wirklichkeit erheben und Gebilde von einer höheren Wahrheit, man möchte sagen, Nothwendigkeit schaffen. Diese Eigenschaft aber ist es, welche ihnen auf den Namen von Idealen einen gegründe- ten Anspruch verleiht. Jetzt war nur noch ein Schritt zur höchsten Vollendung zu thun übrig, nemlich: die erhabensten, göttlichsten Ideen der griechischen Welt in freien Schöpfungen der Kunst zu verkörpern. Diesen Schritt wagt der gewaltigste unter den Zeitgenossen des Myron, Phidias. Dritter Abschnitt. Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelung. Phidias. *) Phidias nannte sich in der Inschrift des Zeusbildes zu Olympia einen Athener von Geburt und Sohn des Charmides 1). Da aber die Eleer seinen Nachkommen die Sorge für die Rei- nigung dieses Bildes erblich übertragen hatten, und diese der *) O. Müller de Phidiae vita et operibus. Gott. 1827. Preller in der Halli- schen Encyclopaedie III, 22, S. 165—203. 1) Paus. V, 10, 2.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/170
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/170>, abgerufen am 28.04.2024.