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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

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er sahe, daß ich sehr ermüdet war, so verlangte er,
daß ich mich in seinen Schlafwagen setzen sollte, wo
ich wirklich den ganzen Tag schlief, indem ich seit der
Mahlzeit in Pillau weder gegessen noch geschlafen hat-
te. Ein solcher Schlafwagen ist in jeder Rücksicht
ein Wagen; nur der Boden ist so lang, daß man in
einem Bette ausgestreckt darinn liegen kann. Jch
fand nachmals, daß jeder Officier bey der Russischen
Armee einen solchen Wagen hatte, welches bey ihren
langen Märschen durch wüste Gegenden gewiß sehr
nothwendig ist. General Bruce hatte verschiedene
Preussische Artillerie-Officiers zu Russischen Diensten
beredet, wovon ihrer zwey Jngenieurs wurden.

Geschichte
von einem
Manne zu
Elbingen.

Unter Weges unterhielt mich der General mit ei-
ner Geschichte, welche sich während seines Aufent-
haltes zu Elbingen zugetragen hatte, wo ein Mann
durch ihn von dem Scheiterhaufen war gerettet wor-
den. Dieser alte Mann hatte einen einigen Sohn,
welcher ein Würzkrämer in der Stadt war, und wel-
chem er sein ganzes Vermögen unter der Bedingung
abgetreten hatte, daß er ihn, so lange er lebte, unter-
halten sollte. Der Sohn war ihm gut begegnet, al-
lein dessen Frau behandelte den alten Mann so grau-
sam, daß er ausziehen, und sich eine eigene Wohnung
suchen mußte, worauf der Sohn, auf Anstiften seines
Weibes, sich weigerte, etwas zu seinem Unterhalte
zu gebeu, oder die Miethe für ihn zu bezahlen, und
so gar drohete, ihn in Verhaft nehmen zu lassen.
Diese schändliche Begegnung gieng dem armen Man-
ne so nahe, daß er auch darüber von Sinnen kam,
und in seinem Wahnwitze mit seinem Blute eine
Handschrift aufsetzte, worin er sich mit Seel und Leibe

dem

er ſahe, daß ich ſehr ermuͤdet war, ſo verlangte er,
daß ich mich in ſeinen Schlafwagen ſetzen ſollte, wo
ich wirklich den ganzen Tag ſchlief, indem ich ſeit der
Mahlzeit in Pillau weder gegeſſen noch geſchlafen hat-
te. Ein ſolcher Schlafwagen iſt in jeder Ruͤckſicht
ein Wagen; nur der Boden iſt ſo lang, daß man in
einem Bette ausgeſtreckt darinn liegen kann. Jch
fand nachmals, daß jeder Officier bey der Ruſſiſchen
Armee einen ſolchen Wagen hatte, welches bey ihren
langen Maͤrſchen durch wuͤſte Gegenden gewiß ſehr
nothwendig iſt. General Bruce hatte verſchiedene
Preuſſiſche Artillerie-Officiers zu Ruſſiſchen Dienſten
beredet, wovon ihrer zwey Jngenieurs wurden.

Geſchichte
von einem
Manne zu
Elbingen.

Unter Weges unterhielt mich der General mit ei-
ner Geſchichte, welche ſich waͤhrend ſeines Aufent-
haltes zu Elbingen zugetragen hatte, wo ein Mann
durch ihn von dem Scheiterhaufen war gerettet wor-
den. Dieſer alte Mann hatte einen einigen Sohn,
welcher ein Wuͤrzkraͤmer in der Stadt war, und wel-
chem er ſein ganzes Vermoͤgen unter der Bedingung
abgetreten hatte, daß er ihn, ſo lange er lebte, unter-
halten ſollte. Der Sohn war ihm gut begegnet, al-
lein deſſen Frau behandelte den alten Mann ſo grau-
ſam, daß er ausziehen, und ſich eine eigene Wohnung
ſuchen mußte, worauf der Sohn, auf Anſtiften ſeines
Weibes, ſich weigerte, etwas zu ſeinem Unterhalte
zu gebeu, oder die Miethe fuͤr ihn zu bezahlen, und
ſo gar drohete, ihn in Verhaft nehmen zu laſſen.
Dieſe ſchaͤndliche Begegnung gieng dem armen Man-
ne ſo nahe, daß er auch daruͤber von Sinnen kam,
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Handſchrift aufſetzte, worin er ſich mit Seel und Leibe

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[40/0050] er ſahe, daß ich ſehr ermuͤdet war, ſo verlangte er, daß ich mich in ſeinen Schlafwagen ſetzen ſollte, wo ich wirklich den ganzen Tag ſchlief, indem ich ſeit der Mahlzeit in Pillau weder gegeſſen noch geſchlafen hat- te. Ein ſolcher Schlafwagen iſt in jeder Ruͤckſicht ein Wagen; nur der Boden iſt ſo lang, daß man in einem Bette ausgeſtreckt darinn liegen kann. Jch fand nachmals, daß jeder Officier bey der Ruſſiſchen Armee einen ſolchen Wagen hatte, welches bey ihren langen Maͤrſchen durch wuͤſte Gegenden gewiß ſehr nothwendig iſt. General Bruce hatte verſchiedene Preuſſiſche Artillerie-Officiers zu Ruſſiſchen Dienſten beredet, wovon ihrer zwey Jngenieurs wurden. Unter Weges unterhielt mich der General mit ei- ner Geſchichte, welche ſich waͤhrend ſeines Aufent- haltes zu Elbingen zugetragen hatte, wo ein Mann durch ihn von dem Scheiterhaufen war gerettet wor- den. Dieſer alte Mann hatte einen einigen Sohn, welcher ein Wuͤrzkraͤmer in der Stadt war, und wel- chem er ſein ganzes Vermoͤgen unter der Bedingung abgetreten hatte, daß er ihn, ſo lange er lebte, unter- halten ſollte. Der Sohn war ihm gut begegnet, al- lein deſſen Frau behandelte den alten Mann ſo grau- ſam, daß er ausziehen, und ſich eine eigene Wohnung ſuchen mußte, worauf der Sohn, auf Anſtiften ſeines Weibes, ſich weigerte, etwas zu ſeinem Unterhalte zu gebeu, oder die Miethe fuͤr ihn zu bezahlen, und ſo gar drohete, ihn in Verhaft nehmen zu laſſen. Dieſe ſchaͤndliche Begegnung gieng dem armen Man- ne ſo nahe, daß er auch daruͤber von Sinnen kam, und in ſeinem Wahnwitze mit ſeinem Blute eine Handſchrift aufſetzte, worin er ſich mit Seel und Leibe dem

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Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/50>, abgerufen am 21.11.2024.