Der Fall war folgender. Beyde Brüder hatten be- ständig in großer Uneinigkeit mit einander gelebet; daher hatte mein Wirth, der sehr reich war, beschlos- sen, daß sein Bruder, im Fall er eher sterbe, ihn nicht erben sollte. Er war seit vielen Jahren an eine sehr schöne Frau verheirathet, hatte aber keine Kinder mit ihr gezeuget. Dieses schrieb er mehr sich selbst als seiner Frau zu; und da er beschlossen hatte, daß seine Frau, es möge auch geschehen wie es wolle, ein Kind bekommen sollte, um seinem Bruder die Erb- schaft zu entziehen, so nahm er einen Lieutenant, ei- nen artigen jungen Menschen, in sein Haus, und gab ihm alle Gelegenheit, mit seiner Frau umzugehen, mit der er vorher die Sache abgeredet hatte, und die auch wirklich schwanger ward. Sie machte dem jun- gen Menschen hierauf ein Geschenk mit 100 Duca- ten, und bat ihn zugleich, sich nach einem andern Quartiere umzusehen, weil ihr Mann eifersüchtig ge- worden wäre, und sie im Verdacht zu haben anfienge, daher es unumgänglich nöthig sey, daß er auszöge; sie versprach ihm aber, daß sie ihn, wenn er etwas nöthig habe, unterstützen wolle, worauf er sich ver- lassen könne. Da dieser sahe, daß sie aller seiner Vorstellungen ungeachtet dabey blieb, so mußte er endlich einwilligen, und schmeichelte sich, oft Gele- genheit zu finden, mit ihr umzugehen, fand sich aber darinn betrogen, weil sie alle Gelegenheit, mit ihm allein zu seyn, vermied. Dieses verdroß ihn so sehr, daß er, als er einmal des Abends wußte, daß ihr Mann nicht zu Hause sey, sich mit Gewalt in ihr Schlafzimmer drang, und wissen wollte, warum sie seine Gesellschaft vermiede. Sie sagte ihm also ganz
frey,
Der Fall war folgender. Beyde Bruͤder hatten be- ſtaͤndig in großer Uneinigkeit mit einander gelebet; daher hatte mein Wirth, der ſehr reich war, beſchloſ- ſen, daß ſein Bruder, im Fall er eher ſterbe, ihn nicht erben ſollte. Er war ſeit vielen Jahren an eine ſehr ſchoͤne Frau verheirathet, hatte aber keine Kinder mit ihr gezeuget. Dieſes ſchrieb er mehr ſich ſelbſt als ſeiner Frau zu; und da er beſchloſſen hatte, daß ſeine Frau, es moͤge auch geſchehen wie es wolle, ein Kind bekommen ſollte, um ſeinem Bruder die Erb- ſchaft zu entziehen, ſo nahm er einen Lieutenant, ei- nen artigen jungen Menſchen, in ſein Haus, und gab ihm alle Gelegenheit, mit ſeiner Frau umzugehen, mit der er vorher die Sache abgeredet hatte, und die auch wirklich ſchwanger ward. Sie machte dem jun- gen Menſchen hierauf ein Geſchenk mit 100 Duca- ten, und bat ihn zugleich, ſich nach einem andern Quartiere umzuſehen, weil ihr Mann eiferſuͤchtig ge- worden waͤre, und ſie im Verdacht zu haben anfienge, daher es unumgaͤnglich noͤthig ſey, daß er auszoͤge; ſie verſprach ihm aber, daß ſie ihn, wenn er etwas noͤthig habe, unterſtuͤtzen wolle, worauf er ſich ver- laſſen koͤnne. Da dieſer ſahe, daß ſie aller ſeiner Vorſtellungen ungeachtet dabey blieb, ſo mußte er endlich einwilligen, und ſchmeichelte ſich, oft Gele- genheit zu finden, mit ihr umzugehen, fand ſich aber darinn betrogen, weil ſie alle Gelegenheit, mit ihm allein zu ſeyn, vermied. Dieſes verdroß ihn ſo ſehr, daß er, als er einmal des Abends wußte, daß ihr Mann nicht zu Hauſe ſey, ſich mit Gewalt in ihr Schlafzimmer drang, und wiſſen wollte, warum ſie ſeine Geſellſchaft vermiede. Sie ſagte ihm alſo ganz
frey,
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Der Fall war folgender. Beyde Bruͤder hatten be-
ſtaͤndig in großer Uneinigkeit mit einander gelebet;
daher hatte mein Wirth, der ſehr reich war, beſchloſ-
ſen, daß ſein Bruder, im Fall er eher ſterbe, ihn
nicht erben ſollte. Er war ſeit vielen Jahren an eine
ſehr ſchoͤne Frau verheirathet, hatte aber keine Kinder
mit ihr gezeuget. Dieſes ſchrieb er mehr ſich ſelbſt
als ſeiner Frau zu; und da er beſchloſſen hatte, daß
ſeine Frau, es moͤge auch geſchehen wie es wolle, ein
Kind bekommen ſollte, um ſeinem Bruder die Erb-
ſchaft zu entziehen, ſo nahm er einen Lieutenant, ei-
nen artigen jungen Menſchen, in ſein Haus, und gab
ihm alle Gelegenheit, mit ſeiner Frau umzugehen,
mit der er vorher die Sache abgeredet hatte, und die
auch wirklich ſchwanger ward. Sie machte dem jun-
gen Menſchen hierauf ein Geſchenk mit 100 Duca-
ten, und bat ihn zugleich, ſich nach einem andern
Quartiere umzuſehen, weil ihr Mann eiferſuͤchtig ge-
worden waͤre, und ſie im Verdacht zu haben anfienge,
daher es unumgaͤnglich noͤthig ſey, daß er auszoͤge;
ſie verſprach ihm aber, daß ſie ihn, wenn er etwas
noͤthig habe, unterſtuͤtzen wolle, worauf er ſich ver-
laſſen koͤnne. Da dieſer ſahe, daß ſie aller ſeiner
Vorſtellungen ungeachtet dabey blieb, ſo mußte er
endlich einwilligen, und ſchmeichelte ſich, oft Gele-
genheit zu finden, mit ihr umzugehen, fand ſich aber
darinn betrogen, weil ſie alle Gelegenheit, mit ihm
allein zu ſeyn, vermied. Dieſes verdroß ihn ſo ſehr,
daß er, als er einmal des Abends wußte, daß ihr
Mann nicht zu Hauſe ſey, ſich mit Gewalt in ihr
Schlafzimmer drang, und wiſſen wollte, warum ſie
ſeine Geſellſchaft vermiede. Sie ſagte ihm alſo ganz
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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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