B. "Du hast Recht, ich kanns nicht leugnen, und bin nicht mehr drauf bedacht, "Meines Lebens Ziel zu setzen, sondern bin damit zu- frieden, "Daß es Gott bestimmen möge. Aber daß uns nicht beschieden, "Unser Ziel vorher zu wissen, dieß ist, was mir Kummer macht; "Da uns an der Wissenschaft doch so viel gelegen wär. "Warum zeigt uns Gott den Tag unsers Todes nicht vorher? "Dieses würde von den Plagen unsers Todes viel be- nehmen, "Alle Menschen würden ja sich mit allem Ernst bequemen, "Haus, Familien, Processen, Kinder, und vor allen Dingen "Jhrer Seelen Heil besorgen, und was sonst, in Ord- nung bringen. "Wüßten wir die Zeit; wir würden dann vergnügt das Leben lassen, "Da wir ganz verwirret scheiden, weil wir unverhofft erblassen.
A. Aber ist es wohl zu glauben, daß ein Mensch auf seine Sachen Ernstlich Achtung haben würde, und für seine Seele wachen, Dem es ganz gewiß bekannt, daß er noch ein Jahr zu leben? Der doch, da er itzt des Lebens nicht bis morgen einst gewiß, Sondern immer in Gefahr, heute noch es aufzugeben, Alles fahrlos liegen läßt, und kaum an die Seele denket? Wenn man sich nun über alles in so tiefe Schlafsucht senket, Da man über seiner Dauer in so dunkler Finsterniß;
Was
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
B. „Du haſt Recht, ich kanns nicht leugnen, und bin nicht mehr drauf bedacht, „Meines Lebens Ziel zu ſetzen, ſondern bin damit zu- frieden, „Daß es Gott beſtimmen moͤge. Aber daß uns nicht beſchieden, „Unſer Ziel vorher zu wiſſen, dieß iſt, was mir Kummer macht; „Da uns an der Wiſſenſchaft doch ſo viel gelegen waͤr. „Warum zeigt uns Gott den Tag unſers Todes nicht vorher? „Dieſes wuͤrde von den Plagen unſers Todes viel be- nehmen, „Alle Menſchen wuͤrden ja ſich mit allem Ernſt bequemen, „Haus, Familien, Proceſſen, Kinder, und vor allen Dingen „Jhrer Seelen Heil beſorgen, und was ſonſt, in Ord- nung bringen. „Wuͤßten wir die Zeit; wir wuͤrden dann vergnuͤgt das Leben laſſen, „Da wir ganz verwirret ſcheiden, weil wir unverhofft erblaſſen.
A. Aber iſt es wohl zu glauben, daß ein Menſch auf ſeine Sachen Ernſtlich Achtung haben wuͤrde, und fuͤr ſeine Seele wachen, Dem es ganz gewiß bekannt, daß er noch ein Jahr zu leben? Der doch, da er itzt des Lebens nicht bis morgen einſt gewiß, Sondern immer in Gefahr, heute noch es aufzugeben, Alles fahrlos liegen laͤßt, und kaum an die Seele denket? Wenn man ſich nun uͤber alles in ſo tiefe Schlafſucht ſenket, Da man uͤber ſeiner Dauer in ſo dunkler Finſterniß;
Was
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
B. „Du haſt Recht, ich kanns nicht leugnen, und bin
nicht mehr drauf bedacht,
„Meines Lebens Ziel zu ſetzen, ſondern bin damit zu-
frieden,
„Daß es Gott beſtimmen moͤge. Aber daß uns nicht
beſchieden,
„Unſer Ziel vorher zu wiſſen, dieß iſt, was mir Kummer
macht;
„Da uns an der Wiſſenſchaft doch ſo viel gelegen waͤr.
„Warum zeigt uns Gott den Tag unſers Todes nicht
vorher?
„Dieſes wuͤrde von den Plagen unſers Todes viel be-
nehmen,
„Alle Menſchen wuͤrden ja ſich mit allem Ernſt bequemen,
„Haus, Familien, Proceſſen, Kinder, und vor allen
Dingen
„Jhrer Seelen Heil beſorgen, und was ſonſt, in Ord-
nung bringen.
„Wuͤßten wir die Zeit; wir wuͤrden dann vergnuͤgt
das Leben laſſen,
„Da wir ganz verwirret ſcheiden, weil wir unverhofft
erblaſſen.
A. Aber iſt es wohl zu glauben, daß ein Menſch
auf ſeine Sachen
Ernſtlich Achtung haben wuͤrde, und fuͤr ſeine Seele wachen,
Dem es ganz gewiß bekannt, daß er noch ein Jahr zu leben?
Der doch, da er itzt des Lebens nicht bis morgen einſt gewiß,
Sondern immer in Gefahr, heute noch es aufzugeben,
Alles fahrlos liegen laͤßt, und kaum an die Seele denket?
Wenn man ſich nun uͤber alles in ſo tiefe Schlafſucht ſenket,
Da man uͤber ſeiner Dauer in ſo dunkler Finſterniß;
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/609>, abgerufen am 23.11.2024.
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