Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
zum irdischen Vergnügen in Gott.


Es ist gewiß, daß man den Werth der Scham nie bes-
ser kennen lernet,
Als eben zu derselben Zeit, wenn man sich hat von ihr ent-
fernet.


O! sollt in meinen Sinn einst der Gedanke kommen,
Daß ich, vom Stolz verführt, vom Hochmuth ein-
genommen,
Je niederträchtig wünscht': auf Erden
Erhöht zu seyn und groß zu werden;
O Himmel, ach so fahre fort mir alle Seegen zu ent-
ziehn,
Die hier, in meinem stillen Leben, die holde Demuth mir
verliehn!


Das Rühmen machet den nicht stolz, der würdig ist,
daß wir ihn ehren:
Das Loben blähet den nur auf, der nicht gewohnt, sein
Lob zu hören.


Owie ist doch das Vermögen
Wohl zu thun, ein wahrer Segen!
Es ist göttlich, ja es ist eine rechte Seelenfreude,
Und das einzge, warum ich Reich' und Mächtige be-
neide.
Wem
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.


Es iſt gewiß, daß man den Werth der Scham nie beſ-
ſer kennen lernet,
Als eben zu derſelben Zeit, wenn man ſich hat von ihr ent-
fernet.


O! ſollt in meinen Sinn einſt der Gedanke kommen,
Daß ich, vom Stolz verfuͤhrt, vom Hochmuth ein-
genommen,
Je niedertraͤchtig wuͤnſcht’: auf Erden
Erhoͤht zu ſeyn und groß zu werden;
O Himmel, ach ſo fahre fort mir alle Seegen zu ent-
ziehn,
Die hier, in meinem ſtillen Leben, die holde Demuth mir
verliehn!


Das Ruͤhmen machet den nicht ſtolz, der wuͤrdig iſt,
daß wir ihn ehren:
Das Loben blaͤhet den nur auf, der nicht gewohnt, ſein
Lob zu hoͤren.


Owie iſt doch das Vermoͤgen
Wohl zu thun, ein wahrer Segen!
Es iſt goͤttlich, ja es iſt eine rechte Seelenfreude,
Und das einzge, warum ich Reich’ und Maͤchtige be-
neide.
Wem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0563" n="543"/>
              <fw place="top" type="header">zum irdi&#x017F;chen Vergnu&#x0364;gen in Gott.</fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t gewiß, daß man den Werth der Scham nie be&#x017F;-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;er kennen lernet,</hi> </l><lb/>
                <l>Als eben zu der&#x017F;elben Zeit, wenn man &#x017F;ich hat von ihr ent-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">fernet.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">O</hi>! &#x017F;ollt in meinen Sinn ein&#x017F;t der Gedanke kommen,</l><lb/>
                <l>Daß ich, vom Stolz verfu&#x0364;hrt, vom Hochmuth ein-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">genommen,</hi> </l><lb/>
                <l>Je niedertra&#x0364;chtig wu&#x0364;n&#x017F;cht&#x2019;: auf Erden</l><lb/>
                <l>Erho&#x0364;ht zu &#x017F;eyn und groß zu werden;</l><lb/>
                <l>O Himmel, ach &#x017F;o fahre fort mir alle Seegen zu ent-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ziehn,</hi> </l><lb/>
                <l>Die hier, in meinem &#x017F;tillen Leben, die holde Demuth mir</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">verliehn!</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>as Ru&#x0364;hmen machet den nicht &#x017F;tolz, der wu&#x0364;rdig i&#x017F;t,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">daß wir ihn ehren:</hi> </l><lb/>
                <l>Das Loben bla&#x0364;het den nur auf, der nicht gewohnt, &#x017F;ein</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Lob zu ho&#x0364;ren.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">O</hi>wie i&#x017F;t doch das Vermo&#x0364;gen</l><lb/>
                <l>Wohl zu thun, ein wahrer Segen!</l><lb/>
                <l>Es i&#x017F;t go&#x0364;ttlich, ja es i&#x017F;t eine rechte Seelenfreude,</l><lb/>
                <l>Und das einzge, warum ich Reich&#x2019; und Ma&#x0364;chtige be-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">neide.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Wem</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[543/0563] zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Es iſt gewiß, daß man den Werth der Scham nie beſ- ſer kennen lernet, Als eben zu derſelben Zeit, wenn man ſich hat von ihr ent- fernet. O! ſollt in meinen Sinn einſt der Gedanke kommen, Daß ich, vom Stolz verfuͤhrt, vom Hochmuth ein- genommen, Je niedertraͤchtig wuͤnſcht’: auf Erden Erhoͤht zu ſeyn und groß zu werden; O Himmel, ach ſo fahre fort mir alle Seegen zu ent- ziehn, Die hier, in meinem ſtillen Leben, die holde Demuth mir verliehn! Das Ruͤhmen machet den nicht ſtolz, der wuͤrdig iſt, daß wir ihn ehren: Das Loben blaͤhet den nur auf, der nicht gewohnt, ſein Lob zu hoͤren. Owie iſt doch das Vermoͤgen Wohl zu thun, ein wahrer Segen! Es iſt goͤttlich, ja es iſt eine rechte Seelenfreude, Und das einzge, warum ich Reich’ und Maͤchtige be- neide. Wem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/563
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/563>, abgerufen am 23.06.2024.