So wird man oftermal aus Noth zu etwas sich entschlies- sen müssen, Eh' wir von einem Ueberlegen, noch selbst dem Wollen, etwas wissen. Wir finden, daß wir oft so schnell zu einer Sache uns entschließen, Eh' die geringste Ueberlegung dazu gebraucht wird. Solch ein Schluß Jst wirklich bloß ein blinder Trieb, und folglich vom Jnstinct der Thiere Nicht im geringsten unterschieden; wodurch ich dich denn überführe: Daß oft, ohn Vorbedacht der Will' in unsern Handlun- gen regiere.
Wenn wir nun ferner unsre Seelen, so viel wir kön- nen, recht betrachten, So wird man, wie gesagt, in ihr, von Kräften dreyerley beachten: Verstand, Gedächtniß, Phantasey. Doch zeigt sichs, daß wir sie nicht trennen, Noch eigentlich, als von einander gesondert, sie betrach- ten können, Jn allen ihren Handlungen. Ein' Art von Einheit scheint in ihnen, Da man sich nimmer einer Kraft allein von ihnen kann bedienen, Daß nicht von denen andern beyden auch etwas ange- wendet sey. Wofern wir sie ganz unterschieden, und wirklich als wie dreyerley Betrachten und erwägen wollten, würd' es gewiß ein Jrrthum seyn.
Was
Vermiſchte Gedichte
So wird man oftermal aus Noth zu etwas ſich entſchlieſ- ſen muͤſſen, Eh’ wir von einem Ueberlegen, noch ſelbſt dem Wollen, etwas wiſſen. Wir finden, daß wir oft ſo ſchnell zu einer Sache uns entſchließen, Eh’ die geringſte Ueberlegung dazu gebraucht wird. Solch ein Schluß Jſt wirklich bloß ein blinder Trieb, und folglich vom Jnſtinct der Thiere Nicht im geringſten unterſchieden; wodurch ich dich denn uͤberfuͤhre: Daß oft, ohn Vorbedacht der Will’ in unſern Handlun- gen regiere.
Wenn wir nun ferner unſre Seelen, ſo viel wir koͤn- nen, recht betrachten, So wird man, wie geſagt, in ihr, von Kraͤften dreyerley beachten: Verſtand, Gedaͤchtniß, Phantaſey. Doch zeigt ſichs, daß wir ſie nicht trennen, Noch eigentlich, als von einander geſondert, ſie betrach- ten koͤnnen, Jn allen ihren Handlungen. Ein’ Art von Einheit ſcheint in ihnen, Da man ſich nimmer einer Kraft allein von ihnen kann bedienen, Daß nicht von denen andern beyden auch etwas ange- wendet ſey. Wofern wir ſie ganz unterſchieden, und wirklich als wie dreyerley Betrachten und erwaͤgen wollten, wuͤrd’ es gewiß ein Jrrthum ſeyn.
Was
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Vermiſchte Gedichte
So wird man oftermal aus Noth zu etwas ſich entſchlieſ-
ſen muͤſſen,
Eh’ wir von einem Ueberlegen, noch ſelbſt dem Wollen,
etwas wiſſen.
Wir finden, daß wir oft ſo ſchnell zu einer Sache uns
entſchließen,
Eh’ die geringſte Ueberlegung dazu gebraucht wird. Solch
ein Schluß
Jſt wirklich bloß ein blinder Trieb, und folglich vom
Jnſtinct der Thiere
Nicht im geringſten unterſchieden; wodurch ich dich denn
uͤberfuͤhre:
Daß oft, ohn Vorbedacht der Will’ in unſern Handlun-
gen regiere.
Wenn wir nun ferner unſre Seelen, ſo viel wir koͤn-
nen, recht betrachten,
So wird man, wie geſagt, in ihr, von Kraͤften dreyerley
beachten:
Verſtand, Gedaͤchtniß, Phantaſey. Doch zeigt ſichs,
daß wir ſie nicht trennen,
Noch eigentlich, als von einander geſondert, ſie betrach-
ten koͤnnen,
Jn allen ihren Handlungen. Ein’ Art von Einheit
ſcheint in ihnen,
Da man ſich nimmer einer Kraft allein von ihnen kann
bedienen,
Daß nicht von denen andern beyden auch etwas ange-
wendet ſey.
Wofern wir ſie ganz unterſchieden, und wirklich als wie
dreyerley
Betrachten und erwaͤgen wollten, wuͤrd’ es gewiß ein
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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