Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.Vermischte Gedichte Untersuchung unsers Wesens. Wenn, aus einer sprudlenden Quelle, Wasser un- aufhörlich quillt, Scheint mir selbes fast ein Bild, Wie, aus unsern sinnlichen Seelen, immer, wenn irdische Körper sie rühren, Unaufhörlich und immer Jdeen Steigen, sich zeugen, formiren, entstehen: Welche, gefüget, Gedanken formiren. Diese Gedanken in Ordnung zu bringen *, brauchet es einer vernünftigen Kraft, Deren verborgenen Eigenschaft Eigentlichs Wesen, ist nicht zu erkennen, Scheint jedoch eben das, welches wir Geist in der gewöhnlichen Redensart nennen. Ob nun gleich durch diesen Schluß, wie ich selber muß gestehen, Jn der Kenntniß unsers Wesens wir nicht eben weiter sehen; Scheint er uns doch dieß zu zeigen: unser wahres We- sen sey Ein aus Körper, Seel und Geist eigentlich vereintes Drey. Dieser * Die hauptsächlichste Kraft unsrer Vernunft beste-
het wohl darinn: unsere Jdeen und Gedanken in Ordnung zu bringen, nicht aber in göttliche Jdeen einzudringen, und mit ihnen auf dieselbe Weise zu verfahren. Vermiſchte Gedichte Unterſuchung unſers Weſens. Wenn, aus einer ſprudlenden Quelle, Waſſer un- aufhoͤrlich quillt, Scheint mir ſelbes faſt ein Bild, Wie, aus unſern ſinnlichen Seelen, immer, wenn irdiſche Koͤrper ſie ruͤhren, Unaufhoͤrlich und immer Jdeen Steigen, ſich zeugen, formiren, entſtehen: Welche, gefuͤget, Gedanken formiren. Dieſe Gedanken in Ordnung zu bringen *, brauchet es einer vernuͤnftigen Kraft, Deren verborgenen Eigenſchaft Eigentlichs Weſen, iſt nicht zu erkennen, Scheint jedoch eben das, welches wir Geiſt in der gewoͤhnlichen Redensart nennen. Ob nun gleich durch dieſen Schluß, wie ich ſelber muß geſtehen, Jn der Kenntniß unſers Weſens wir nicht eben weiter ſehen; Scheint er uns doch dieß zu zeigen: unſer wahres We- ſen ſey Ein aus Koͤrper, Seel und Geiſt eigentlich vereintes Drey. Dieſer * Die hauptſaͤchlichſte Kraft unſrer Vernunft beſte-
het wohl darinn: unſere Jdeen und Gedanken in Ordnung zu bringen, nicht aber in goͤttliche Jdeen einzudringen, und mit ihnen auf dieſelbe Weiſe zu verfahren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0362" n="342"/> <fw place="top" type="header">Vermiſchte Gedichte</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Unterſuchung unſers Weſens.</hi> </head><lb/> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">W</hi>enn, aus einer ſprudlenden Quelle, Waſſer un-<lb/><hi rendition="#et">aufhoͤrlich quillt,</hi></l><lb/> <l>Scheint mir ſelbes faſt ein Bild,</l><lb/> <l>Wie, aus unſern ſinnlichen Seelen, immer, wenn<lb/><hi rendition="#et">irdiſche Koͤrper ſie ruͤhren,</hi></l><lb/> <l>Unaufhoͤrlich und immer Jdeen</l><lb/> <l>Steigen, ſich zeugen, formiren, entſtehen:</l><lb/> <l>Welche, gefuͤget, Gedanken formiren.</l><lb/> <l>Dieſe Gedanken in Ordnung zu bringen <note place="foot" n="*">Die hauptſaͤchlichſte Kraft unſrer Vernunft beſte-<lb/> het wohl darinn: unſere Jdeen und Gedanken<lb/> in Ordnung zu bringen, nicht aber in goͤttliche<lb/> Jdeen einzudringen, und mit ihnen auf dieſelbe<lb/> Weiſe zu verfahren.</note>, brauchet<lb/><hi rendition="#et">es einer vernuͤnftigen Kraft,</hi></l><lb/> <l>Deren verborgenen Eigenſchaft</l><lb/> <l>Eigentlichs Weſen, iſt nicht zu erkennen,</l><lb/> <l>Scheint jedoch eben das, welches wir Geiſt in der<lb/><hi rendition="#et">gewoͤhnlichen Redensart nennen.</hi></l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ob nun gleich durch dieſen Schluß, wie ich ſelber muß<lb/><hi rendition="#et">geſtehen,</hi></l><lb/> <l>Jn der Kenntniß unſers Weſens wir nicht eben weiter<lb/><hi rendition="#et">ſehen;</hi></l><lb/> <l>Scheint er uns doch dieß zu zeigen: unſer wahres We-<lb/><hi rendition="#et">ſen ſey</hi></l><lb/> <l>Ein aus Koͤrper, Seel und Geiſt eigentlich vereintes<lb/><hi rendition="#et">Drey.</hi></l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Dieſer</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [342/0362]
Vermiſchte Gedichte
Unterſuchung unſers Weſens.
Wenn, aus einer ſprudlenden Quelle, Waſſer un-
aufhoͤrlich quillt,
Scheint mir ſelbes faſt ein Bild,
Wie, aus unſern ſinnlichen Seelen, immer, wenn
irdiſche Koͤrper ſie ruͤhren,
Unaufhoͤrlich und immer Jdeen
Steigen, ſich zeugen, formiren, entſtehen:
Welche, gefuͤget, Gedanken formiren.
Dieſe Gedanken in Ordnung zu bringen *, brauchet
es einer vernuͤnftigen Kraft,
Deren verborgenen Eigenſchaft
Eigentlichs Weſen, iſt nicht zu erkennen,
Scheint jedoch eben das, welches wir Geiſt in der
gewoͤhnlichen Redensart nennen.
Ob nun gleich durch dieſen Schluß, wie ich ſelber muß
geſtehen,
Jn der Kenntniß unſers Weſens wir nicht eben weiter
ſehen;
Scheint er uns doch dieß zu zeigen: unſer wahres We-
ſen ſey
Ein aus Koͤrper, Seel und Geiſt eigentlich vereintes
Drey.
Dieſer
* Die hauptſaͤchlichſte Kraft unſrer Vernunft beſte-
het wohl darinn: unſere Jdeen und Gedanken
in Ordnung zu bringen, nicht aber in goͤttliche
Jdeen einzudringen, und mit ihnen auf dieſelbe
Weiſe zu verfahren.
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