So lange nun der Geister Dauer uns besser, als ihr Schwinden, scheint; So scheinet unsre Pflicht zu seyn, wenn man von ihrem Wesen meynt, Daß es besteh', und sich verbeßre. Ja, sollte man hierinn auch irren, Und etwan uns, durch Vorurtheile, die Schwäche un- sers Geists verwirren; So deucht mich, daß ein solcher Jrrthum, der Gottes Ruhm zum Grunde setzt, So sträflich nicht, als wie man meynet, und Seine Größe nicht verletzt.
Doch, weil wir, wenn wir redlich denken, befinden, daß wir wenig fassen; So will ich die Materie weit größern Geistern überlassen: Und mich allein damit begnügen, "wie auch ein Würm- chen, das so klein, "Zu groß- und würdiger Betrachtung des Schöpfers könn' ein Anlaß seyn; "Und daß sich eben unser Geist von ihm, und allen andern Thieren, "Am meisten darinn unterscheide, daß wir der Gott- heit Wesen spühren.
Unor-
Das Leben.
So lange nun der Geiſter Dauer uns beſſer, als ihr Schwinden, ſcheint; So ſcheinet unſre Pflicht zu ſeyn, wenn man von ihrem Weſen meynt, Daß es beſteh’, und ſich verbeßre. Ja, ſollte man hierinn auch irren, Und etwan uns, durch Vorurtheile, die Schwaͤche un- ſers Geiſts verwirren; So deucht mich, daß ein ſolcher Jrrthum, der Gottes Ruhm zum Grunde ſetzt, So ſtraͤflich nicht, als wie man meynet, und Seine Groͤße nicht verletzt.
Doch, weil wir, wenn wir redlich denken, befinden, daß wir wenig faſſen; So will ich die Materie weit groͤßern Geiſtern uͤberlaſſen: Und mich allein damit begnuͤgen, “wie auch ein Wuͤrm- chen, das ſo klein, “Zu groß- und wuͤrdiger Betrachtung des Schoͤpfers koͤnn’ ein Anlaß ſeyn; “Und daß ſich eben unſer Geiſt von ihm, und allen andern Thieren, “Am meiſten darinn unterſcheide, daß wir der Gott- heit Weſen ſpuͤhren.
Unor-
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Das Leben.
So lange nun der Geiſter Dauer uns beſſer, als ihr
Schwinden, ſcheint;
So ſcheinet unſre Pflicht zu ſeyn, wenn man von ihrem
Weſen meynt,
Daß es beſteh’, und ſich verbeßre. Ja, ſollte man
hierinn auch irren,
Und etwan uns, durch Vorurtheile, die Schwaͤche un-
ſers Geiſts verwirren;
So deucht mich, daß ein ſolcher Jrrthum, der Gottes
Ruhm zum Grunde ſetzt,
So ſtraͤflich nicht, als wie man meynet, und Seine Groͤße
nicht verletzt.
Doch, weil wir, wenn wir redlich denken, befinden,
daß wir wenig faſſen;
So will ich die Materie weit groͤßern Geiſtern uͤberlaſſen:
Und mich allein damit begnuͤgen, “wie auch ein Wuͤrm-
chen, das ſo klein,
“Zu groß- und wuͤrdiger Betrachtung des Schoͤpfers
koͤnn’ ein Anlaß ſeyn;
“Und daß ſich eben unſer Geiſt von ihm, und allen
andern Thieren,
“Am meiſten darinn unterſcheide, daß wir der Gott-
heit Weſen ſpuͤhren.
Unor-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/616>, abgerufen am 26.11.2024.
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