Betrachtung über die beständige Veränderung unsers Körpers.
Jndem ich jüngst, das Nagel-Fleisch zu lösen, Am Daumen hinten etwas schnitte, Und mir von ungefehr das Messer tiefer glitte, So daß, fast bis aufs Fleisch, das Horn gespalten war, Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen schien; Mußt' es jedoch nicht ganz und gar Durchhin gegangen seyn: Denn erstlich floß kein Blut, ich fühlt' auch keine Pein. Jch dankte Gott dafür, daß, vor so nahem Schaden, Der um die Breite kaum von einem Haar Von mir entfernet war, Er mich so gnädiglich beschützt aus lauter Gnaden.
Jndem ich nun darauf, Nach dem Verlauf Von wenig Tagen, Die Augen einst auf diesen Schnitt geschlagen; Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr, Daß, da er erst am Hintertheile, Am Fuß des Nagels, stand, nunmehr, und zwar Jn solcher Eile, Die meist schon ausgewachs'ne Ritze, Ganz vorn schon, an des Nagels Spitze,
Zu
Betrachtung uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung unſers Koͤrpers.
Jndem ich juͤngſt, das Nagel-Fleiſch zu loͤſen, Am Daumen hinten etwas ſchnitte, Und mir von ungefehr das Meſſer tiefer glitte, So daß, faſt bis aufs Fleiſch, das Horn geſpalten war, Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen ſchien; Mußt’ es jedoch nicht ganz und gar Durchhin gegangen ſeyn: Denn erſtlich floß kein Blut, ich fuͤhlt’ auch keine Pein. Jch dankte Gott dafuͤr, daß, vor ſo nahem Schaden, Der um die Breite kaum von einem Haar Von mir entfernet war, Er mich ſo gnaͤdiglich beſchuͤtzt aus lauter Gnaden.
Jndem ich nun darauf, Nach dem Verlauf Von wenig Tagen, Die Augen einſt auf dieſen Schnitt geſchlagen; Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr, Daß, da er erſt am Hintertheile, Am Fuß des Nagels, ſtand, nunmehr, und zwar Jn ſolcher Eile, Die meiſt ſchon ausgewachſ’ne Ritze, Ganz vorn ſchon, an des Nagels Spitze,
Zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0606"n="592"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Betrachtung<lb/>
uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung<lb/>
unſers Koͤrpers.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l><hirendition="#in">J</hi>ndem ich juͤngſt, das Nagel-Fleiſch zu loͤſen,</l><lb/><l>Am Daumen hinten etwas ſchnitte,</l><lb/><l>Und mir von ungefehr das Meſſer tiefer glitte,</l><lb/><l>So daß, faſt bis aufs Fleiſch, das Horn geſpalten war,</l><lb/><l>Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen<lb/><hirendition="#et">ſchien;</hi></l><lb/><l>Mußt’ es jedoch nicht ganz und gar</l><lb/><l>Durchhin gegangen ſeyn:</l><lb/><l>Denn erſtlich floß kein Blut, ich fuͤhlt’ auch keine Pein.</l><lb/><l>Jch dankte Gott dafuͤr, daß, vor ſo nahem Schaden,</l><lb/><l>Der um die Breite kaum von einem Haar</l><lb/><l>Von mir entfernet war,</l><lb/><l>Er mich ſo gnaͤdiglich beſchuͤtzt aus lauter Gnaden.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Jndem ich nun darauf,</l><lb/><l>Nach dem Verlauf</l><lb/><l>Von wenig Tagen,</l><lb/><l>Die Augen einſt auf dieſen Schnitt geſchlagen;</l><lb/><l>Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr,</l><lb/><l>Daß, da er erſt am Hintertheile,</l><lb/><l>Am Fuß des Nagels, ſtand, nunmehr, und zwar</l><lb/><l>Jn ſolcher Eile,</l><lb/><l>Die meiſt ſchon ausgewachſ’ne Ritze,</l><lb/><l>Ganz vorn ſchon, an des Nagels Spitze,</l><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zu</fw><lb/></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[592/0606]
Betrachtung
uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung
unſers Koͤrpers.
Jndem ich juͤngſt, das Nagel-Fleiſch zu loͤſen,
Am Daumen hinten etwas ſchnitte,
Und mir von ungefehr das Meſſer tiefer glitte,
So daß, faſt bis aufs Fleiſch, das Horn geſpalten war,
Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen
ſchien;
Mußt’ es jedoch nicht ganz und gar
Durchhin gegangen ſeyn:
Denn erſtlich floß kein Blut, ich fuͤhlt’ auch keine Pein.
Jch dankte Gott dafuͤr, daß, vor ſo nahem Schaden,
Der um die Breite kaum von einem Haar
Von mir entfernet war,
Er mich ſo gnaͤdiglich beſchuͤtzt aus lauter Gnaden.
Jndem ich nun darauf,
Nach dem Verlauf
Von wenig Tagen,
Die Augen einſt auf dieſen Schnitt geſchlagen;
Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr,
Daß, da er erſt am Hintertheile,
Am Fuß des Nagels, ſtand, nunmehr, und zwar
Jn ſolcher Eile,
Die meiſt ſchon ausgewachſ’ne Ritze,
Ganz vorn ſchon, an des Nagels Spitze,
Zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/606>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.