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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

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Aufrichtiges Geständniß, nach schuldiger
Wie wenig wir nun fassen können; so scheinet doch,
man könne schliessen,

Daß Geister, wenn sie mit den Körpern sich fügen, sich
verändern müssen;

Daß sie in einen andern Stand, als sie vorher gewesen,
kämen,

Und, es geschehe wie es wolle, doch etwas anders an sich
nähmen,

So sie vorhero nicht gehabt. (wofern wir sie,
Wie in der neuen vorbestimmten, also genannten Har-
monie,

Nicht bey und nebst den Körperchen fast müßig, wollten
laufen lassen.)

Allein, wie dieses recht gescheh, gesteh' ich gern, es nicht
zu fassen.

Es können unsers Körpers Augen fast alles, aber sich
nicht, sehn,

Als etwa bloß in einem Spiegel; so scheint es mit dem
Geist zu gehn.

Wer aber reichet uns den Spiegel, in welchem unser Geist
sich zeiget?

Da alles das, was in und um uns, von seinem wahren
Wesen schweiget;

So deucht mich, wenn man dieses erst, wie unsre Pflicht,
ermessen wollte,

Daß man von einem Richter-Spruch so lange sich ent-
halten sollte,

Bis dieser Spiegel erst gefunden,
Und daß die Menschheit, diesen Satz wohl zu beherzigen,
verbunden:

Bevor
Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Wie wenig wir nun faſſen koͤnnen; ſo ſcheinet doch,
man koͤnne ſchlieſſen,

Daß Geiſter, wenn ſie mit den Koͤrpern ſich fuͤgen, ſich
veraͤndern muͤſſen;

Daß ſie in einen andern Stand, als ſie vorher geweſen,
kaͤmen,

Und, es geſchehe wie es wolle, doch etwas anders an ſich
naͤhmen,

So ſie vorhero nicht gehabt. (wofern wir ſie,
Wie in der neuen vorbeſtimmten, alſo genannten Har-
monie,

Nicht bey und nebſt den Koͤrperchen faſt muͤßig, wollten
laufen laſſen.)

Allein, wie dieſes recht geſcheh, geſteh’ ich gern, es nicht
zu faſſen.

Es koͤnnen unſers Koͤrpers Augen faſt alles, aber ſich
nicht, ſehn,

Als etwa bloß in einem Spiegel; ſo ſcheint es mit dem
Geiſt zu gehn.

Wer aber reichet uns den Spiegel, in welchem unſer Geiſt
ſich zeiget?

Da alles das, was in und um uns, von ſeinem wahren
Weſen ſchweiget;

So deucht mich, wenn man dieſes erſt, wie unſre Pflicht,
ermeſſen wollte,

Daß man von einem Richter-Spruch ſo lange ſich ent-
halten ſollte,

Bis dieſer Spiegel erſt gefunden,
Und daß die Menſchheit, dieſen Satz wohl zu beherzigen,
verbunden:

Bevor
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[554/0568] Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger Wie wenig wir nun faſſen koͤnnen; ſo ſcheinet doch, man koͤnne ſchlieſſen, Daß Geiſter, wenn ſie mit den Koͤrpern ſich fuͤgen, ſich veraͤndern muͤſſen; Daß ſie in einen andern Stand, als ſie vorher geweſen, kaͤmen, Und, es geſchehe wie es wolle, doch etwas anders an ſich naͤhmen, So ſie vorhero nicht gehabt. (wofern wir ſie, Wie in der neuen vorbeſtimmten, alſo genannten Har- monie, Nicht bey und nebſt den Koͤrperchen faſt muͤßig, wollten laufen laſſen.) Allein, wie dieſes recht geſcheh, geſteh’ ich gern, es nicht zu faſſen. Es koͤnnen unſers Koͤrpers Augen faſt alles, aber ſich nicht, ſehn, Als etwa bloß in einem Spiegel; ſo ſcheint es mit dem Geiſt zu gehn. Wer aber reichet uns den Spiegel, in welchem unſer Geiſt ſich zeiget? Da alles das, was in und um uns, von ſeinem wahren Weſen ſchweiget; So deucht mich, wenn man dieſes erſt, wie unſre Pflicht, ermeſſen wollte, Daß man von einem Richter-Spruch ſo lange ſich ent- halten ſollte, Bis dieſer Spiegel erſt gefunden, Und daß die Menſchheit, dieſen Satz wohl zu beherzigen, verbunden: Bevor

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/568>, abgerufen am 13.05.2024.