Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Genaue Untersuchung unserer Seelen. Jhr fehlt nicht nur der Phantasey; ihr fehlet desGedächtniß Kraft, Und, ohne Vorwürf', ohn' Jdeen, der Ueberlegung Eigenschaft, Die wir Vernunft zu nennen pflegen. "Es scheint demnach, daß einer Seelen, "Der Vorwürf', und die Sinne, fehlen, "Der Seelen Name kaum gebühr; daß sie, mit ihnen, durch die Zeit, "Und durch Erfahrung, allererst zur denkenden Be- schaffenheit, "Und ihrem Wesen, recht gelange: daß sie sich allge- mach verbeßre; "Daß, durch ein oftes Ueberlegen, die Kraft zu schlies- sen, sich vergrößre: "Daß sie sodann erst richtig schliesse, wann sie vom Jrr- thum sich entfernt; "Und daß, durch oft geprüften Jrrthum, sie sich der Wahrheit nähern lernt. Durch solch ein Denken von der Seelen Wird ihr dennoch kein Vorzug fehlen. Denn, daß der Schöpfer haben wolle, Daß sie, durch Mittel ihrer Sinnen, und durch den Gegenwurf der Welt, Sich allgemach verbessern solle; Dieß nimmt ihr nichts von ihrem Wesen. Vielmehr bleibt dieses festgestellt: "Daß, wenn sie ihre Pflicht beachtet, "Den Schöpfer, im Genuß, bewundert, und, Gott zum Ruhm, die Welt betrachtet, "Sie
Genaue Unterſuchung unſerer Seelen. Jhr fehlt nicht nur der Phantaſey; ihr fehlet desGedaͤchtniß Kraft, Und, ohne Vorwuͤrf’, ohn’ Jdeen, der Ueberlegung Eigenſchaft, Die wir Vernunft zu nennen pflegen. “Es ſcheint demnach, daß einer Seelen, “Der Vorwuͤrf’, und die Sinne, fehlen, “Der Seelen Name kaum gebuͤhr; daß ſie, mit ihnen, durch die Zeit, “Und durch Erfahrung, allererſt zur denkenden Be- ſchaffenheit, “Und ihrem Weſen, recht gelange: daß ſie ſich allge- mach verbeßre; “Daß, durch ein oftes Ueberlegen, die Kraft zu ſchlieſ- ſen, ſich vergroͤßre: “Daß ſie ſodann erſt richtig ſchlieſſe, wann ſie vom Jrr- thum ſich entfernt; “Und daß, durch oft gepruͤften Jrrthum, ſie ſich der Wahrheit naͤhern lernt. Durch ſolch ein Denken von der Seelen Wird ihr dennoch kein Vorzug fehlen. Denn, daß der Schoͤpfer haben wolle, Daß ſie, durch Mittel ihrer Sinnen, und durch den Gegenwurf der Welt, Sich allgemach verbeſſern ſolle; Dieß nimmt ihr nichts von ihrem Weſen. Vielmehr bleibt dieſes feſtgeſtellt: “Daß, wenn ſie ihre Pflicht beachtet, “Den Schoͤpfer, im Genuß, bewundert, und, Gott zum Ruhm, die Welt betrachtet, “Sie
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Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
Jhr fehlt nicht nur der Phantaſey; ihr fehlet des
Gedaͤchtniß Kraft,
Und, ohne Vorwuͤrf’, ohn’ Jdeen, der Ueberlegung
Eigenſchaft,
Die wir Vernunft zu nennen pflegen. “Es ſcheint
demnach, daß einer Seelen,
“Der Vorwuͤrf’, und die Sinne, fehlen,
“Der Seelen Name kaum gebuͤhr; daß ſie, mit ihnen,
durch die Zeit,
“Und durch Erfahrung, allererſt zur denkenden Be-
ſchaffenheit,
“Und ihrem Weſen, recht gelange: daß ſie ſich allge-
mach verbeßre;
“Daß, durch ein oftes Ueberlegen, die Kraft zu ſchlieſ-
ſen, ſich vergroͤßre:
“Daß ſie ſodann erſt richtig ſchlieſſe, wann ſie vom Jrr-
thum ſich entfernt;
“Und daß, durch oft gepruͤften Jrrthum, ſie ſich der
Wahrheit naͤhern lernt.
Durch ſolch ein Denken von der Seelen
Wird ihr dennoch kein Vorzug fehlen.
Denn, daß der Schoͤpfer haben wolle,
Daß ſie, durch Mittel ihrer Sinnen, und durch den
Gegenwurf der Welt,
Sich allgemach verbeſſern ſolle;
Dieß nimmt ihr nichts von ihrem Weſen. Vielmehr
bleibt dieſes feſtgeſtellt:
“Daß, wenn ſie ihre Pflicht beachtet,
“Den Schoͤpfer, im Genuß, bewundert, und, Gott
zum Ruhm, die Welt betrachtet,
“Sie
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