Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Die abgewandte Gefahr.
Ob keinen dieser Fall betroffen? Zur frohen Antwort
hört' ich: Nein;

Und ferner: Daß die jüngsten Kinder, die in der Stunde
schreiben lernen,

Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr sich
zu entfernen,

Da sie, in einer andern Stube zu schreiben, angewiesen
seyn,

Weil die zween ältesten den Lehrer, in fremden Sprachen
sich zu üben,

Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der wär' eben
ausgeblieben,

Zu ihrer aller größtem Glück. Wie mancher Umstand
hat nicht müssen,

Bey diesem Fall, zusammen laufen, daß ihr dem nahen
Tod' entrissen,

Und unversehrt geblieben seyd! fing ich, halb bang, halb
fröhlich, an.

Wer ist, der eine weise Vorsicht, nach Würden, gnug
bewundern kann,

Die so geringe Mittel braucht, und in Gefahr so leicht
uns schützt!

Wie leicht hätt' ich zerquetschte Schädel, den Boden
ganz mit Blut besprützt-

Wie leicht erblaßte, Körper finden; wie leicht, an einem
hier, die Knochen

Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf gesplit-
tert und gebrochen,
Voll
Die abgewandte Gefahr.
Ob keinen dieſer Fall betroffen? Zur frohen Antwort
hoͤrt’ ich: Nein;

Und ferner: Daß die juͤngſten Kinder, die in der Stunde
ſchreiben lernen,

Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr ſich
zu entfernen,

Da ſie, in einer andern Stube zu ſchreiben, angewieſen
ſeyn,

Weil die zween aͤlteſten den Lehrer, in fremden Sprachen
ſich zu uͤben,

Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der waͤr’ eben
ausgeblieben,

Zu ihrer aller groͤßtem Gluͤck. Wie mancher Umſtand
hat nicht muͤſſen,

Bey dieſem Fall, zuſammen laufen, daß ihr dem nahen
Tod’ entriſſen,

Und unverſehrt geblieben ſeyd! fing ich, halb bang, halb
froͤhlich, an.

Wer iſt, der eine weiſe Vorſicht, nach Wuͤrden, gnug
bewundern kann,

Die ſo geringe Mittel braucht, und in Gefahr ſo leicht
uns ſchuͤtzt!

Wie leicht haͤtt’ ich zerquetſchte Schaͤdel, den Boden
ganz mit Blut beſpruͤtzt-

Wie leicht erblaßte, Koͤrper finden; wie leicht, an einem
hier, die Knochen

Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf geſplit-
tert und gebrochen,
Voll
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0484" n="470"/>
              <fw place="top" type="header">Die abgewandte Gefahr.</fw><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Ob keinen die&#x017F;er Fall betroffen? Zur frohen Antwort<lb/><hi rendition="#et">ho&#x0364;rt&#x2019; ich: Nein;</hi></l><lb/>
                <l>Und ferner: Daß die ju&#x0364;ng&#x017F;ten Kinder, die in der Stunde<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chreiben lernen,</hi></l><lb/>
                <l>Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">zu entfernen,</hi></l><lb/>
                <l>Da &#x017F;ie, in einer andern Stube zu &#x017F;chreiben, angewie&#x017F;en<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;eyn,</hi></l><lb/>
                <l>Weil die zween a&#x0364;lte&#x017F;ten den Lehrer, in fremden Sprachen<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich zu u&#x0364;ben,</hi></l><lb/>
                <l>Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der wa&#x0364;r&#x2019; eben<lb/><hi rendition="#et">ausgeblieben,</hi></l><lb/>
                <l>Zu ihrer aller gro&#x0364;ßtem Glu&#x0364;ck. Wie mancher Um&#x017F;tand<lb/><hi rendition="#et">hat nicht mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</hi></l><lb/>
                <l>Bey die&#x017F;em Fall, zu&#x017F;ammen laufen, daß ihr dem nahen<lb/><hi rendition="#et">Tod&#x2019; entri&#x017F;&#x017F;en,</hi></l><lb/>
                <l>Und unver&#x017F;ehrt geblieben &#x017F;eyd! fing ich, halb bang, halb<lb/><hi rendition="#et">fro&#x0364;hlich, an.</hi></l><lb/>
                <l>Wer i&#x017F;t, der eine wei&#x017F;e Vor&#x017F;icht, nach Wu&#x0364;rden, gnug<lb/><hi rendition="#et">bewundern kann,</hi></l><lb/>
                <l>Die &#x017F;o geringe Mittel braucht, und in Gefahr &#x017F;o leicht<lb/><hi rendition="#et">uns &#x017F;chu&#x0364;tzt!</hi></l><lb/>
                <l>Wie leicht ha&#x0364;tt&#x2019; ich zerquet&#x017F;chte Scha&#x0364;del, den Boden<lb/><hi rendition="#et">ganz mit Blut be&#x017F;pru&#x0364;tzt-</hi></l><lb/>
                <l>Wie leicht erblaßte, Ko&#x0364;rper finden; wie leicht, an einem<lb/><hi rendition="#et">hier, die Knochen</hi></l><lb/>
                <l>Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf ge&#x017F;plit-<lb/><hi rendition="#et">tert und gebrochen,</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Voll</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[470/0484] Die abgewandte Gefahr. Ob keinen dieſer Fall betroffen? Zur frohen Antwort hoͤrt’ ich: Nein; Und ferner: Daß die juͤngſten Kinder, die in der Stunde ſchreiben lernen, Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr ſich zu entfernen, Da ſie, in einer andern Stube zu ſchreiben, angewieſen ſeyn, Weil die zween aͤlteſten den Lehrer, in fremden Sprachen ſich zu uͤben, Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der waͤr’ eben ausgeblieben, Zu ihrer aller groͤßtem Gluͤck. Wie mancher Umſtand hat nicht muͤſſen, Bey dieſem Fall, zuſammen laufen, daß ihr dem nahen Tod’ entriſſen, Und unverſehrt geblieben ſeyd! fing ich, halb bang, halb froͤhlich, an. Wer iſt, der eine weiſe Vorſicht, nach Wuͤrden, gnug bewundern kann, Die ſo geringe Mittel braucht, und in Gefahr ſo leicht uns ſchuͤtzt! Wie leicht haͤtt’ ich zerquetſchte Schaͤdel, den Boden ganz mit Blut beſpruͤtzt- Wie leicht erblaßte, Koͤrper finden; wie leicht, an einem hier, die Knochen Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf geſplit- tert und gebrochen, Voll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/484
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/484>, abgerufen am 13.05.2024.