Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken über die Geheimniß-voll
Veränderung der Raupen.
Bilder abgeschiedner Seelen, Sommer-Vögel! mi[t]
Vergnügen

Seh' ich euch, in reiner Luft, aus dem Staub erhoben
fliegen.

Jhr habt euren morschen Körper, der euch an der Erd[e]
band,

Der ein Wurm war, abgelegt; und den kümmerlicher
Stand,

Da ihr krocht, erfreut verändert. Man wird euch, im
Gegenhalt

Mit der vormals häßlichen und verworfenen Gestalt,
Nicht verschönert und verbessert; in der That verherr-
licht, nennen;

Ja, betrachtet man euch recht, für verklärt fast, schätzen
können.
Da ihr erst am Staube klebtet, könnt ihr euch nun-
mehr erheben,

Und, mit neuer Kraft begabt, in durchstrahlten Lüften
schweben,

Wärm' und Licht vergnügt geniessen, und, was auf der
Erde schön,

Bluhmen, Bäume, Gras und Kraut, allenthalben
übersehn.
Wenn man, gegen euch, nunmehr, die zurückgelaßne
Haut,

Und des morschen Dattel-Kerns klägliche Figur beschaut;
Schei-
Gedanken uͤber die Geheimniß-voll
Veraͤnderung der Raupen.
Bilder abgeſchiedner Seelen, Sommer-Voͤgel! mi[t]
Vergnuͤgen

Seh’ ich euch, in reiner Luft, aus dem Staub erhoben
fliegen.

Jhr habt euren morſchen Koͤrper, der euch an der Erd[e]
band,

Der ein Wurm war, abgelegt; und den kuͤmmerlicher
Stand,

Da ihr krocht, erfreut veraͤndert. Man wird euch, im
Gegenhalt

Mit der vormals haͤßlichen und verworfenen Geſtalt,
Nicht verſchoͤnert und verbeſſert; in der That verherr-
licht, nennen;

Ja, betrachtet man euch recht, fuͤr verklaͤrt faſt, ſchaͤtzen
koͤnnen.
Da ihr erſt am Staube klebtet, koͤnnt ihr euch nun-
mehr erheben,

Und, mit neuer Kraft begabt, in durchſtrahlten Luͤften
ſchweben,

Waͤrm’ und Licht vergnuͤgt genieſſen, und, was auf der
Erde ſchoͤn,

Bluhmen, Baͤume, Gras und Kraut, allenthalben
uͤberſehn.
Wenn man, gegen euch, nunmehr, die zuruͤckgelaßne
Haut,

Und des morſchen Dattel-Kerns klaͤgliche Figur beſchaut;
Schei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0188" n="174"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber die Geheimniß-voll<lb/>
Vera&#x0364;nderung der Raupen.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">B</hi>ilder abge&#x017F;chiedner Seelen, Sommer-Vo&#x0364;gel! mi<supplied>t</supplied><lb/><hi rendition="#et">Vergnu&#x0364;gen</hi></l><lb/>
                <l>Seh&#x2019; ich euch, in reiner Luft, aus dem Staub erhoben<lb/><hi rendition="#et">fliegen.</hi></l><lb/>
                <l>Jhr habt euren mor&#x017F;chen Ko&#x0364;rper, der euch an der Erd<supplied>e</supplied><lb/><hi rendition="#et">band,</hi></l><lb/>
                <l>Der ein Wurm war, abgelegt; und den ku&#x0364;mmerlicher<lb/><hi rendition="#et">Stand,</hi></l><lb/>
                <l>Da ihr krocht, erfreut vera&#x0364;ndert. Man wird euch, im<lb/><hi rendition="#et">Gegenhalt</hi></l><lb/>
                <l>Mit der vormals ha&#x0364;ßlichen und verworfenen Ge&#x017F;talt,</l><lb/>
                <l>Nicht ver&#x017F;cho&#x0364;nert und verbe&#x017F;&#x017F;ert; in der That verherr-<lb/><hi rendition="#et">licht, nennen;</hi></l><lb/>
                <l>Ja, betrachtet man euch recht, fu&#x0364;r verkla&#x0364;rt fa&#x017F;t, &#x017F;cha&#x0364;tzen<lb/><hi rendition="#et">ko&#x0364;nnen.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Da ihr er&#x017F;t am Staube klebtet, ko&#x0364;nnt ihr euch nun-<lb/><hi rendition="#et">mehr erheben,</hi></l><lb/>
                <l>Und, mit neuer Kraft begabt, in durch&#x017F;trahlten Lu&#x0364;ften<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chweben,</hi></l><lb/>
                <l>Wa&#x0364;rm&#x2019; und Licht vergnu&#x0364;gt genie&#x017F;&#x017F;en, und, was auf der<lb/><hi rendition="#et">Erde &#x017F;cho&#x0364;n,</hi></l><lb/>
                <l>Bluhmen, Ba&#x0364;ume, Gras und Kraut, allenthalben<lb/><hi rendition="#et">u&#x0364;ber&#x017F;ehn.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Wenn man, gegen euch, nunmehr, die zuru&#x0364;ckgelaßne<lb/><hi rendition="#et">Haut,</hi></l><lb/>
                <l>Und des mor&#x017F;chen Dattel-Kerns kla&#x0364;gliche Figur be&#x017F;chaut;</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Schei-</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0188] Gedanken uͤber die Geheimniß-voll Veraͤnderung der Raupen. Bilder abgeſchiedner Seelen, Sommer-Voͤgel! mit Vergnuͤgen Seh’ ich euch, in reiner Luft, aus dem Staub erhoben fliegen. Jhr habt euren morſchen Koͤrper, der euch an der Erde band, Der ein Wurm war, abgelegt; und den kuͤmmerlicher Stand, Da ihr krocht, erfreut veraͤndert. Man wird euch, im Gegenhalt Mit der vormals haͤßlichen und verworfenen Geſtalt, Nicht verſchoͤnert und verbeſſert; in der That verherr- licht, nennen; Ja, betrachtet man euch recht, fuͤr verklaͤrt faſt, ſchaͤtzen koͤnnen. Da ihr erſt am Staube klebtet, koͤnnt ihr euch nun- mehr erheben, Und, mit neuer Kraft begabt, in durchſtrahlten Luͤften ſchweben, Waͤrm’ und Licht vergnuͤgt genieſſen, und, was auf der Erde ſchoͤn, Bluhmen, Baͤume, Gras und Kraut, allenthalben uͤberſehn. Wenn man, gegen euch, nunmehr, die zuruͤckgelaßne Haut, Und des morſchen Dattel-Kerns klaͤgliche Figur beſchaut; Schei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/188
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/188>, abgerufen am 23.11.2024.