Zu Mittag schneit' und regnet' es, so daß man billig sagen mag: Der zehn- und sechste Februar war fast der erste Winter- Tag. Bey dieser ausserordentlich- und wunderschönen Win- ter-Zeit Hab' ich von ungefehr ein Probstück gewöhnlicher Beschaf- fenheit Des menschlichen Gemühts erfahren, und wie wir, durch Unachtsamkeit Des Guten, immer für das Gute recht fühllos, mehr als Maulwurf blind, Und folglich, wär es noch so gut, doch immer unzufrie- den sind. Verschiedne, die nicht so, wie ich, den Stand der Wit- terung betrachtet, Und, in gewöhnter Sorglosheit, derselben Anmuht nicht beachtet, Einfolglich ihn auch nicht gefühlt, begunten, so wie es der Brauch, Daß man vom Wetter öfters spricht, weil mans gewohnt, vom Wetter auch, Daß wir gar einen schlechten Winter erlebt, kaltsinnig herzusagen. Jch stutzt', und konnt' es nicht begreifen. Jch fing daher an sie zu fragen: Wie es doch möglich so zu sprechen, da ja das Wetter angenehm, Vortreflich, sanft, gelind' und heiter, und auch so gar beym Frost bequehm, Es kalt und nicht zu kalt gewesen? Worüber sie zurücke dachten,
Und
Beſchreibung einer lieblichen
Zu Mittag ſchneit’ und regnet’ es, ſo daß man billig ſagen mag: Der zehn- und ſechste Februar war faſt der erſte Winter- Tag. Bey dieſer auſſerordentlich- und wunderſchoͤnen Win- ter-Zeit Hab’ ich von ungefehr ein Probſtuͤck gewoͤhnlicher Beſchaf- fenheit Des menſchlichen Gemuͤhts erfahren, und wie wir, durch Unachtſamkeit Des Guten, immer fuͤr das Gute recht fuͤhllos, mehr als Maulwurf blind, Und folglich, waͤr es noch ſo gut, doch immer unzufrie- den ſind. Verſchiedne, die nicht ſo, wie ich, den Stand der Wit- terung betrachtet, Und, in gewoͤhnter Sorglosheit, derſelben Anmuht nicht beachtet, Einfolglich ihn auch nicht gefuͤhlt, begunten, ſo wie es der Brauch, Daß man vom Wetter oͤfters ſpricht, weil mans gewohnt, vom Wetter auch, Daß wir gar einen ſchlechten Winter erlebt, kaltſinnig herzuſagen. Jch ſtutzt’, und konnt’ es nicht begreifen. Jch fing daher an ſie zu fragen: Wie es doch moͤglich ſo zu ſprechen, da ja das Wetter angenehm, Vortreflich, ſanft, gelind’ und heiter, und auch ſo gar beym Froſt bequehm, Es kalt und nicht zu kalt geweſen? Woruͤber ſie zuruͤcke dachten,
Und
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Beſchreibung einer lieblichen
Zu Mittag ſchneit’ und regnet’ es, ſo daß man billig
ſagen mag:
Der zehn- und ſechste Februar war faſt der erſte Winter-
Tag.
Bey dieſer auſſerordentlich- und wunderſchoͤnen Win-
ter-Zeit
Hab’ ich von ungefehr ein Probſtuͤck gewoͤhnlicher Beſchaf-
fenheit
Des menſchlichen Gemuͤhts erfahren, und wie wir, durch
Unachtſamkeit
Des Guten, immer fuͤr das Gute recht fuͤhllos, mehr als
Maulwurf blind,
Und folglich, waͤr es noch ſo gut, doch immer unzufrie-
den ſind.
Verſchiedne, die nicht ſo, wie ich, den Stand der Wit-
terung betrachtet,
Und, in gewoͤhnter Sorglosheit, derſelben Anmuht nicht
beachtet,
Einfolglich ihn auch nicht gefuͤhlt, begunten, ſo wie es
der Brauch,
Daß man vom Wetter oͤfters ſpricht, weil mans gewohnt,
vom Wetter auch,
Daß wir gar einen ſchlechten Winter erlebt, kaltſinnig
herzuſagen.
Jch ſtutzt’, und konnt’ es nicht begreifen. Jch fing daher
an ſie zu fragen:
Wie es doch moͤglich ſo zu ſprechen, da ja das Wetter
angenehm,
Vortreflich, ſanft, gelind’ und heiter, und auch ſo gar
beym Froſt bequehm,
Es kalt und nicht zu kalt geweſen? Woruͤber ſie zuruͤcke
dachten,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/584>, abgerufen am 22.11.2024.
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