Ob dieser letztere Begriff der Thorheit unsre Thorheit mindert, Wie, oder sie annoch vermehrt; laß ich dahin gestellet seyn. Doch deucht mich, daß die letzte Stolz und Heucheley verbindt. Allein Mich deucht, ich hör hier die Gelehrten, zumalen W*** sprechen:
"Soll ich denn mein Talent, den Geist, den ich als eine seltne Gabe, "Vor so viel tausend andern aus, vom Schöpfer selbst em- pfangen habe, "Vergraben und zu nichts gebrauchen? Mich deucht, es wär dieß ein Verbrechen. "Wie kann, zum Vorwurf unsers Geists, ein edlerer gefun- den werden, "Als Gottes Wesen nach zu spüren? Und im Erkenntniß zuzu- nehmen, "Des überall vorhandnen Wesens, des Schöpfers Himmels und der Erden? "Um durch Erkenntniß dessen Wesens, der uns nach seinem Bilde machte, "Der selbst den Athem in uns bließ, der selbst in uns das We- sen brachte, "Jm Fassen ähnlicher zu werden. Es kommet deine Mey- nung mir "Vielmehr, als eine niederträchtig und abergläubsche De- muth, für, "Die lieber immer kriechen will, die lieber an der Erde kleben, "Als durch ein abgezognes Denken sich immer höher noch er heben, "Jm weiten Raum der Geistigkeiten, auf immer regen Flü- geln, schweben,
Und
Nachtheiliges Unterſtehen
Ob dieſer letztere Begriff der Thorheit unſre Thorheit mindert, Wie, oder ſie annoch vermehrt; laß ich dahin geſtellet ſeyn. Doch deucht mich, daß die letzte Stolz und Heucheley verbindt. Allein Mich deucht, ich hoͤr hier die Gelehrten, zumalen W*** ſprechen:
„Soll ich denn mein Talent, den Geiſt, den ich als eine ſeltne Gabe, „Vor ſo viel tauſend andern aus, vom Schoͤpfer ſelbſt em- pfangen habe, „Vergraben und zu nichts gebrauchen? Mich deucht, es waͤr dieß ein Verbrechen. „Wie kann, zum Vorwurf unſers Geiſts, ein edlerer gefun- den werden, „Als Gottes Weſen nach zu ſpuͤren? Und im Erkenntniß zuzu- nehmen, „Des uͤberall vorhandnen Weſens, des Schoͤpfers Himmels und der Erden? „Um durch Erkenntniß deſſen Weſens, der uns nach ſeinem Bilde machte, „Der ſelbſt den Athem in uns bließ, der ſelbſt in uns das We- ſen brachte, „Jm Faſſen aͤhnlicher zu werden. Es kommet deine Mey- nung mir „Vielmehr, als eine niedertraͤchtig und aberglaͤubſche De- muth, fuͤr, „Die lieber immer kriechen will, die lieber an der Erde kleben, „Als durch ein abgezognes Denken ſich immer hoͤher noch er heben, „Jm weiten Raum der Geiſtigkeiten, auf immer regen Fluͤ- geln, ſchweben,
Und
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Nachtheiliges Unterſtehen
Ob dieſer letztere Begriff der Thorheit unſre Thorheit
mindert,
Wie, oder ſie annoch vermehrt; laß ich dahin geſtellet ſeyn.
Doch deucht mich, daß die letzte Stolz und Heucheley verbindt.
Allein
Mich deucht, ich hoͤr hier die Gelehrten, zumalen W*** ſprechen:
„Soll ich denn mein Talent, den Geiſt, den ich als eine ſeltne
Gabe,
„Vor ſo viel tauſend andern aus, vom Schoͤpfer ſelbſt em-
pfangen habe,
„Vergraben und zu nichts gebrauchen? Mich deucht, es waͤr
dieß ein Verbrechen.
„Wie kann, zum Vorwurf unſers Geiſts, ein edlerer gefun-
den werden,
„Als Gottes Weſen nach zu ſpuͤren? Und im Erkenntniß zuzu-
nehmen,
„Des uͤberall vorhandnen Weſens, des Schoͤpfers Himmels
und der Erden?
„Um durch Erkenntniß deſſen Weſens, der uns nach ſeinem
Bilde machte,
„Der ſelbſt den Athem in uns bließ, der ſelbſt in uns das We-
ſen brachte,
„Jm Faſſen aͤhnlicher zu werden. Es kommet deine Mey-
nung mir
„Vielmehr, als eine niedertraͤchtig und aberglaͤubſche De-
muth, fuͤr,
„Die lieber immer kriechen will, die lieber an der Erde kleben,
„Als durch ein abgezognes Denken ſich immer hoͤher noch er
heben,
„Jm weiten Raum der Geiſtigkeiten, auf immer regen Fluͤ-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/628>, abgerufen am 22.11.2024.
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