Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
in Merseburg.
Wie ist mir? trau ich meinen Augen?
Betrieget mich die Kunst? nein, nein!
Es kann nur die Natur allein,
Solch künstlich Werk zu wirken, taugen.
Doch wie? wer hat sie je so schön,
Mit Zwirn, ihr Werk verrichten sehn!

Jch dachte diesem Gedanken von der Natur weiter nach,
und bemühete mich, die wohl ehe von mir gehegte
Meynung, ob unterscheideten wir mit Unrecht die Kunst
von der Natur, aus Dero Bewunders-werthen Arbeit
zu befestigen. Hierüber erinnerte ich mich, was ich des-
falls vor dem geschrieben:

Wer, durch des Schöpfers Gunst,
Vom Weisheits-Feur entzündet,
Die Kunst erwegt; befindet
Natur, auch in der größten Kunst.

Dieser Einfall dürfte vielleicht einigen nicht zu galant vor-
kommen, einem so schön-als kunst-und sinnreichen Frau-
enzimmer eines mit so vielem Fleiß erhaltenen Verdienstes
gleichsam zu berauben. Jch würde auch einer andern
als Mademoiselle Weisen es vorzusagen mich enthalten
haben, weil man ihre Eigenschaften besitzen muß, der-
gleichen Compliment ertragen zu können. Jhre tiefe Ein-
sichten aber werden ausser Zweifel es für keine Verringe-
rung ihres Lobes halten, als ein ganz besonders Werkzeug
der Natur, angesehen zu werden, und folgendes Lob mit
Recht zu verdienen.



Es
L l 5
in Merſeburg.
Wie iſt mir? trau ich meinen Augen?
Betrieget mich die Kunſt? nein, nein!
Es kann nur die Natur allein,
Solch kuͤnſtlich Werk zu wirken, taugen.
Doch wie? wer hat ſie je ſo ſchoͤn,
Mit Zwirn, ihr Werk verrichten ſehn!

Jch dachte dieſem Gedanken von der Natur weiter nach,
und bemuͤhete mich, die wohl ehe von mir gehegte
Meynung, ob unterſcheideten wir mit Unrecht die Kunſt
von der Natur, aus Dero Bewunders-werthen Arbeit
zu befeſtigen. Hieruͤber erinnerte ich mich, was ich des-
falls vor dem geſchrieben:

Wer, durch des Schoͤpfers Gunſt,
Vom Weisheits-Feur entzuͤndet,
Die Kunſt erwegt; befindet
Natur, auch in der groͤßten Kunſt.

Dieſer Einfall duͤrfte vielleicht einigen nicht zu galant vor-
kommen, einem ſo ſchoͤn-als kunſt-und ſinnreichen Frau-
enzimmer eines mit ſo vielem Fleiß erhaltenen Verdienſtes
gleichſam zu berauben. Jch wuͤrde auch einer andern
als Mademoiſelle Weiſen es vorzuſagen mich enthalten
haben, weil man ihre Eigenſchaften beſitzen muß, der-
gleichen Compliment ertragen zu koͤnnen. Jhre tiefe Ein-
ſichten aber werden auſſer Zweifel es fuͤr keine Verringe-
rung ihres Lobes halten, als ein ganz beſonders Werkzeug
der Natur, angeſehen zu werden, und folgendes Lob mit
Recht zu verdienen.



Es
L l 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0561" n="537"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">in Mer&#x017F;eburg.</hi> </fw><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wie i&#x017F;t mir? trau ich meinen Augen?</l><lb/>
            <l>Betrieget mich die <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t?</hi> nein, nein!</l><lb/>
            <l>Es kann nur die <hi rendition="#fr">Natur</hi> allein,</l><lb/>
            <l>Solch ku&#x0364;n&#x017F;tlich Werk zu wirken, taugen.</l><lb/>
            <l>Doch wie? wer hat &#x017F;ie je &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
            <l>Mit Zwirn, ihr Werk verrichten &#x017F;ehn!</l>
          </lg><lb/>
          <p>Jch dachte die&#x017F;em Gedanken von der Natur weiter nach,<lb/>
und bemu&#x0364;hete mich, die wohl ehe von mir gehegte<lb/>
Meynung, ob unter&#x017F;cheideten wir mit Unrecht die <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t</hi><lb/>
von der <hi rendition="#fr">Natur,</hi> aus Dero Bewunders-werthen Arbeit<lb/>
zu befe&#x017F;tigen. Hieru&#x0364;ber erinnerte ich mich, was ich des-<lb/>
falls vor dem ge&#x017F;chrieben:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wer, durch des Scho&#x0364;pfers Gun&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Vom Weisheits-Feur entzu&#x0364;ndet,</l><lb/>
            <l>Die <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t</hi> erwegt; befindet</l><lb/>
            <l><hi rendition="#fr">Natur,</hi> auch in der gro&#x0364;ßten <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Einfall du&#x0364;rfte vielleicht einigen nicht zu galant vor-<lb/>
kommen, einem &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n-als kun&#x017F;t-und &#x017F;innreichen Frau-<lb/>
enzimmer eines mit &#x017F;o vielem Fleiß erhaltenen Verdien&#x017F;tes<lb/>
gleich&#x017F;am zu berauben. Jch wu&#x0364;rde auch einer andern<lb/>
als <hi rendition="#aq">Mademoi&#x017F;elle</hi> <hi rendition="#fr">Wei&#x017F;en</hi> es vorzu&#x017F;agen mich enthalten<lb/>
haben, weil man ihre Eigen&#x017F;chaften be&#x017F;itzen muß, der-<lb/>
gleichen Compliment ertragen zu ko&#x0364;nnen. Jhre tiefe Ein-<lb/>
&#x017F;ichten aber werden au&#x017F;&#x017F;er Zweifel es fu&#x0364;r keine Verringe-<lb/>
rung ihres Lobes halten, als ein ganz be&#x017F;onders Werkzeug<lb/>
der Natur, ange&#x017F;ehen zu werden, und folgendes Lob mit<lb/>
Recht zu verdienen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">L l 5</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0561] in Merſeburg. Wie iſt mir? trau ich meinen Augen? Betrieget mich die Kunſt? nein, nein! Es kann nur die Natur allein, Solch kuͤnſtlich Werk zu wirken, taugen. Doch wie? wer hat ſie je ſo ſchoͤn, Mit Zwirn, ihr Werk verrichten ſehn! Jch dachte dieſem Gedanken von der Natur weiter nach, und bemuͤhete mich, die wohl ehe von mir gehegte Meynung, ob unterſcheideten wir mit Unrecht die Kunſt von der Natur, aus Dero Bewunders-werthen Arbeit zu befeſtigen. Hieruͤber erinnerte ich mich, was ich des- falls vor dem geſchrieben: Wer, durch des Schoͤpfers Gunſt, Vom Weisheits-Feur entzuͤndet, Die Kunſt erwegt; befindet Natur, auch in der groͤßten Kunſt. Dieſer Einfall duͤrfte vielleicht einigen nicht zu galant vor- kommen, einem ſo ſchoͤn-als kunſt-und ſinnreichen Frau- enzimmer eines mit ſo vielem Fleiß erhaltenen Verdienſtes gleichſam zu berauben. Jch wuͤrde auch einer andern als Mademoiſelle Weiſen es vorzuſagen mich enthalten haben, weil man ihre Eigenſchaften beſitzen muß, der- gleichen Compliment ertragen zu koͤnnen. Jhre tiefe Ein- ſichten aber werden auſſer Zweifel es fuͤr keine Verringe- rung ihres Lobes halten, als ein ganz beſonders Werkzeug der Natur, angeſehen zu werden, und folgendes Lob mit Recht zu verdienen. Es L l 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/561
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/561>, abgerufen am 23.11.2024.