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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

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Traum-Gesicht.
Aus ihren unvernünftgen Werken,
War es wahrhaftig nicht zu merken.
Zumal da sie, durch diese Wuth getrieben,
Nicht Gott, nicht ihren Nächsten lieben,
Jndem sie sich, zu hassen, afterreden,
Verketzern, zu verfolgen, sich bemühn,
Mit Feur und Schwerdt, ja gar mit Krieg, zu überziehn,
Sich nicht entblöden,
Um die ja ohne das so kurze Zeit zu leben,
So ihnen die Natur gegeben,
Noch zu verkürzen, zu vermindern,
Ja gar, so lang sie sind, vergnügt zu seyn, zu hindern,
Und ihren Stand, der leidlich, zu vergällen,
So daß bey euch ja leider! sonder Zweifel,
Das Sprichwort wahr: Es ist ein Mensch des andern Teufel.
Nun sprich du selbst, was doch ein solcher Stand,
Jn welchem ich die Menschheit fand,
Bevor ich etwas bessers wußte,
Mir vor Begriffe machen mußte.
Ob ich die Menschen nicht für Mitteldinge,
Die klüger zwar, als wie ein Thier,
Doch lange nicht so klug, als wir,
Verwerflich, eitel, sehr geringe,
Jhr Wesen folglich auch zerstörlich schätzen mußte.
Wie aber ich hingegen auch erwog,
Was für besondere Vollkommenheiten,
Gelehrigkeit, Begriffe, Fähigkeiten,
Für sonderlich-und auserlesne Gaben,
Sie noch bey allem Jrrthum haben:
So ward ich ungewiß, und wußte nicht zu fassen,
Wie solche widrige Beschaffenheiten sich,
Ohn eine gänzliche Zerrüttung, fügen lassen;
Wie
Traum-Geſicht.
Aus ihren unvernuͤnftgen Werken,
War es wahrhaftig nicht zu merken.
Zumal da ſie, durch dieſe Wuth getrieben,
Nicht Gott, nicht ihren Naͤchſten lieben,
Jndem ſie ſich, zu haſſen, afterreden,
Verketzern, zu verfolgen, ſich bemuͤhn,
Mit Feur und Schwerdt, ja gar mit Krieg, zu uͤberziehn,
Sich nicht entbloͤden,
Um die ja ohne das ſo kurze Zeit zu leben,
So ihnen die Natur gegeben,
Noch zu verkuͤrzen, zu vermindern,
Ja gar, ſo lang ſie ſind, vergnuͤgt zu ſeyn, zu hindern,
Und ihren Stand, der leidlich, zu vergaͤllen,
So daß bey euch ja leider! ſonder Zweifel,
Das Sprichwort wahr: Es iſt ein Menſch des andern Teufel.
Nun ſprich du ſelbſt, was doch ein ſolcher Stand,
Jn welchem ich die Menſchheit fand,
Bevor ich etwas beſſers wußte,
Mir vor Begriffe machen mußte.
Ob ich die Menſchen nicht fuͤr Mitteldinge,
Die kluͤger zwar, als wie ein Thier,
Doch lange nicht ſo klug, als wir,
Verwerflich, eitel, ſehr geringe,
Jhr Weſen folglich auch zerſtoͤrlich ſchaͤtzen mußte.
Wie aber ich hingegen auch erwog,
Was fuͤr beſondere Vollkommenheiten,
Gelehrigkeit, Begriffe, Faͤhigkeiten,
Fuͤr ſonderlich-und auserleſne Gaben,
Sie noch bey allem Jrrthum haben:
So ward ich ungewiß, und wußte nicht zu faſſen,
Wie ſolche widrige Beſchaffenheiten ſich,
Ohn eine gaͤnzliche Zerruͤttung, fuͤgen laſſen;
Wie
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[294/0318] Traum-Geſicht. Aus ihren unvernuͤnftgen Werken, War es wahrhaftig nicht zu merken. Zumal da ſie, durch dieſe Wuth getrieben, Nicht Gott, nicht ihren Naͤchſten lieben, Jndem ſie ſich, zu haſſen, afterreden, Verketzern, zu verfolgen, ſich bemuͤhn, Mit Feur und Schwerdt, ja gar mit Krieg, zu uͤberziehn, Sich nicht entbloͤden, Um die ja ohne das ſo kurze Zeit zu leben, So ihnen die Natur gegeben, Noch zu verkuͤrzen, zu vermindern, Ja gar, ſo lang ſie ſind, vergnuͤgt zu ſeyn, zu hindern, Und ihren Stand, der leidlich, zu vergaͤllen, So daß bey euch ja leider! ſonder Zweifel, Das Sprichwort wahr: Es iſt ein Menſch des andern Teufel. Nun ſprich du ſelbſt, was doch ein ſolcher Stand, Jn welchem ich die Menſchheit fand, Bevor ich etwas beſſers wußte, Mir vor Begriffe machen mußte. Ob ich die Menſchen nicht fuͤr Mitteldinge, Die kluͤger zwar, als wie ein Thier, Doch lange nicht ſo klug, als wir, Verwerflich, eitel, ſehr geringe, Jhr Weſen folglich auch zerſtoͤrlich ſchaͤtzen mußte. Wie aber ich hingegen auch erwog, Was fuͤr beſondere Vollkommenheiten, Gelehrigkeit, Begriffe, Faͤhigkeiten, Fuͤr ſonderlich-und auserleſne Gaben, Sie noch bey allem Jrrthum haben: So ward ich ungewiß, und wußte nicht zu faſſen, Wie ſolche widrige Beſchaffenheiten ſich, Ohn eine gaͤnzliche Zerruͤttung, fuͤgen laſſen; Wie

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/318>, abgerufen am 26.06.2024.