Betrübt ists, daß man sagen muß: Es kann fürwahr das dummste Thier, Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen, Des Schöpfers herrlich Werk besehn, den schönen Schmuck der Welt erwegen, Und minder einer Gottheit Stral in selbiger erhöhn, als wir.
Jch habe jüngst von ungefahr, von meinen Schafen eins gesehn, Jn einer aufmerksamen Stellung, mit großen offnen Augen, stehn, Als wenn es das beblümte Feld, und wie die schöne Welt sich schmückte, Recht inniglich dadurch gerührt, mit rechter Achtsamkeit er- blickte. Jch wunderte mich erst darüber, allein, ich sahe plötzlich, daß Es seinen aufgehobnen Kopf, mit schnellem Ruck, zur Erden bückte, Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemsigkeit, sein Gras, Als wenn es nichts gesehen hätte, ohn ferners Sehn und Den- ken fraß. Ach! dacht ich, handeltest du so, mein Schäfgen, mit der Welt allein! Ach möchtest du doch nicht von uns ein gar zu ähnlich Sinn- bild seyn!
Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geschöp- fen nicht vereinen: So kann uns, von des Schöpfers Werken, fast nichts Betrach- tungs-würdig scheinen. Ja wir vermögen, auf der Welt, den Schöpfer selber nicht zu finden, Wo wir mit unsrer Sinnen Kräften der Seelen Kräfte nicht verbinden.
Jch
Sinnen-Schule.
Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das dummſte Thier, Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen, Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck der Welt erwegen, Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir.
Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins geſehn, Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen, ſtehn, Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt ſich ſchmuͤckte, Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er- blickte. Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden buͤckte, Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras, Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den- ken fraß. Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt allein! Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn- bild ſeyn!
Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp- fen nicht vereinen: So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach- tungs-wuͤrdig ſcheinen. Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu finden, Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht verbinden.
Jch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="19"><l><pbfacs="#f0296"n="272"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sinnen-Schule.</hi></fw><lb/>
Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das<lb/><hirendition="#et">dummſte Thier,</hi></l><lb/><l>Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,</l><lb/><l>Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck<lb/><hirendition="#et">der Welt erwegen,</hi></l><lb/><l>Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir.</l></lg><lb/><lgn="20"><l>Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins<lb/><hirendition="#et">geſehn,</hi></l><lb/><l>Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen,<lb/><hirendition="#et">ſtehn,</hi></l><lb/><l>Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt<lb/><hirendition="#et">ſich ſchmuͤckte,</hi></l><lb/><l>Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er-<lb/><hirendition="#et">blickte.</hi></l><lb/><l>Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß</l><lb/><l>Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden<lb/><hirendition="#et">buͤckte,</hi></l><lb/><l>Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras,</l><lb/><l>Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den-<lb/><hirendition="#et">ken fraß.</hi></l><lb/><l>Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt<lb/><hirendition="#et">allein!</hi></l><lb/><l>Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn-<lb/><hirendition="#et">bild ſeyn!</hi></l></lg><lb/><lgn="21"><l>Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp-<lb/><hirendition="#et">fen nicht vereinen:</hi></l><lb/><l>So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach-<lb/><hirendition="#et">tungs-wuͤrdig ſcheinen.</hi></l><lb/><l>Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu<lb/><hirendition="#et">finden,</hi></l><lb/><l>Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht<lb/><hirendition="#et">verbinden.</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jch</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[272/0296]
Sinnen-Schule.
Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das
dummſte Thier,
Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,
Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck
der Welt erwegen,
Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir.
Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins
geſehn,
Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen,
ſtehn,
Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt
ſich ſchmuͤckte,
Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er-
blickte.
Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß
Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden
buͤckte,
Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras,
Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den-
ken fraß.
Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt
allein!
Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn-
bild ſeyn!
Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp-
fen nicht vereinen:
So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach-
tungs-wuͤrdig ſcheinen.
Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu
finden,
Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht
verbinden.
Jch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/296>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.