Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnen-Schule.
Betrübt ists, daß man sagen muß: Es kann fürwahr das
dummste Thier,
Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,
Des Schöpfers herrlich Werk besehn, den schönen Schmuck
der Welt erwegen,

Und minder einer Gottheit Stral in selbiger erhöhn, als wir.

Jch habe jüngst von ungefahr, von meinen Schafen eins
gesehn,

Jn einer aufmerksamen Stellung, mit großen offnen Augen,
stehn,

Als wenn es das beblümte Feld, und wie die schöne Welt
sich schmückte,

Recht inniglich dadurch gerührt, mit rechter Achtsamkeit er-
blickte.

Jch wunderte mich erst darüber, allein, ich sahe plötzlich, daß
Es seinen aufgehobnen Kopf, mit schnellem Ruck, zur Erden
bückte,

Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemsigkeit, sein Gras,
Als wenn es nichts gesehen hätte, ohn ferners Sehn und Den-
ken fraß.

Ach! dacht ich, handeltest du so, mein Schäfgen, mit der Welt
allein!

Ach möchtest du doch nicht von uns ein gar zu ähnlich Sinn-
bild seyn!
Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geschöp-
fen nicht vereinen:

So kann uns, von des Schöpfers Werken, fast nichts Betrach-
tungs-würdig scheinen.

Ja wir vermögen, auf der Welt, den Schöpfer selber nicht zu
finden,

Wo wir mit unsrer Sinnen Kräften der Seelen Kräfte nicht
verbinden.
Jch

Sinnen-Schule.
Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das
dummſte Thier,
Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,
Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck
der Welt erwegen,

Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir.

Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins
geſehn,

Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen,
ſtehn,

Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt
ſich ſchmuͤckte,

Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er-
blickte.

Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß
Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden
buͤckte,

Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras,
Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den-
ken fraß.

Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt
allein!

Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn-
bild ſeyn!
Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp-
fen nicht vereinen:

So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach-
tungs-wuͤrdig ſcheinen.

Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu
finden,

Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht
verbinden.
Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="19">
            <l><pb facs="#f0296" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sinnen-Schule.</hi></fw><lb/>
Betru&#x0364;bt i&#x017F;ts, daß man &#x017F;agen muß: Es kann fu&#x0364;rwahr das<lb/><hi rendition="#et">dumm&#x017F;te Thier,</hi></l><lb/>
            <l>Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,</l><lb/>
            <l>Des Scho&#x0364;pfers herrlich Werk be&#x017F;ehn, den &#x017F;cho&#x0364;nen Schmuck<lb/><hi rendition="#et">der Welt erwegen,</hi></l><lb/>
            <l>Und minder einer Gottheit Stral in &#x017F;elbiger erho&#x0364;hn, als wir.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="20">
            <l>Jch habe ju&#x0364;ng&#x017F;t von ungefahr, von meinen Schafen eins<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;ehn,</hi></l><lb/>
            <l>Jn einer aufmerk&#x017F;amen Stellung, mit großen offnen Augen,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tehn,</hi></l><lb/>
            <l>Als wenn es das beblu&#x0364;mte Feld, und wie die &#x017F;cho&#x0364;ne Welt<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich &#x017F;chmu&#x0364;ckte,</hi></l><lb/>
            <l>Recht inniglich dadurch geru&#x0364;hrt, mit rechter Acht&#x017F;amkeit er-<lb/><hi rendition="#et">blickte.</hi></l><lb/>
            <l>Jch wunderte mich er&#x017F;t daru&#x0364;ber, allein, ich &#x017F;ahe plo&#x0364;tzlich, daß</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;einen aufgehobnen Kopf, mit &#x017F;chnellem Ruck, zur Erden<lb/><hi rendition="#et">bu&#x0364;ckte,</hi></l><lb/>
            <l>Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aem&#x017F;igkeit, &#x017F;ein Gras,</l><lb/>
            <l>Als wenn es nichts ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte, ohn ferners Sehn und Den-<lb/><hi rendition="#et">ken fraß.</hi></l><lb/>
            <l>Ach! dacht ich, handelte&#x017F;t du &#x017F;o, mein Scha&#x0364;fgen, mit der Welt<lb/><hi rendition="#et">allein!</hi></l><lb/>
            <l>Ach mo&#x0364;chte&#x017F;t du doch nicht von uns ein gar zu a&#x0364;hnlich Sinn-<lb/><hi rendition="#et">bild &#x017F;eyn!</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="21">
            <l>Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Ge&#x017F;cho&#x0364;p-<lb/><hi rendition="#et">fen nicht vereinen:</hi></l><lb/>
            <l>So kann uns, von des Scho&#x0364;pfers Werken, fa&#x017F;t nichts Betrach-<lb/><hi rendition="#et">tungs-wu&#x0364;rdig &#x017F;cheinen.</hi></l><lb/>
            <l>Ja wir vermo&#x0364;gen, auf der Welt, den Scho&#x0364;pfer &#x017F;elber nicht zu<lb/><hi rendition="#et">finden,</hi></l><lb/>
            <l>Wo wir mit un&#x017F;rer Sinnen Kra&#x0364;ften der Seelen Kra&#x0364;fte nicht<lb/><hi rendition="#et">verbinden.</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0296] Sinnen-Schule. Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das dummſte Thier, Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen, Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck der Welt erwegen, Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir. Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins geſehn, Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen, ſtehn, Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt ſich ſchmuͤckte, Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er- blickte. Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden buͤckte, Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras, Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den- ken fraß. Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt allein! Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn- bild ſeyn! Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp- fen nicht vereinen: So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach- tungs-wuͤrdig ſcheinen. Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu finden, Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht verbinden. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/296
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/296>, abgerufen am 25.05.2024.