Wir leben jetzt im späten Herbst. Der vormals schönen Welt Gestalt Jst ganz verändert; Gras und Kraut sind welk; die Luft ist kalt; Die Erde schlackricht, feucht und tief. Doch weil das Wetter heute leidlich, und, nach der Zeit des Jahres, schön, Die Luft nicht kalt, der Wind auch still: So laß uns in den Garten gehn, Sprach ich zu meinem ältsten Sohn. Wir waren kaum hin- ein getreten, So sahen wir das schöne Grün des Buxbaums um den Gar- tenbeeten; Doch Anfangs sonst kein ander Grün; denn ausser Blätter- losen Zweigen, Die sich in drohender Gestalt, als wärens lauter Ruthen, zeigen, Und dick - verwachsnen dürren Dornen, schien anders fast kein Vorwurf da, Bis wir gemählig weiter gingen, da er zuerst, auf einem Platz, Das Kraut, das Reich und Arme speist, und das ein rechter Winterschatz, Den grünlich - braunen krausen Kohl, mit aufmerksamen Bli- cken, sah. Er zeigte mir denselben gleich, worauf wir näher zu ihm gingen, Und dieß besondere Gewächs mit Lust an zu betrachten fingen. Er kam, in seiner dunkelgrünen mit Purpur untermischten Zier, An Form uns, einem kleinen Wald in allen Stücken ähnlich, für.
Die
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Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Wir leben jetzt im ſpaͤten Herbſt. Der vormals ſchoͤnen Welt Geſtalt Jſt ganz veraͤndert; Gras und Kraut ſind welk; die Luft iſt kalt; Die Erde ſchlackricht, feucht und tief. Doch weil das Wetter heute leidlich, und, nach der Zeit des Jahres, ſchoͤn, Die Luft nicht kalt, der Wind auch ſtill: So laß uns in den Garten gehn, Sprach ich zu meinem aͤltſten Sohn. Wir waren kaum hin- ein getreten, So ſahen wir das ſchoͤne Gruͤn des Buxbaums um den Gar- tenbeeten; Doch Anfangs ſonſt kein ander Gruͤn; denn auſſer Blaͤtter- loſen Zweigen, Die ſich in drohender Geſtalt, als waͤrens lauter Ruthen, zeigen, Und dick - verwachſnen duͤrren Dornen, ſchien anders faſt kein Vorwurf da, Bis wir gemaͤhlig weiter gingen, da er zuerſt, auf einem Platz, Das Kraut, das Reich und Arme ſpeiſt, und das ein rechter Winterſchatz, Den gruͤnlich - braunen krauſen Kohl, mit aufmerkſamen Bli- cken, ſah. Er zeigte mir denſelben gleich, worauf wir naͤher zu ihm gingen, Und dieß beſondere Gewaͤchs mit Luſt an zu betrachten fingen. Er kam, in ſeiner dunkelgruͤnen mit Purpur untermiſchten Zier, An Form uns, einem kleinen Wald in allen Stuͤcken aͤhnlich, fuͤr.
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Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Betrachtung
uͤber den braunen Kohl.
Wir leben jetzt im ſpaͤten Herbſt. Der vormals ſchoͤnen
Welt Geſtalt
Jſt ganz veraͤndert; Gras und Kraut ſind welk; die Luft iſt kalt;
Die Erde ſchlackricht, feucht und tief.
Doch weil das Wetter heute leidlich, und, nach der Zeit des
Jahres, ſchoͤn,
Die Luft nicht kalt, der Wind auch ſtill: So laß uns in den
Garten gehn,
Sprach ich zu meinem aͤltſten Sohn. Wir waren kaum hin-
ein getreten,
So ſahen wir das ſchoͤne Gruͤn des Buxbaums um den Gar-
tenbeeten;
Doch Anfangs ſonſt kein ander Gruͤn; denn auſſer Blaͤtter-
loſen Zweigen,
Die ſich in drohender Geſtalt, als waͤrens lauter Ruthen,
zeigen,
Und dick - verwachſnen duͤrren Dornen, ſchien anders faſt kein
Vorwurf da,
Bis wir gemaͤhlig weiter gingen, da er zuerſt, auf einem Platz,
Das Kraut, das Reich und Arme ſpeiſt, und das ein rechter
Winterſchatz,
Den gruͤnlich - braunen krauſen Kohl, mit aufmerkſamen Bli-
cken, ſah.
Er zeigte mir denſelben gleich, worauf wir naͤher zu ihm gingen,
Und dieß beſondere Gewaͤchs mit Luſt an zu betrachten fingen.
Er kam, in ſeiner dunkelgruͤnen mit Purpur untermiſchten Zier,
An Form uns, einem kleinen Wald in allen Stuͤcken aͤhnlich, fuͤr.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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