Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Winter-Gedanken.
So deutlich, daß auch in der klarsten Fluth,
Wenn sie in sanfter Stille ruht,
Die Vorwürf alle kaum so rein,
Und deutlich vorgestellet seyn.
Und weil zugleich das Eis so gar
Durchsichtig und so lauter war,
Daß man den sonst verborgnen Grund,
Und alle Steinchen sehen kunnt:
So scheute man, auf vielen Plätzen,
Den furchtsam-bangen Fuß zu setzen.

Verführt durch den betrognen Blick,
Zog unser Schritt sich oft zurück,
Ob gleich die Schollen noch so dick.
Was aber mir vor andern allen,
Auf der bebrückten Fluth, gefallen,
War, daß der rosenrothe Schein
Der Sonne, die sich abwerts neigte,
So hell, so deutlich und so rein,
Sich in dem glatten Eise zeigte;
Daß die bestralte Fläche, ganz
Beflossen von des Himmels Glanz,
Nicht mehr ein irdisch Dunkel wies,
Nein, sondern fast verhimmelt ließ,
Es schien, als ob man ging und stunde,
Auf einem ganz verklärten Grunde.
Der sonsten dunkle Boden schien
Ein wirklich funkelnder Rubin.
Es war der Abendröthe Schimmern,
Nicht nur an den saphiernen Zimmern,
Und an des Firmamentes Höhn;
Sie war, auch unter uns, zu sehn.
Kaum

Winter-Gedanken.
So deutlich, daß auch in der klarſten Fluth,
Wenn ſie in ſanfter Stille ruht,
Die Vorwuͤrf alle kaum ſo rein,
Und deutlich vorgeſtellet ſeyn.
Und weil zugleich das Eis ſo gar
Durchſichtig und ſo lauter war,
Daß man den ſonſt verborgnen Grund,
Und alle Steinchen ſehen kunnt:
So ſcheute man, auf vielen Plaͤtzen,
Den furchtſam-bangen Fuß zu ſetzen.

Verfuͤhrt durch den betrognen Blick,
Zog unſer Schritt ſich oft zuruͤck,
Ob gleich die Schollen noch ſo dick.
Was aber mir vor andern allen,
Auf der bebruͤckten Fluth, gefallen,
War, daß der roſenrothe Schein
Der Sonne, die ſich abwerts neigte,
So hell, ſo deutlich und ſo rein,
Sich in dem glatten Eiſe zeigte;
Daß die beſtralte Flaͤche, ganz
Befloſſen von des Himmels Glanz,
Nicht mehr ein irdiſch Dunkel wies,
Nein, ſondern faſt verhimmelt ließ,
Es ſchien, als ob man ging und ſtunde,
Auf einem ganz verklaͤrten Grunde.
Der ſonſten dunkle Boden ſchien
Ein wirklich funkelnder Rubin.
Es war der Abendroͤthe Schimmern,
Nicht nur an den ſaphiernen Zimmern,
Und an des Firmamentes Hoͤhn;
Sie war, auch unter uns, zu ſehn.
Kaum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="11">
            <l><pb facs="#f0211" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Winter-Gedanken.</hi></fw><lb/>
So deutlich, daß auch in der klar&#x017F;ten Fluth,</l><lb/>
            <l>Wenn &#x017F;ie in &#x017F;anfter Stille ruht,</l><lb/>
            <l>Die Vorwu&#x0364;rf alle kaum &#x017F;o rein,</l><lb/>
            <l>Und deutlich vorge&#x017F;tellet &#x017F;eyn.</l><lb/>
            <l>Und weil zugleich das Eis &#x017F;o gar</l><lb/>
            <l>Durch&#x017F;ichtig und &#x017F;o lauter war,</l><lb/>
            <l>Daß man den &#x017F;on&#x017F;t verborgnen Grund,</l><lb/>
            <l>Und alle Steinchen &#x017F;ehen kunnt:</l><lb/>
            <l>So &#x017F;cheute man, auf vielen Pla&#x0364;tzen,</l><lb/>
            <l>Den furcht&#x017F;am-bangen Fuß zu &#x017F;etzen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="12">
            <l>Verfu&#x0364;hrt durch den betrognen Blick,</l><lb/>
            <l>Zog un&#x017F;er Schritt &#x017F;ich oft zuru&#x0364;ck,</l><lb/>
            <l>Ob gleich die Schollen noch &#x017F;o dick.</l><lb/>
            <l>Was aber mir vor andern allen,</l><lb/>
            <l>Auf der bebru&#x0364;ckten Fluth, gefallen,</l><lb/>
            <l>War, daß der ro&#x017F;enrothe Schein</l><lb/>
            <l>Der Sonne, die &#x017F;ich abwerts neigte,</l><lb/>
            <l>So hell, &#x017F;o deutlich und &#x017F;o rein,</l><lb/>
            <l>Sich in dem glatten Ei&#x017F;e zeigte;</l><lb/>
            <l>Daß die be&#x017F;tralte Fla&#x0364;che, ganz</l><lb/>
            <l>Beflo&#x017F;&#x017F;en von des Himmels Glanz,</l><lb/>
            <l>Nicht mehr ein irdi&#x017F;ch Dunkel wies,</l><lb/>
            <l>Nein, &#x017F;ondern fa&#x017F;t verhimmelt ließ,</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="13">
            <l>Es &#x017F;chien, als ob man ging und &#x017F;tunde,</l><lb/>
            <l>Auf einem ganz verkla&#x0364;rten Grunde.</l><lb/>
            <l>Der &#x017F;on&#x017F;ten dunkle Boden &#x017F;chien</l><lb/>
            <l>Ein wirklich funkelnder Rubin.</l><lb/>
            <l>Es war der Abendro&#x0364;the Schimmern,</l><lb/>
            <l>Nicht nur an den &#x017F;aphiernen Zimmern,</l><lb/>
            <l>Und an des Firmamentes Ho&#x0364;hn;</l><lb/>
            <l>Sie war, auch unter uns, zu &#x017F;ehn.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Kaum</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0211] Winter-Gedanken. So deutlich, daß auch in der klarſten Fluth, Wenn ſie in ſanfter Stille ruht, Die Vorwuͤrf alle kaum ſo rein, Und deutlich vorgeſtellet ſeyn. Und weil zugleich das Eis ſo gar Durchſichtig und ſo lauter war, Daß man den ſonſt verborgnen Grund, Und alle Steinchen ſehen kunnt: So ſcheute man, auf vielen Plaͤtzen, Den furchtſam-bangen Fuß zu ſetzen. Verfuͤhrt durch den betrognen Blick, Zog unſer Schritt ſich oft zuruͤck, Ob gleich die Schollen noch ſo dick. Was aber mir vor andern allen, Auf der bebruͤckten Fluth, gefallen, War, daß der roſenrothe Schein Der Sonne, die ſich abwerts neigte, So hell, ſo deutlich und ſo rein, Sich in dem glatten Eiſe zeigte; Daß die beſtralte Flaͤche, ganz Befloſſen von des Himmels Glanz, Nicht mehr ein irdiſch Dunkel wies, Nein, ſondern faſt verhimmelt ließ, Es ſchien, als ob man ging und ſtunde, Auf einem ganz verklaͤrten Grunde. Der ſonſten dunkle Boden ſchien Ein wirklich funkelnder Rubin. Es war der Abendroͤthe Schimmern, Nicht nur an den ſaphiernen Zimmern, Und an des Firmamentes Hoͤhn; Sie war, auch unter uns, zu ſehn. Kaum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/211
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/211>, abgerufen am 12.05.2024.