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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

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Neu-Jahrs Gedichte.
Da wir nun, auf diese Weise, die zwo Quellen der Jdeen
Uberhaupt erst angeschaut; lasset uns denn weiter gehen
Und die noch viel größre Gabe, den Verstand, nun auch besehen.
Doch ist unser Zweck allhier, weniger ihn zu beschreiben,
Als den Nutzen, welchen er uns verschaffet, zu besehn,
Um dadurch, wenn wir denselben so empfinden als verstehn;
Uns, den Schöpfer zu bewundern und zu loben, anzu-
treiben.
Der Verstand, durch den allein Menschen sich von Thie-
ren trennen,

Jst mit Recht ein himmlisch Feur und ein Göttlich Licht
zu nennen,

Das die Vorwürff' untersuchet, sie beleuchtet, unterscheidet,
Als auf einer Wage wieget, sie begreift, vergleicht und wehlt,
Wenn sie selbe nützlich hält; sie im Gegentheil vermeidet
Wenn sie sie für schädlich schätzt, und gewahr wird, wenn
sie fehlt.

Durch Vernunft sind wir allein über alle Thier' erhoben;
Durch Vernunft erkennen wir einen Schöpfer aller Welt;
Auch daß, wie er sie geschaffen, er sie auch allein erhält;
Durch Vernunft begreiffen wir, daß wir schuldig, ihn zu
zu loben.

Sie ist fähig aller Weisheit; sie belehret uns allein,
Daß wir von dem Schöpfer stammen, daß wir unvergäng-
lich seyn.

Alle Cörper, die wir sehn, fühlen, riechen, schmecken, hören,
Stehn im Schau-Spiel dieser Welt, in gestimmter Harmonie;
Alle thönen GOtt zum Preise, alle singen ihm zu Ehren,
Seiner Lieb' und Macht zum Ruhm. Dennoch aber singen sie
Sonder Dencken und Verstand; wir nur wissen, daß wir
singen;

Wir erkennen, daß wir schuldig, dem Lob, Ehr' und Danck
zu bringen,
Der
Neu-Jahrs Gedichte.
Da wir nun, auf dieſe Weiſe, die zwo Quellen der Jdeen
Uberhaupt erſt angeſchaut; laſſet uns denn weiter gehen
Und die noch viel groͤßre Gabe, den Verſtand, nun auch beſehen.
Doch iſt unſer Zweck allhier, weniger ihn zu beſchreiben,
Als den Nutzen, welchen er uns verſchaffet, zu beſehn,
Um dadurch, wenn wir denſelben ſo empfinden als verſtehn;
Uns, den Schoͤpfer zu bewundern und zu loben, anzu-
treiben.
Der Verſtand, durch den allein Menſchen ſich von Thie-
ren trennen,

Jſt mit Recht ein himmliſch Feur und ein Goͤttlich Licht
zu nennen,

Das die Vorwuͤrff’ unterſuchet, ſie beleuchtet, unterſcheidet,
Als auf einer Wage wieget, ſie begreift, vergleicht und wehlt,
Wenn ſie ſelbe nuͤtzlich haͤlt; ſie im Gegentheil vermeidet
Wenn ſie ſie fuͤr ſchaͤdlich ſchaͤtzt, und gewahr wird, wenn
ſie fehlt.

Durch Vernunft ſind wir allein uͤber alle Thier’ erhoben;
Durch Vernunft erkennen wir einen Schoͤpfer aller Welt;
Auch daß, wie er ſie geſchaffen, er ſie auch allein erhaͤlt;
Durch Vernunft begreiffen wir, daß wir ſchuldig, ihn zu
zu loben.

Sie iſt faͤhig aller Weisheit; ſie belehret uns allein,
Daß wir von dem Schoͤpfer ſtammen, daß wir unvergaͤng-
lich ſeyn.

Alle Coͤrper, die wir ſehn, fuͤhlen, riechen, ſchmecken, hoͤren,
Stehn im Schau-Spiel dieſer Welt, in geſtimmter Harmonie;
Alle thoͤnen GOtt zum Preiſe, alle ſingen ihm zu Ehren,
Seiner Lieb’ und Macht zum Ruhm. Dennoch aber ſingen ſie
Sonder Dencken und Verſtand; wir nur wiſſen, daß wir
ſingen;

Wir erkennen, daß wir ſchuldig, dem Lob, Ehr’ und Danck
zu bringen,
Der
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[494/0510] Neu-Jahrs Gedichte. Da wir nun, auf dieſe Weiſe, die zwo Quellen der Jdeen Uberhaupt erſt angeſchaut; laſſet uns denn weiter gehen Und die noch viel groͤßre Gabe, den Verſtand, nun auch beſehen. Doch iſt unſer Zweck allhier, weniger ihn zu beſchreiben, Als den Nutzen, welchen er uns verſchaffet, zu beſehn, Um dadurch, wenn wir denſelben ſo empfinden als verſtehn; Uns, den Schoͤpfer zu bewundern und zu loben, anzu- treiben. Der Verſtand, durch den allein Menſchen ſich von Thie- ren trennen, Jſt mit Recht ein himmliſch Feur und ein Goͤttlich Licht zu nennen, Das die Vorwuͤrff’ unterſuchet, ſie beleuchtet, unterſcheidet, Als auf einer Wage wieget, ſie begreift, vergleicht und wehlt, Wenn ſie ſelbe nuͤtzlich haͤlt; ſie im Gegentheil vermeidet Wenn ſie ſie fuͤr ſchaͤdlich ſchaͤtzt, und gewahr wird, wenn ſie fehlt. Durch Vernunft ſind wir allein uͤber alle Thier’ erhoben; Durch Vernunft erkennen wir einen Schoͤpfer aller Welt; Auch daß, wie er ſie geſchaffen, er ſie auch allein erhaͤlt; Durch Vernunft begreiffen wir, daß wir ſchuldig, ihn zu zu loben. Sie iſt faͤhig aller Weisheit; ſie belehret uns allein, Daß wir von dem Schoͤpfer ſtammen, daß wir unvergaͤng- lich ſeyn. Alle Coͤrper, die wir ſehn, fuͤhlen, riechen, ſchmecken, hoͤren, Stehn im Schau-Spiel dieſer Welt, in geſtimmter Harmonie; Alle thoͤnen GOtt zum Preiſe, alle ſingen ihm zu Ehren, Seiner Lieb’ und Macht zum Ruhm. Dennoch aber ſingen ſie Sonder Dencken und Verſtand; wir nur wiſſen, daß wir ſingen; Wir erkennen, daß wir ſchuldig, dem Lob, Ehr’ und Danck zu bringen, Der

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/510>, abgerufen am 12.10.2024.