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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

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Neu-Jahrs Gedichte.
Nicht in menschlicher Gewalt; da sich ja so mancherley
Umständ' in dieselbe flechten, welche nicht durch uns geschehn,
Weniger in unsrer Willkühr, Anstalt und Verordnung stehn.
Dieses deutlicher zu zeigen, fällt mir ein Exempel bey:
Einer nimt sich vor zu stehlen oder einen zu ermorden;
Dieser Schluß rührt sonder Zweifel bloß von seiner Will-
kühr her,

Er ist auch dadurch vor GOtt schon ein Dieb und Mörder
worden.

Aber solches auszuführen, fällt ihm öffters nicht nur schwer,
Sondern er wird oft davon, durch ein scheinbar Ungefähr
Abgehalten und behindert. Tausend Fälle könnens wehren:
Wachsamkeit, ein Hund, ein Gastmahl, eine Kranckheit,
Witterung,

Trunckenheit, ein Floh, ein Vogel, ein Geräusch, ein Fall,
ein Sprung,

Uebereilung, Zögerung, ein zu fertiges Gewehr,
Ein nicht taugliches, ein Zuspruch, ja viel tausend andre
mehr

Sind, auf GOttes Winck, geschickt, Mord und Diebstahl
abzukehren.

Hieraus sieht man augenscheinlich, daß der Mensch den
Schluß zwar fassen

Und was unternehmen kann, aber daß viel tausend Sachen,
Tausend Umständ' ihm im Vorsatz öfters eine Hindrung
machen

Und ihn oft recht zwingen können, daß er alles unterlassen
Und die That verfehlen muß. Solche Umständ' aber seyn
Alle unter GOttes Ordnung, und sie werden bloß allein
Von dem Schöpfer, nach der Weisheit, Liebe, Macht,
Gerechtigkeit

So regirt und eingerichtet, wie ers der Beschaffenheit
Seiner Absicht, seines Haupt-Zwecks, welcher groß und allge-
mein,
Am
Neu-Jahrs Gedichte.
Nicht in menſchlicher Gewalt; da ſich ja ſo mancherley
Umſtaͤnd’ in dieſelbe flechten, welche nicht durch uns geſchehn,
Weniger in unſrer Willkuͤhr, Anſtalt und Verordnung ſtehn.
Dieſes deutlicher zu zeigen, faͤllt mir ein Exempel bey:
Einer nimt ſich vor zu ſtehlen oder einen zu ermorden;
Dieſer Schluß ruͤhrt ſonder Zweifel bloß von ſeiner Will-
kuͤhr her,

Er iſt auch dadurch vor GOtt ſchon ein Dieb und Moͤrder
worden.

Aber ſolches auszufuͤhren, faͤllt ihm oͤffters nicht nur ſchwer,
Sondern er wird oft davon, durch ein ſcheinbar Ungefaͤhr
Abgehalten und behindert. Tauſend Faͤlle koͤnnens wehren:
Wachſamkeit, ein Hund, ein Gaſtmahl, eine Kranckheit,
Witterung,

Trunckenheit, ein Floh, ein Vogel, ein Geraͤuſch, ein Fall,
ein Sprung,

Uebereilung, Zoͤgerung, ein zu fertiges Gewehr,
Ein nicht taugliches, ein Zuſpruch, ja viel tauſend andre
mehr

Sind, auf GOttes Winck, geſchickt, Mord und Diebſtahl
abzukehren.

Hieraus ſieht man augenſcheinlich, daß der Menſch den
Schluß zwar faſſen

Und was unternehmen kann, aber daß viel tauſend Sachen,
Tauſend Umſtaͤnd’ ihm im Vorſatz oͤfters eine Hindrung
machen

Und ihn oft recht zwingen koͤnnen, daß er alles unterlaſſen
Und die That verfehlen muß. Solche Umſtaͤnd’ aber ſeyn
Alle unter GOttes Ordnung, und ſie werden bloß allein
Von dem Schoͤpfer, nach der Weisheit, Liebe, Macht,
Gerechtigkeit

So regirt und eingerichtet, wie ers der Beſchaffenheit
Seiner Abſicht, ſeines Haupt-Zwecks, welcher groß und allge-
mein,
Am
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[416/0432] Neu-Jahrs Gedichte. Nicht in menſchlicher Gewalt; da ſich ja ſo mancherley Umſtaͤnd’ in dieſelbe flechten, welche nicht durch uns geſchehn, Weniger in unſrer Willkuͤhr, Anſtalt und Verordnung ſtehn. Dieſes deutlicher zu zeigen, faͤllt mir ein Exempel bey: Einer nimt ſich vor zu ſtehlen oder einen zu ermorden; Dieſer Schluß ruͤhrt ſonder Zweifel bloß von ſeiner Will- kuͤhr her, Er iſt auch dadurch vor GOtt ſchon ein Dieb und Moͤrder worden. Aber ſolches auszufuͤhren, faͤllt ihm oͤffters nicht nur ſchwer, Sondern er wird oft davon, durch ein ſcheinbar Ungefaͤhr Abgehalten und behindert. Tauſend Faͤlle koͤnnens wehren: Wachſamkeit, ein Hund, ein Gaſtmahl, eine Kranckheit, Witterung, Trunckenheit, ein Floh, ein Vogel, ein Geraͤuſch, ein Fall, ein Sprung, Uebereilung, Zoͤgerung, ein zu fertiges Gewehr, Ein nicht taugliches, ein Zuſpruch, ja viel tauſend andre mehr Sind, auf GOttes Winck, geſchickt, Mord und Diebſtahl abzukehren. Hieraus ſieht man augenſcheinlich, daß der Menſch den Schluß zwar faſſen Und was unternehmen kann, aber daß viel tauſend Sachen, Tauſend Umſtaͤnd’ ihm im Vorſatz oͤfters eine Hindrung machen Und ihn oft recht zwingen koͤnnen, daß er alles unterlaſſen Und die That verfehlen muß. Solche Umſtaͤnd’ aber ſeyn Alle unter GOttes Ordnung, und ſie werden bloß allein Von dem Schoͤpfer, nach der Weisheit, Liebe, Macht, Gerechtigkeit So regirt und eingerichtet, wie ers der Beſchaffenheit Seiner Abſicht, ſeines Haupt-Zwecks, welcher groß und allge- mein, Am

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/432>, abgerufen am 22.11.2024.