Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.Nothwendigkeit die gegenwärtige Zeit, etc. Allein, wie fängt man es denn an, von diesem Unglück zu genesen, Das alles Unglücks Urqvell ist? Es macht uns die Gewohn- heit blind Und taub und fühl-los. Unser Geist, als der von einem regen Wesen, Kann gantz unmöglich müßig seyn. Die feurigen Begierden sind Dadurch bey uns gleich wilden Pferden, die nimmer stille stehen können, Den Ort, woselbst sie sind, nicht achten und stets nach fernem Ziele rennen; Ja durch die allerschönsten Wiesen, ohn' alles, was aus ihnen schön, Ergetz- und nützlich zu geniessen, zu sehen, immer weiter gehn. Wir schieben den Genuß von allem, was wir besitzen, im- mer auf, Und gleichen Geitzigen, die scharren in ihrem gantzen Le- bens-Lauf, Biß an den Tod, um sich so dann an ihren eingeschlossnen Schätzen Den Rest des Lebens zu ergetzen. Wann wir bey diesem Zustand nun die Flüchtigkeit der Zeit betrachten, Und, bey derselben schnellen Flucht, auf unsre kurtze Dauer achten, Erwegen, was wir einst geschrieben: Wir scheinen fast in unserm Leben Mit einem stetem Nichts umgeben; Er-
Nothwendigkeit die gegenwaͤrtige Zeit, ꝛc. Allein, wie faͤngt man es denn an, von dieſem Ungluͤck zu geneſen, Das alles Ungluͤcks Urqvell iſt? Es macht uns die Gewohn- heit blind Und taub und fuͤhl-los. Unſer Geiſt, als der von einem regen Weſen, Kann gantz unmoͤglich muͤßig ſeyn. Die feurigen Begierden ſind Dadurch bey uns gleich wilden Pferden, die nimmer ſtille ſtehen koͤnnen, Den Ort, woſelbſt ſie ſind, nicht achten und ſtets nach fernem Ziele rennen; Ja durch die allerſchoͤnſten Wieſen, ohn’ alles, was aus ihnen ſchoͤn, Ergetz- und nuͤtzlich zu genieſſen, zu ſehen, immer weiter gehn. Wir ſchieben den Genuß von allem, was wir beſitzen, im- mer auf, Und gleichen Geitzigen, die ſcharren in ihrem gantzen Le- bens-Lauf, Biß an den Tod, um ſich ſo dann an ihren eingeſchloſſnen Schaͤtzen Den Reſt des Lebens zu ergetzen. Wann wir bey dieſem Zuſtand nun die Fluͤchtigkeit der Zeit betrachten, Und, bey derſelben ſchnellen Flucht, auf unſre kurtze Dauer achten, Erwegen, was wir einſt geſchrieben: Wir ſcheinen faſt in unſerm Leben Mit einem ſtetem Nichts umgeben; Er-
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Nothwendigkeit die gegenwaͤrtige Zeit, ꝛc.
Allein, wie faͤngt man es denn an, von dieſem Ungluͤck zu
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Das alles Ungluͤcks Urqvell iſt? Es macht uns die Gewohn-
heit blind
Und taub und fuͤhl-los. Unſer Geiſt, als der von einem
regen Weſen,
Kann gantz unmoͤglich muͤßig ſeyn. Die feurigen Begierden
ſind
Dadurch bey uns gleich wilden Pferden, die nimmer ſtille
ſtehen koͤnnen,
Den Ort, woſelbſt ſie ſind, nicht achten und ſtets nach
fernem Ziele rennen;
Ja durch die allerſchoͤnſten Wieſen, ohn’ alles, was aus
ihnen ſchoͤn,
Ergetz- und nuͤtzlich zu genieſſen, zu ſehen, immer weiter
gehn.
Wir ſchieben den Genuß von allem, was wir beſitzen, im-
mer auf,
Und gleichen Geitzigen, die ſcharren in ihrem gantzen Le-
bens-Lauf,
Biß an den Tod, um ſich ſo dann an ihren eingeſchloſſnen
Schaͤtzen
Den Reſt des Lebens zu ergetzen.
Wann wir bey dieſem Zuſtand nun die Fluͤchtigkeit der
Zeit betrachten,
Und, bey derſelben ſchnellen Flucht, auf unſre kurtze Dauer
achten,
Erwegen, was wir einſt geſchrieben: Wir ſcheinen faſt
in unſerm Leben
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