Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

bey dem 1729. Jahres-Wechsel, etc.
"Denn es machet nichts so sehr, als der Gegen-Satz, uns
klar,
"Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan-
delbar.
"Jn der Aendrung der Geschöpfe, im Vergehn der Crea-
turen,
"Sieht man von des Schöpffers Grösse, fast die allerhell-
sten Spuren.
"Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menschen Nichts
erkennen;
"Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens
sehn,
"Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß stets deutlicher
verstehn,
"Daß Du uns, aus Lieb', in Dir, wirst ein ewig dauren
gönnen!

Der nimmer stille Fluß der Dinge, die zerstörlich,
Entladet sich von sich, versenckt sich unaufhörlich
Jn die Verwesungs-See, in das Zertrennungs-Meer,
Und bleibt doch stets erfüllt, und ist doch nimmer leer.
Von neuen Tropffen wird, in stetigem Gedränge,
Der ietzt an diesem Ort verhandnen Tropffen Menge
Jm Meer stets weggedrückt: so kommt und so vergehet,
Erzeugt sich, lös't sich auf, entwickelt sich, entstehet,
Was die Natur hervor bringt und formirt,
Auch was sich wiederüm, durch sie zertheilt, verliert.
Die unbeständige Beständigkeit auf Erden
Kann wol mit allem Recht uns vorgestellet werden
Als eine Kette, die durch Ringe
Fest an einander hinge;
Doch
E e 4

bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc.
„Denn es machet nichts ſo ſehr, als der Gegen-Satz, uns
klar,
„Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan-
delbar.
„Jn der Aendrung der Geſchoͤpfe, im Vergehn der Crea-
turen,
„Sieht man von des Schoͤpffers Groͤſſe, faſt die allerhell-
ſten Spuren.
„Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menſchen Nichts
erkennen;
„Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens
ſehn,
„Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß ſtets deutlicher
verſtehn,
„Daß Du uns, aus Lieb’, in Dir, wirſt ein ewig dauren
goͤnnen!

Der nimmer ſtille Fluß der Dinge, die zerſtoͤrlich,
Entladet ſich von ſich, verſenckt ſich unaufhoͤrlich
Jn die Verweſungs-See, in das Zertrennungs-Meer,
Und bleibt doch ſtets erfuͤllt, und iſt doch nimmer leer.
Von neuen Tropffen wird, in ſtetigem Gedraͤnge,
Der ietzt an dieſem Ort verhandnen Tropffen Menge
Jm Meer ſtets weggedruͤckt: ſo kommt und ſo vergehet,
Erzeugt ſich, loͤſ’t ſich auf, entwickelt ſich, entſtehet,
Was die Natur hervor bringt und formirt,
Auch was ſich wiederuͤm, durch ſie zertheilt, verliert.
Die unbeſtaͤndige Beſtaͤndigkeit auf Erden
Kann wol mit allem Recht uns vorgeſtellet werden
Als eine Kette, die durch Ringe
Feſt an einander hinge;
Doch
E e 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="9">
              <l><pb facs="#f0471" n="439"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">bey dem 1729. Jahres-Wech&#x017F;el, &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
&#x201E;Denn es machet nichts &#x017F;o &#x017F;ehr, als der Gegen-Satz, uns<lb/><hi rendition="#et">klar,</hi><lb/>
&#x201E;Was doch eigentlich die <hi rendition="#fr">Gottheit,</hi> die allein unwan-<lb/><hi rendition="#et">delbar.</hi><lb/>
&#x201E;Jn der Aendrung der Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, im Vergehn der Crea-<lb/><hi rendition="#et">turen,</hi><lb/>
&#x201E;Sieht man von des Scho&#x0364;pffers Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, fa&#x017F;t die allerhell-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ten Spuren.</hi><lb/>
&#x201E;Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Men&#x017F;chen Nichts<lb/><hi rendition="#et">erkennen;</hi><lb/>
&#x201E;Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehn,</hi><lb/>
&#x201E;Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß &#x017F;tets deutlicher<lb/><hi rendition="#et">ver&#x017F;tehn,</hi><lb/>
&#x201E;Daß Du uns, aus Lieb&#x2019;, in Dir, wir&#x017F;t ein ewig dauren<lb/><hi rendition="#et">go&#x0364;nnen!</hi></l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Der nimmer &#x017F;tille Fluß der Dinge, die zer&#x017F;to&#x0364;rlich,</l><lb/>
              <l>Entladet &#x017F;ich von &#x017F;ich, ver&#x017F;enckt &#x017F;ich unaufho&#x0364;rlich</l><lb/>
              <l>Jn die Verwe&#x017F;ungs-See, in das Zertrennungs-Meer,</l><lb/>
              <l>Und bleibt doch &#x017F;tets erfu&#x0364;llt, und i&#x017F;t doch nimmer leer.</l><lb/>
              <l>Von neuen Tropffen wird, in &#x017F;tetigem Gedra&#x0364;nge,</l><lb/>
              <l>Der ietzt an die&#x017F;em Ort verhandnen Tropffen Menge</l><lb/>
              <l>Jm Meer &#x017F;tets weggedru&#x0364;ckt: &#x017F;o kommt und &#x017F;o vergehet,</l><lb/>
              <l>Erzeugt &#x017F;ich, lo&#x0364;&#x017F;&#x2019;t &#x017F;ich auf, entwickelt &#x017F;ich, ent&#x017F;tehet,</l><lb/>
              <l>Was die Natur hervor bringt und formirt,</l><lb/>
              <l>Auch was &#x017F;ich wiederu&#x0364;m, durch &#x017F;ie zertheilt, verliert.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Die unbe&#x017F;ta&#x0364;ndige Be&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit auf Erden</l><lb/>
              <l>Kann wol mit allem Recht uns vorge&#x017F;tellet werden</l><lb/>
              <l>Als eine Kette, die durch Ringe</l><lb/>
              <l>Fe&#x017F;t an einander hinge;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Doch</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439/0471] bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc. „Denn es machet nichts ſo ſehr, als der Gegen-Satz, uns klar, „Was doch eigentlich die Gottheit, die allein unwan- delbar. „Jn der Aendrung der Geſchoͤpfe, im Vergehn der Crea- turen, „Sieht man von des Schoͤpffers Groͤſſe, faſt die allerhell- ſten Spuren. „Laß mich, HERR, zugleich dabey aller Menſchen Nichts erkennen; „Aber auch, in der Erkenntniß, einen Strahl des Lebens ſehn, „Und, zu Deines Nahmens Ruhm, dieß ſtets deutlicher verſtehn, „Daß Du uns, aus Lieb’, in Dir, wirſt ein ewig dauren goͤnnen! Der nimmer ſtille Fluß der Dinge, die zerſtoͤrlich, Entladet ſich von ſich, verſenckt ſich unaufhoͤrlich Jn die Verweſungs-See, in das Zertrennungs-Meer, Und bleibt doch ſtets erfuͤllt, und iſt doch nimmer leer. Von neuen Tropffen wird, in ſtetigem Gedraͤnge, Der ietzt an dieſem Ort verhandnen Tropffen Menge Jm Meer ſtets weggedruͤckt: ſo kommt und ſo vergehet, Erzeugt ſich, loͤſ’t ſich auf, entwickelt ſich, entſtehet, Was die Natur hervor bringt und formirt, Auch was ſich wiederuͤm, durch ſie zertheilt, verliert. Die unbeſtaͤndige Beſtaͤndigkeit auf Erden Kann wol mit allem Recht uns vorgeſtellet werden Als eine Kette, die durch Ringe Feſt an einander hinge; Doch E e 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/471
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/471>, abgerufen am 21.05.2024.