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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

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Der Lammes-Kopf.
Es müssen eigne Kräffte seyn, die zu so künstlichem Geschäffte,
Mehr Fähigkeit, mehr Wissenschaft, mehr Kunst, Geschick-
lichkeit und Gaben

Vom grossen Schöpfer aller Dinge vermuthlich überkom-
men haben.

Denn daß man spricht: es ist gewachsen; und anders
nichts; dieß kommet mir

Fast eben vor, als wenn man spricht: es kömmt von unge-
fehr herfür.

Jch kann, wenn ich es recht erwege, vom Wörtchen Wach-
sen nichts begreiffen,

Als daß von einem Cörper sich desselben Theile mehren,
häuffen,

Sich dehnen, füllen, grösser werden, sich in die Breit' und
Länge strecken.

Dieß heisset wachsen eigentlich. Allein wer erst die Theile
fügt,

Die Urstands-Theil', indem ein iedes solch eine Krafft zu
wircken kriegt,

Die alles so, nicht anders wirckt; dieß kann mir wachsen
nicht entdecken.
Du sprichst: im Samen steckt dieß alles. Gar wol!
allein, was ist der Same?

Ein Wort, das mich nicht klüger macht, ein unverständlich
leerer Nahme.

Sie treffen beid' an Dunckelheit, wie mich bedünckt, wol
überein.

So weit wir unser dencken schärffen, so tieff auch unsre Sin-
nen gehn,

So können wir vom wahren Ursprung des Samen-Wesens
nichts verstehn.

Wie aber wir, ohn Witz, nichts künstlichs von Menschen ie
formirt gesehn;

So
R 5

Der Lammes-Kopf.
Es muͤſſen eigne Kraͤffte ſeyn, die zu ſo kuͤnſtlichem Geſchaͤffte,
Mehr Faͤhigkeit, mehr Wiſſenſchaft, mehr Kunſt, Geſchick-
lichkeit und Gaben

Vom groſſen Schoͤpfer aller Dinge vermuthlich uͤberkom-
men haben.

Denn daß man ſpricht: es iſt gewachſen; und anders
nichts; dieß kommet mir

Faſt eben vor, als wenn man ſpricht: es koͤmmt von unge-
fehr herfuͤr.

Jch kann, wenn ich es recht erwege, vom Woͤrtchen Wach-
ſen nichts begreiffen,

Als daß von einem Coͤrper ſich deſſelben Theile mehren,
haͤuffen,

Sich dehnen, fuͤllen, groͤſſer werden, ſich in die Breit’ und
Laͤnge ſtrecken.

Dieß heiſſet wachſen eigentlich. Allein wer erſt die Theile
fuͤgt,

Die Urſtands-Theil’, indem ein iedes ſolch eine Krafft zu
wircken kriegt,

Die alles ſo, nicht anders wirckt; dieß kann mir wachſen
nicht entdecken.
Du ſprichſt: im Samen ſteckt dieß alles. Gar wol!
allein, was iſt der Same?

Ein Wort, das mich nicht kluͤger macht, ein unverſtaͤndlich
leerer Nahme.

Sie treffen beid’ an Dunckelheit, wie mich beduͤnckt, wol
uͤberein.

So weit wir unſer dencken ſchaͤrffen, ſo tieff auch unſre Sin-
nen gehn,

So koͤnnen wir vom wahren Urſprung des Samen-Weſens
nichts verſtehn.

Wie aber wir, ohn Witz, nichts kuͤnſtlichs von Menſchen ie
formirt geſehn;

So
R 5
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[265/0297] Der Lammes-Kopf. Es muͤſſen eigne Kraͤffte ſeyn, die zu ſo kuͤnſtlichem Geſchaͤffte, Mehr Faͤhigkeit, mehr Wiſſenſchaft, mehr Kunſt, Geſchick- lichkeit und Gaben Vom groſſen Schoͤpfer aller Dinge vermuthlich uͤberkom- men haben. Denn daß man ſpricht: es iſt gewachſen; und anders nichts; dieß kommet mir Faſt eben vor, als wenn man ſpricht: es koͤmmt von unge- fehr herfuͤr. Jch kann, wenn ich es recht erwege, vom Woͤrtchen Wach- ſen nichts begreiffen, Als daß von einem Coͤrper ſich deſſelben Theile mehren, haͤuffen, Sich dehnen, fuͤllen, groͤſſer werden, ſich in die Breit’ und Laͤnge ſtrecken. Dieß heiſſet wachſen eigentlich. Allein wer erſt die Theile fuͤgt, Die Urſtands-Theil’, indem ein iedes ſolch eine Krafft zu wircken kriegt, Die alles ſo, nicht anders wirckt; dieß kann mir wachſen nicht entdecken. Du ſprichſt: im Samen ſteckt dieß alles. Gar wol! allein, was iſt der Same? Ein Wort, das mich nicht kluͤger macht, ein unverſtaͤndlich leerer Nahme. Sie treffen beid’ an Dunckelheit, wie mich beduͤnckt, wol uͤberein. So weit wir unſer dencken ſchaͤrffen, ſo tieff auch unſre Sin- nen gehn, So koͤnnen wir vom wahren Urſprung des Samen-Weſens nichts verſtehn. Wie aber wir, ohn Witz, nichts kuͤnſtlichs von Menſchen ie formirt geſehn; So R 5

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/297>, abgerufen am 13.05.2024.