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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

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Traum-Gesicht.
Und deucht mich, daß sie Dem ein stetes Lob-Lied sungen,
Durch Dessen Liebe sie,
Von einer süssen Symphonie
Bis in ihr Jnnerstes durchdrungen,
Ein' allgemeine Wollust rührte,
Die ieder, weil er stets daran gedachte, spührte.

Ob sie nun, weil sie nichts von mehren Sinnen wissen,
Mit einem Sinn sich gleich behelffen müssen,
Jndem ich weder Sehn, noch Schmecken,
Noch Riechen, fähig war, an ihnen zu entdecken;
So waren sie dennoch bloß durchs Gehör erquickt,
Und durch den Wollaut halb entzückt.
Hier schwand mein Traum-Gesicht, und ich erwachte:
Da ich denn dieß bey mir gedachte:
Daß in verschiedenen Planeten
Die Bürger nur mit einem Sinn allein
Begabet sind, kann möglich seyn:
Und sind vermuthlich auch damit zufrieden.
Wir aber, ob uns gleich so mancher Sinn beschieden,
Wodurch, als durch so viele Thüren,
Sich Vorwürff' an die Seele führen,
Die uns ergetzen und erquicken,
Vergnügen können, und entzücken,
Sind unvergnügt; indem wir nicht drauf achten,
Und bloß nur Geld hier zu erwerben trachten;
Zu welchem Zweck doch wol der Menschen Orden
Vermuthlich nicht erschaffen worden.
Noch fiel bey meinem Traum mir bey,
Ob es nicht möglich, ja so gar auch glaubhaft sey,
Daß,

Traum-Geſicht.
Und deucht mich, daß ſie Dem ein ſtetes Lob-Lied ſungen,
Durch Deſſen Liebe ſie,
Von einer ſuͤſſen Symphonie
Bis in ihr Jnnerſtes durchdrungen,
Ein’ allgemeine Wolluſt ruͤhrte,
Die ieder, weil er ſtets daran gedachte, ſpuͤhrte.

Ob ſie nun, weil ſie nichts von mehren Sinnen wiſſen,
Mit einem Sinn ſich gleich behelffen muͤſſen,
Jndem ich weder Sehn, noch Schmecken,
Noch Riechen, faͤhig war, an ihnen zu entdecken;
So waren ſie dennoch bloß durchs Gehoͤr erquickt,
Und durch den Wollaut halb entzuͤckt.
Hier ſchwand mein Traum-Geſicht, und ich erwachte:
Da ich denn dieß bey mir gedachte:
Daß in verſchiedenen Planeten
Die Buͤrger nur mit einem Sinn allein
Begabet ſind, kann moͤglich ſeyn:
Und ſind vermuthlich auch damit zufrieden.
Wir aber, ob uns gleich ſo mancher Sinn beſchieden,
Wodurch, als durch ſo viele Thuͤren,
Sich Vorwuͤrff’ an die Seele fuͤhren,
Die uns ergetzen und erquicken,
Vergnuͤgen koͤnnen, und entzuͤcken,
Sind unvergnuͤgt; indem wir nicht drauf achten,
Und bloß nur Geld hier zu erwerben trachten;
Zu welchem Zweck doch wol der Menſchen Orden
Vermuthlich nicht erſchaffen worden.
Noch fiel bey meinem Traum mir bey,
Ob es nicht moͤglich, ja ſo gar auch glaubhaft ſey,
Daß,
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[198/0230] Traum-Geſicht. Und deucht mich, daß ſie Dem ein ſtetes Lob-Lied ſungen, Durch Deſſen Liebe ſie, Von einer ſuͤſſen Symphonie Bis in ihr Jnnerſtes durchdrungen, Ein’ allgemeine Wolluſt ruͤhrte, Die ieder, weil er ſtets daran gedachte, ſpuͤhrte. Ob ſie nun, weil ſie nichts von mehren Sinnen wiſſen, Mit einem Sinn ſich gleich behelffen muͤſſen, Jndem ich weder Sehn, noch Schmecken, Noch Riechen, faͤhig war, an ihnen zu entdecken; So waren ſie dennoch bloß durchs Gehoͤr erquickt, Und durch den Wollaut halb entzuͤckt. Hier ſchwand mein Traum-Geſicht, und ich erwachte: Da ich denn dieß bey mir gedachte: Daß in verſchiedenen Planeten Die Buͤrger nur mit einem Sinn allein Begabet ſind, kann moͤglich ſeyn: Und ſind vermuthlich auch damit zufrieden. Wir aber, ob uns gleich ſo mancher Sinn beſchieden, Wodurch, als durch ſo viele Thuͤren, Sich Vorwuͤrff’ an die Seele fuͤhren, Die uns ergetzen und erquicken, Vergnuͤgen koͤnnen, und entzuͤcken, Sind unvergnuͤgt; indem wir nicht drauf achten, Und bloß nur Geld hier zu erwerben trachten; Zu welchem Zweck doch wol der Menſchen Orden Vermuthlich nicht erſchaffen worden. Noch fiel bey meinem Traum mir bey, Ob es nicht moͤglich, ja ſo gar auch glaubhaft ſey, Daß,

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/230>, abgerufen am 27.04.2024.