Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Schiff-Fahrt.
Die durch den schnellen Druck beschäumte Wellen theilen,
Und öffters, wie ein Pfeil, bey mir vorüber eilen.
Jch dachte: Grosser GOTT! wie scharff ist der Ver-
stand,

Wie groß die sinnende Beschaffenheit,
Wie groß die Fähigkeit,
Die mit dem menschlichen Geschlecht, bloß durch Dein Wort,
Sich füget und verband;
Daß wir so ungeheure Lasten,
Mit hohlen Segeln, hohen Masten,
Von einem zu dem andern Ort,
So leicht, bequem, geschwinde,
Durch Hülffe wolgetheilter Winde,
So füglich fortzubringen wissen;
Daß offt ein einzger Mann
Mit einer Hand das Schiff regieren kann,
Und wär' es noch so groß.
Dies zeiget eine Gröss' in unserm Geist,
Die wunderbar, die nicht begreifflich ist.

Jndem mein Geist nun dieses recht ermisst,
Und diese Hoheit der Gedancken
Mich fast der Menschlichkeit entreisst;
So lenckt' ein anderer mich wieder
Jn die uns zugemessne Schrancken.
Er zeigte mir, indem die Menschen weder Wind,
Noch Wetter, im geringsten nicht
Zu ändern mächtig sind;
Wie wir zugleich so schwach, so klein,
Bey der geglaubten Grösse, seyn.
Jn-

Die Schiff-Fahrt.
Die durch den ſchnellen Druck beſchaͤumte Wellen theilen,
Und oͤffters, wie ein Pfeil, bey mir voruͤber eilen.
Jch dachte: Groſſer GOTT! wie ſcharff iſt der Ver-
ſtand,

Wie groß die ſinnende Beſchaffenheit,
Wie groß die Faͤhigkeit,
Die mit dem menſchlichen Geſchlecht, bloß durch Dein Wort,
Sich fuͤget und verband;
Daß wir ſo ungeheure Laſten,
Mit hohlen Segeln, hohen Maſten,
Von einem zu dem andern Ort,
So leicht, bequem, geſchwinde,
Durch Huͤlffe wolgetheilter Winde,
So fuͤglich fortzubringen wiſſen;
Daß offt ein einzger Mann
Mit einer Hand das Schiff regieren kann,
Und waͤr’ es noch ſo groß.
Dies zeiget eine Groͤſſ’ in unſerm Geiſt,
Die wunderbar, die nicht begreifflich iſt.

Jndem mein Geiſt nun dieſes recht ermiſſt,
Und dieſe Hoheit der Gedancken
Mich faſt der Menſchlichkeit entreiſſt;
So lenckt’ ein anderer mich wieder
Jn die uns zugemeſſne Schrancken.
Er zeigte mir, indem die Menſchen weder Wind,
Noch Wetter, im geringſten nicht
Zu aͤndern maͤchtig ſind;
Wie wir zugleich ſo ſchwach, ſo klein,
Bey der geglaubten Groͤſſe, ſeyn.
Jn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="7">
              <pb facs="#f0221" n="189"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Schiff-Fahrt.</hi> </fw><lb/>
              <l>Die durch den &#x017F;chnellen Druck be&#x017F;cha&#x0364;umte Wellen theilen,</l><lb/>
              <l>Und o&#x0364;ffters, wie ein Pfeil, bey mir voru&#x0364;ber eilen.</l><lb/>
              <l>Jch dachte: Gro&#x017F;&#x017F;er GOTT! wie &#x017F;charff i&#x017F;t der Ver-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tand,</hi></l><lb/>
              <l>Wie groß die &#x017F;innende Be&#x017F;chaffenheit,</l><lb/>
              <l>Wie groß die Fa&#x0364;higkeit,</l><lb/>
              <l>Die mit dem men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlecht, bloß durch Dein Wort,</l><lb/>
              <l>Sich fu&#x0364;get und verband;</l><lb/>
              <l>Daß wir &#x017F;o ungeheure La&#x017F;ten,</l><lb/>
              <l>Mit hohlen Segeln, hohen Ma&#x017F;ten,</l><lb/>
              <l>Von einem zu dem andern Ort,</l><lb/>
              <l>So leicht, bequem, ge&#x017F;chwinde,</l><lb/>
              <l>Durch Hu&#x0364;lffe wolgetheilter Winde,</l><lb/>
              <l>So fu&#x0364;glich fortzubringen wi&#x017F;&#x017F;en;</l><lb/>
              <l>Daß offt ein einzger Mann</l><lb/>
              <l>Mit einer Hand das Schiff regieren kann,</l><lb/>
              <l>Und wa&#x0364;r&#x2019; es noch &#x017F;o groß.</l><lb/>
              <l>Dies zeiget eine Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;&#x2019; in un&#x017F;erm Gei&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Die wunderbar, die nicht begreifflich i&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Jndem mein Gei&#x017F;t nun die&#x017F;es recht ermi&#x017F;&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und die&#x017F;e Hoheit der Gedancken</l><lb/>
              <l>Mich fa&#x017F;t der Men&#x017F;chlichkeit entrei&#x017F;&#x017F;t;</l><lb/>
              <l>So lenckt&#x2019; ein anderer mich wieder</l><lb/>
              <l>Jn die uns zugeme&#x017F;&#x017F;ne Schrancken.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="9">
              <l>Er zeigte mir, indem die Men&#x017F;chen weder Wind,</l><lb/>
              <l>Noch Wetter, im gering&#x017F;ten nicht</l><lb/>
              <l>Zu a&#x0364;ndern ma&#x0364;chtig &#x017F;ind;</l><lb/>
              <l>Wie wir zugleich &#x017F;o &#x017F;chwach, &#x017F;o klein,</l><lb/>
              <l>Bey der geglaubten Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;eyn.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Jn-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0221] Die Schiff-Fahrt. Die durch den ſchnellen Druck beſchaͤumte Wellen theilen, Und oͤffters, wie ein Pfeil, bey mir voruͤber eilen. Jch dachte: Groſſer GOTT! wie ſcharff iſt der Ver- ſtand, Wie groß die ſinnende Beſchaffenheit, Wie groß die Faͤhigkeit, Die mit dem menſchlichen Geſchlecht, bloß durch Dein Wort, Sich fuͤget und verband; Daß wir ſo ungeheure Laſten, Mit hohlen Segeln, hohen Maſten, Von einem zu dem andern Ort, So leicht, bequem, geſchwinde, Durch Huͤlffe wolgetheilter Winde, So fuͤglich fortzubringen wiſſen; Daß offt ein einzger Mann Mit einer Hand das Schiff regieren kann, Und waͤr’ es noch ſo groß. Dies zeiget eine Groͤſſ’ in unſerm Geiſt, Die wunderbar, die nicht begreifflich iſt. Jndem mein Geiſt nun dieſes recht ermiſſt, Und dieſe Hoheit der Gedancken Mich faſt der Menſchlichkeit entreiſſt; So lenckt’ ein anderer mich wieder Jn die uns zugemeſſne Schrancken. Er zeigte mir, indem die Menſchen weder Wind, Noch Wetter, im geringſten nicht Zu aͤndern maͤchtig ſind; Wie wir zugleich ſo ſchwach, ſo klein, Bey der geglaubten Groͤſſe, ſeyn. Jn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/221
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/221>, abgerufen am 27.04.2024.