Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein grüner und beblühmter
Wasser-Graben.
Das Gras, durch den so nahen Safft,
Des Wassers, so sie tränckt, hat desto grössre Krafft,
Steht folglich in gedoppelt schöner Zier,
Jst länger, grüner, dicht- und schöner hier,
Als anderwerts das Gras. Man sieht durch helle Höh'n,
Und holden dunckel-grünen Tieffen,
Viel nettes Kräuter-Werck, voll bunter Blätter, stehen:
Die bald beschattet, bald im Licht,
Nachdem der Sonnen Glantz durch lange Blühte bricht,
Da denn das hohe Gras, auf dessen glatte Spitzen
Viel kleine Sonnen-Bilder blitzen,
Mit denen es sich lieblich reget,
Den Schatten auch zugleich beweget,
Und ein gefällig Spiel von Dämmrung, Licht und Nacht,
Die alle lieblich, grün, zur Lust der Augen macht.
Mein GOTT, mit welcher Lust wird Aug' und Hertz ge-
tränckt,
Wenn sich der Blick bald auf die Spitzen lenckt;
Die angenehm, verwirret und verschrenckt,
Bald in die dunckle Tieffen senckt,
Jn welchen tausend Seltenheiten
Jn grüner Dämmerung zu sehen seyn.
Es mischt sich wunder-schön ein mannigfalt'ger Schein,
Von Farben, Schatten, Licht und Glantz.
Kein mit der grösten Kunst geflochtner Crantz
Sieht lieblicher, sieht bunter aus,
Als dieses Grabens Rand. Es schien
An manchem Ort das holde Grün
So
Ein gruͤner und bebluͤhmter
Waſſer-Graben.
Das Gras, durch den ſo nahen Safft,
Des Waſſers, ſo ſie traͤnckt, hat deſto groͤſſre Krafft,
Steht folglich in gedoppelt ſchoͤner Zier,
Jſt laͤnger, gruͤner, dicht- und ſchoͤner hier,
Als anderwerts das Gras. Man ſieht durch helle Hoͤh’n,
Und holden dunckel-gruͤnen Tieffen,
Viel nettes Kraͤuter-Werck, voll bunter Blaͤtter, ſtehen:
Die bald beſchattet, bald im Licht,
Nachdem der Sonnen Glantz durch lange Bluͤhte bricht,
Da denn das hohe Gras, auf deſſen glatte Spitzen
Viel kleine Sonnen-Bilder blitzen,
Mit denen es ſich lieblich reget,
Den Schatten auch zugleich beweget,
Und ein gefaͤllig Spiel von Daͤmmrung, Licht und Nacht,
Die alle lieblich, gruͤn, zur Luſt der Augen macht.
Mein GOTT, mit welcher Luſt wird Aug’ und Hertz ge-
traͤnckt,
Wenn ſich der Blick bald auf die Spitzen lenckt;
Die angenehm, verwirret und verſchrenckt,
Bald in die dunckle Tieffen ſenckt,
Jn welchen tauſend Seltenheiten
Jn gruͤner Daͤmmerung zu ſehen ſeyn.
Es miſcht ſich wunder-ſchoͤn ein mannigfalt’ger Schein,
Von Farben, Schatten, Licht und Glantz.
Kein mit der groͤſten Kunſt geflochtner Crantz
Sieht lieblicher, ſieht bunter aus,
Als dieſes Grabens Rand. Es ſchien
An manchem Ort das holde Gruͤn
So
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0614" n="584"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Ein gru&#x0364;ner und beblu&#x0364;hmter<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er-Graben.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">D</hi>as Gras, durch den &#x017F;o nahen Safft,</l><lb/>
            <l>Des Wa&#x017F;&#x017F;ers, &#x017F;o &#x017F;ie tra&#x0364;nckt, hat de&#x017F;to gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;re Krafft,</l><lb/>
            <l>Steht folglich in gedoppelt &#x017F;cho&#x0364;ner Zier,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t la&#x0364;nger, gru&#x0364;ner, dicht- und &#x017F;cho&#x0364;ner hier,</l><lb/>
            <l>Als anderwerts das Gras. Man &#x017F;ieht durch helle Ho&#x0364;h&#x2019;n,</l><lb/>
            <l>Und holden dunckel-gru&#x0364;nen Tieffen,</l><lb/>
            <l>Viel nettes Kra&#x0364;uter-Werck, voll bunter Bla&#x0364;tter, &#x017F;tehen:</l><lb/>
            <l>Die bald be&#x017F;chattet, bald im Licht,</l><lb/>
            <l>Nachdem der Sonnen Glantz durch lange Blu&#x0364;hte bricht,</l><lb/>
            <l>Da denn das hohe Gras, auf de&#x017F;&#x017F;en glatte Spitzen</l><lb/>
            <l>Viel kleine Sonnen-Bilder blitzen,</l><lb/>
            <l>Mit denen es &#x017F;ich lieblich reget,</l><lb/>
            <l>Den Schatten auch zugleich beweget,</l><lb/>
            <l>Und ein gefa&#x0364;llig Spiel von Da&#x0364;mmrung, Licht und Nacht,</l><lb/>
            <l>Die alle lieblich, gru&#x0364;n, zur Lu&#x017F;t der Augen macht.</l><lb/>
            <l>Mein GOTT, mit welcher Lu&#x017F;t wird Aug&#x2019; und Hertz ge-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">tra&#x0364;nckt,</hi> </l><lb/>
            <l>Wenn &#x017F;ich der Blick bald auf die Spitzen lenckt;</l><lb/>
            <l>Die angenehm, verwirret und ver&#x017F;chrenckt,</l><lb/>
            <l>Bald in die dunckle Tieffen &#x017F;enckt,</l><lb/>
            <l>Jn welchen tau&#x017F;end Seltenheiten</l><lb/>
            <l>Jn gru&#x0364;ner Da&#x0364;mmerung zu &#x017F;ehen &#x017F;eyn.</l><lb/>
            <l>Es mi&#x017F;cht &#x017F;ich wunder-&#x017F;cho&#x0364;n ein mannigfalt&#x2019;ger Schein,</l><lb/>
            <l>Von Farben, Schatten, Licht und Glantz.</l><lb/>
            <l>Kein mit der gro&#x0364;&#x017F;ten Kun&#x017F;t geflochtner Crantz</l><lb/>
            <l>Sieht lieblicher, &#x017F;ieht bunter aus,</l><lb/>
            <l>Als die&#x017F;es Grabens Rand. Es &#x017F;chien</l><lb/>
            <l>An manchem Ort das holde Gru&#x0364;n</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0614] Ein gruͤner und bebluͤhmter Waſſer-Graben. Das Gras, durch den ſo nahen Safft, Des Waſſers, ſo ſie traͤnckt, hat deſto groͤſſre Krafft, Steht folglich in gedoppelt ſchoͤner Zier, Jſt laͤnger, gruͤner, dicht- und ſchoͤner hier, Als anderwerts das Gras. Man ſieht durch helle Hoͤh’n, Und holden dunckel-gruͤnen Tieffen, Viel nettes Kraͤuter-Werck, voll bunter Blaͤtter, ſtehen: Die bald beſchattet, bald im Licht, Nachdem der Sonnen Glantz durch lange Bluͤhte bricht, Da denn das hohe Gras, auf deſſen glatte Spitzen Viel kleine Sonnen-Bilder blitzen, Mit denen es ſich lieblich reget, Den Schatten auch zugleich beweget, Und ein gefaͤllig Spiel von Daͤmmrung, Licht und Nacht, Die alle lieblich, gruͤn, zur Luſt der Augen macht. Mein GOTT, mit welcher Luſt wird Aug’ und Hertz ge- traͤnckt, Wenn ſich der Blick bald auf die Spitzen lenckt; Die angenehm, verwirret und verſchrenckt, Bald in die dunckle Tieffen ſenckt, Jn welchen tauſend Seltenheiten Jn gruͤner Daͤmmerung zu ſehen ſeyn. Es miſcht ſich wunder-ſchoͤn ein mannigfalt’ger Schein, Von Farben, Schatten, Licht und Glantz. Kein mit der groͤſten Kunſt geflochtner Crantz Sieht lieblicher, ſieht bunter aus, Als dieſes Grabens Rand. Es ſchien An manchem Ort das holde Gruͤn So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/614
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/614>, abgerufen am 23.11.2024.