Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Verein. u. Untersch. Seel. u. Cörpers.
Dieselbige regieren unsren Willen,
Nachdem uns etwas scheint zuwider, und ersprießlich,
Vergnüglich, oder auch verdrießlich,
Als Gegenwürffe, die der Mensch verlangt und meidet,
Die er mit Wahl, Verstand und Freyheit unterscheidet.


Man spürt, daß unser Trieb und Wollen streitig sey.
Die Handlungen des Geists sind ohne Zwang und frey.
Der Leib nimmt andre Regeln an,
Und wird bewegt ohn Freyheit, sonder Wahl.
Die Seele, die der Sinn zu starck druckt, auf einmal,
Jst in der Leidenschafft dem Cörper unterthan;
Allein, wenn sie recht will, ist sie von ihm entbunden
Und folgt dem edlen Trieb. Ja, von den Lastern rein,
Kan gar die Leidenschafft nicht sträfflich mehr befunden,
Jn Tugend selbst verkehrt, selbst eine Tugend seyn,
Da grosse Gegenwürff' die wir offt vor uns finden,
Die Hertzen mit der reinsten Brunst entzünden.
Offt wird die Seele, wenn die Welt,
Die wir vor unsern Augen haben,
Jn der Betrachtung ihr so wundervoll gefällt,
Zum SCHOEPFFER, der nicht sichtbar ist, erhaben:
Sie setzet, ohn den Wust der Sinnen mehr zu achten,
Die reine Lust darinn, die Wahrheit zu betrachten.
Um-
N n 3
Von Verein. u. Unterſch. Seel. u. Coͤrpers.
Dieſelbige regieren unſren Willen,
Nachdem uns etwas ſcheint zuwider, und erſprießlich,
Vergnuͤglich, oder auch verdrießlich,
Als Gegenwuͤrffe, die der Menſch verlangt und meidet,
Die er mit Wahl, Verſtand und Freyheit unterſcheidet.


Man ſpuͤrt, daß unſer Trieb und Wollen ſtreitig ſey.
Die Handlungen des Geiſts ſind ohne Zwang und frey.
Der Leib nimmt andre Regeln an,
Und wird bewegt ohn Freyheit, ſonder Wahl.
Die Seele, die der Sinn zu ſtarck druckt, auf einmal,
Jſt in der Leidenſchafft dem Coͤrper unterthan;
Allein, wenn ſie recht will, iſt ſie von ihm entbunden
Und folgt dem edlen Trieb. Ja, von den Laſtern rein,
Kan gar die Leidenſchafft nicht ſtraͤfflich mehr befunden,
Jn Tugend ſelbſt verkehrt, ſelbſt eine Tugend ſeyn,
Da groſſe Gegenwuͤrff’ die wir offt vor uns finden,
Die Hertzen mit der reinſten Brunſt entzuͤnden.
Offt wird die Seele, wenn die Welt,
Die wir vor unſern Augen haben,
Jn der Betrachtung ihr ſo wundervoll gefaͤllt,
Zum SCHOEPFFER, der nicht ſichtbar iſt, erhaben:
Sie ſetzet, ohn den Wuſt der Sinnen mehr zu achten,
Die reine Luſt darinn, die Wahrheit zu betrachten.
Um-
N n 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0595" n="565"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Verein. u. Unter&#x017F;ch. Seel. u. Co&#x0364;rpers.</hi> </fw><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Die&#x017F;elbige regieren un&#x017F;ren Willen,</l><lb/>
                <l>Nachdem uns etwas &#x017F;cheint zuwider, und er&#x017F;prießlich,</l><lb/>
                <l>Vergnu&#x0364;glich, oder auch verdrießlich,</l><lb/>
                <l>Als Gegenwu&#x0364;rffe, die der Men&#x017F;ch verlangt und meidet,</l><lb/>
                <l>Die er mit Wahl, Ver&#x017F;tand und Freyheit unter&#x017F;cheidet.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an &#x017F;pu&#x0364;rt, daß un&#x017F;er Trieb und Wollen &#x017F;treitig &#x017F;ey.</l><lb/>
                <l>Die Handlungen des Gei&#x017F;ts &#x017F;ind ohne Zwang und frey.</l><lb/>
                <l>Der Leib nimmt andre Regeln an,</l><lb/>
                <l>Und wird bewegt ohn Freyheit, &#x017F;onder Wahl.</l><lb/>
                <l>Die Seele, die der Sinn zu &#x017F;tarck druckt, auf einmal,</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t in der Leiden&#x017F;chafft dem Co&#x0364;rper unterthan;</l><lb/>
                <l>Allein, wenn &#x017F;ie recht will, i&#x017F;t &#x017F;ie von ihm entbunden</l><lb/>
                <l>Und folgt dem edlen Trieb. Ja, von den La&#x017F;tern rein,</l><lb/>
                <l>Kan gar die Leiden&#x017F;chafft nicht &#x017F;tra&#x0364;fflich mehr befunden,</l><lb/>
                <l>Jn Tugend &#x017F;elb&#x017F;t verkehrt, &#x017F;elb&#x017F;t eine Tugend &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Da gro&#x017F;&#x017F;e Gegenwu&#x0364;rff&#x2019; die wir offt vor uns finden,</l><lb/>
                <l>Die Hertzen mit der rein&#x017F;ten Brun&#x017F;t entzu&#x0364;nden.</l><lb/>
                <l>Offt wird die Seele, wenn die Welt,</l><lb/>
                <l>Die wir vor un&#x017F;ern Augen haben,</l><lb/>
                <l>Jn der Betrachtung ihr &#x017F;o wundervoll gefa&#x0364;llt,</l><lb/>
                <l>Zum SCHOEPFFER, der nicht &#x017F;ichtbar i&#x017F;t, erhaben:</l><lb/>
                <l>Sie &#x017F;etzet, ohn den Wu&#x017F;t der Sinnen mehr zu achten,</l><lb/>
                <l>Die reine Lu&#x017F;t darinn, die Wahrheit zu betrachten.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">N n 3</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Um-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[565/0595] Von Verein. u. Unterſch. Seel. u. Coͤrpers. Dieſelbige regieren unſren Willen, Nachdem uns etwas ſcheint zuwider, und erſprießlich, Vergnuͤglich, oder auch verdrießlich, Als Gegenwuͤrffe, die der Menſch verlangt und meidet, Die er mit Wahl, Verſtand und Freyheit unterſcheidet. Man ſpuͤrt, daß unſer Trieb und Wollen ſtreitig ſey. Die Handlungen des Geiſts ſind ohne Zwang und frey. Der Leib nimmt andre Regeln an, Und wird bewegt ohn Freyheit, ſonder Wahl. Die Seele, die der Sinn zu ſtarck druckt, auf einmal, Jſt in der Leidenſchafft dem Coͤrper unterthan; Allein, wenn ſie recht will, iſt ſie von ihm entbunden Und folgt dem edlen Trieb. Ja, von den Laſtern rein, Kan gar die Leidenſchafft nicht ſtraͤfflich mehr befunden, Jn Tugend ſelbſt verkehrt, ſelbſt eine Tugend ſeyn, Da groſſe Gegenwuͤrff’ die wir offt vor uns finden, Die Hertzen mit der reinſten Brunſt entzuͤnden. Offt wird die Seele, wenn die Welt, Die wir vor unſern Augen haben, Jn der Betrachtung ihr ſo wundervoll gefaͤllt, Zum SCHOEPFFER, der nicht ſichtbar iſt, erhaben: Sie ſetzet, ohn den Wuſt der Sinnen mehr zu achten, Die reine Luſt darinn, die Wahrheit zu betrachten. Um- N n 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/595
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/595>, abgerufen am 29.06.2024.