So glaubet Brutus auch, bey finstrer Nacht, Jn dem Philippischen Gefilde, Als die gemeine Sorg' ihn voller Schwermuht macht, Ein schwartz Gespenst zu sehn, Und von dem Schrecken-Bilde Sein hartes Schicksal zu verstehn.
Ach! lasst uns denn, bestürtzt durch so viel Proben, schliessen, Daß unsre Seelen so gedencken müssen, Wann Geister, durch ihr hefftiges Bewegen, Der innern Sinnen Kräfft' erregen. Doch können wir uns nicht beschweren, Als ob die Sinnen uns betrügen, Sie können nicht was wahr, auch nicht was falsch ist, lehren, Sie sind nur blos bewegt. Was sie vom Vorwurff kriegen; Das geben sie zurück. Ob sie, voll Lust und Schrecken Gemähld' in uns erwecken; So muß der Mensch bemüht seyn zu ergründen, Das, welches wir durch sie empfinden. Und unser Urtheil blos allein, Jst am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen, Die unsre Sinnen uns vor Augen stellen, Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde seyn, So offte falsche Schlüsse fällen.
Wir mögen recht, wir mögen unrecht richten; Geschicht es alles blos in unsern Haupt allein.
Jst
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Von den Sitz der Sinnlichkeiten.
So glaubet Brutus auch, bey finſtrer Nacht, Jn dem Philippiſchen Gefilde, Als die gemeine Sorg’ ihn voller Schwermuht macht, Ein ſchwartz Geſpenſt zu ſehn, Und von dem Schrecken-Bilde Sein hartes Schickſal zu verſtehn.
Ach! laſſt uns denn, beſtuͤrtzt durch ſo viel Proben, ſchlieſſen, Daß unſre Seelen ſo gedencken muͤſſen, Wann Geiſter, durch ihr hefftiges Bewegen, Der innern Sinnen Kraͤfft’ erregen. Doch koͤnnen wir uns nicht beſchweren, Als ob die Sinnen uns betruͤgen, Sie koͤnnen nicht was wahr, auch nicht was falſch iſt, lehren, Sie ſind nur blos bewegt. Was ſie vom Vorwurff kriegen; Das geben ſie zuruͤck. Ob ſie, voll Luſt und Schrecken Gemaͤhld’ in uns erwecken; So muß der Menſch bemuͤht ſeyn zu ergruͤnden, Das, welches wir durch ſie empfinden. Und unſer Urtheil blos allein, Jſt am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen, Die unſre Sinnen uns vor Augen ſtellen, Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde ſeyn, So offte falſche Schluͤſſe faͤllen.
Wir moͤgen recht, wir moͤgen unrecht richten; Geſchicht es alles blos in unſern Haupt allein.
Jſt
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Von den Sitz der Sinnlichkeiten.
So glaubet Brutus auch, bey finſtrer Nacht,
Jn dem Philippiſchen Gefilde,
Als die gemeine Sorg’ ihn voller Schwermuht macht,
Ein ſchwartz Geſpenſt zu ſehn,
Und von dem Schrecken-Bilde
Sein hartes Schickſal zu verſtehn.
Ach! laſſt uns denn, beſtuͤrtzt durch ſo viel Proben, ſchlieſſen,
Daß unſre Seelen ſo gedencken muͤſſen,
Wann Geiſter, durch ihr hefftiges Bewegen,
Der innern Sinnen Kraͤfft’ erregen.
Doch koͤnnen wir uns nicht beſchweren,
Als ob die Sinnen uns betruͤgen,
Sie koͤnnen nicht was wahr, auch nicht was falſch iſt, lehren,
Sie ſind nur blos bewegt. Was ſie vom Vorwurff kriegen;
Das geben ſie zuruͤck. Ob ſie, voll Luſt und Schrecken
Gemaͤhld’ in uns erwecken;
So muß der Menſch bemuͤht ſeyn zu ergruͤnden,
Das, welches wir durch ſie empfinden.
Und unſer Urtheil blos allein,
Jſt am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen,
Die unſre Sinnen uns vor Augen ſtellen,
Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde ſeyn,
So offte falſche Schluͤſſe faͤllen.
Wir moͤgen recht, wir moͤgen unrecht richten;
Geſchicht es alles blos in unſern Haupt allein.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/549>, abgerufen am 05.06.2024.
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