Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Das alle Töne rein und deutlich wieder giebet,
Die eine kluge Hand auf selben ausgeübet;
Allein, was nützet doch der schönen Töne Klang?
Wenn diese Wunder-Kunst nicht einen Hörer findet,
Der den bezaubernden Gesang
Hört und beurtheilt und empfindet.
Dies ist die Seele nun, die dies Bewegen spürt,
Sie überleget sie, und wird durch sie gerührt.


Man irret sich hierinnen nicht,
Da der Verstand selbst überzeuglich spricht:
Das, was uns fühlen macht, durchaus nicht einerley
Mit den so zarten Geistern sey,
Und daß die heisse Feuchtigkeit,
Die in den Nerven rinnt,
Jm Hertzen kocht und wallt, sich im Gehirn verdünnt,
Gantz anderer Beschaffenheit.


Wann eine Lauten-Sait' ein weiser WEISE rühret;
So wird der Schlag, wodurch er sie belebt,
Wenn er sich bis ans Ohr erhebt,
Durch unsrer Nerven Gang biß ins Gehirn geführet.
Die Nerven nun sowol, als auch die Sait',
Jst bloß Materie, auf gleiche Art bewegt,
Die beyd' ein gleiches Zittern regt.
Allein heisst dies Empfindlichkeit?
Sind sie nun im Gehirn; so regt sich zwar
Desselben graues Marck, das, zärter als ein Haar,
Jn kleinen Fäden liegt, viel sanffter: doch deßwegen
Vermag man ihm mit Recht nichts sinnlichs beyzulegen.
Man
J i 3
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Das alle Toͤne rein und deutlich wieder giebet,
Die eine kluge Hand auf ſelben ausgeuͤbet;
Allein, was nuͤtzet doch der ſchoͤnen Toͤne Klang?
Wenn dieſe Wunder-Kunſt nicht einen Hoͤrer findet,
Der den bezaubernden Geſang
Hoͤrt und beurtheilt und empfindet.
Dies iſt die Seele nun, die dies Bewegen ſpuͤrt,
Sie uͤberleget ſie, und wird durch ſie geruͤhrt.


Man irret ſich hierinnen nicht,
Da der Verſtand ſelbſt uͤberzeuglich ſpricht:
Das, was uns fuͤhlen macht, durchaus nicht einerley
Mit den ſo zarten Geiſtern ſey,
Und daß die heiſſe Feuchtigkeit,
Die in den Nerven rinnt,
Jm Hertzen kocht und wallt, ſich im Gehirn verduͤnnt,
Gantz anderer Beſchaffenheit.


Wann eine Lauten-Sait’ ein weiſer WEISE ruͤhret;
So wird der Schlag, wodurch er ſie belebt,
Wenn er ſich bis ans Ohr erhebt,
Durch unſrer Nerven Gang biß ins Gehirn gefuͤhret.
Die Nerven nun ſowol, als auch die Sait’,
Jſt bloß Materie, auf gleiche Art bewegt,
Die beyd’ ein gleiches Zittern regt.
Allein heiſſt dies Empfindlichkeit?
Sind ſie nun im Gehirn; ſo regt ſich zwar
Deſſelben graues Marck, das, zaͤrter als ein Haar,
Jn kleinen Faͤden liegt, viel ſanffter: doch deßwegen
Vermag man ihm mit Recht nichts ſinnlichs beyzulegen.
Man
J i 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0531" n="501"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.</hi> </fw><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Das alle To&#x0364;ne rein und deutlich wieder giebet,</l><lb/>
                <l>Die eine kluge Hand auf &#x017F;elben ausgeu&#x0364;bet;</l><lb/>
                <l>Allein, was nu&#x0364;tzet doch der &#x017F;cho&#x0364;nen To&#x0364;ne Klang?</l><lb/>
                <l>Wenn die&#x017F;e Wunder-Kun&#x017F;t nicht einen Ho&#x0364;rer findet,</l><lb/>
                <l>Der den bezaubernden Ge&#x017F;ang</l><lb/>
                <l>Ho&#x0364;rt und beurtheilt und empfindet.</l><lb/>
                <l>Dies i&#x017F;t die Seele nun, die dies Bewegen &#x017F;pu&#x0364;rt,</l><lb/>
                <l>Sie u&#x0364;berleget &#x017F;ie, und wird durch &#x017F;ie geru&#x0364;hrt.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an irret &#x017F;ich hierinnen nicht,</l><lb/>
                <l>Da der Ver&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;berzeuglich &#x017F;pricht:</l><lb/>
                <l>Das, was uns fu&#x0364;hlen macht, durchaus nicht einerley</l><lb/>
                <l>Mit den &#x017F;o zarten Gei&#x017F;tern &#x017F;ey,</l><lb/>
                <l>Und daß die hei&#x017F;&#x017F;e Feuchtigkeit,</l><lb/>
                <l>Die in den Nerven rinnt,</l><lb/>
                <l>Jm Hertzen kocht und wallt, &#x017F;ich im Gehirn verdu&#x0364;nnt,</l><lb/>
                <l>Gantz anderer Be&#x017F;chaffenheit.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>ann eine Lauten-Sait&#x2019; ein wei&#x017F;er WEISE ru&#x0364;hret;</l><lb/>
                <l>So wird der Schlag, wodurch er &#x017F;ie belebt,</l><lb/>
                <l>Wenn er &#x017F;ich bis ans Ohr erhebt,</l><lb/>
                <l>Durch un&#x017F;rer Nerven Gang biß ins Gehirn gefu&#x0364;hret.</l><lb/>
                <l>Die Nerven nun &#x017F;owol, als auch die Sait&#x2019;,</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t bloß Materie, auf gleiche Art bewegt,</l><lb/>
                <l>Die beyd&#x2019; ein gleiches Zittern regt.</l><lb/>
                <l>Allein hei&#x017F;&#x017F;t dies Empfindlichkeit?</l><lb/>
                <l>Sind &#x017F;ie nun im Gehirn; &#x017F;o regt &#x017F;ich zwar</l><lb/>
                <l>De&#x017F;&#x017F;elben graues Marck, das, za&#x0364;rter als ein Haar,</l><lb/>
                <l>Jn kleinen Fa&#x0364;den liegt, viel &#x017F;anffter: doch deßwegen</l><lb/>
                <l>Vermag man ihm mit Recht nichts &#x017F;innlichs beyzulegen.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">J i 3</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Man</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501/0531] Von dem Sitz der Sinnlichkeiten. Das alle Toͤne rein und deutlich wieder giebet, Die eine kluge Hand auf ſelben ausgeuͤbet; Allein, was nuͤtzet doch der ſchoͤnen Toͤne Klang? Wenn dieſe Wunder-Kunſt nicht einen Hoͤrer findet, Der den bezaubernden Geſang Hoͤrt und beurtheilt und empfindet. Dies iſt die Seele nun, die dies Bewegen ſpuͤrt, Sie uͤberleget ſie, und wird durch ſie geruͤhrt. Man irret ſich hierinnen nicht, Da der Verſtand ſelbſt uͤberzeuglich ſpricht: Das, was uns fuͤhlen macht, durchaus nicht einerley Mit den ſo zarten Geiſtern ſey, Und daß die heiſſe Feuchtigkeit, Die in den Nerven rinnt, Jm Hertzen kocht und wallt, ſich im Gehirn verduͤnnt, Gantz anderer Beſchaffenheit. Wann eine Lauten-Sait’ ein weiſer WEISE ruͤhret; So wird der Schlag, wodurch er ſie belebt, Wenn er ſich bis ans Ohr erhebt, Durch unſrer Nerven Gang biß ins Gehirn gefuͤhret. Die Nerven nun ſowol, als auch die Sait’, Jſt bloß Materie, auf gleiche Art bewegt, Die beyd’ ein gleiches Zittern regt. Allein heiſſt dies Empfindlichkeit? Sind ſie nun im Gehirn; ſo regt ſich zwar Deſſelben graues Marck, das, zaͤrter als ein Haar, Jn kleinen Faͤden liegt, viel ſanffter: doch deßwegen Vermag man ihm mit Recht nichts ſinnlichs beyzulegen. Man J i 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/531
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/531>, abgerufen am 16.07.2024.