Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Gesicht.
Als zarte Fäden, dünne Dünste,
Auswertig zarte Rind', unsichtbare Gespinste,
Die Töne, Licht und Farben uns formiren,
Dadurch, daß sie ohn' daß wir es verspüren,
Das Werckzeug bloß allein berühren.


Allein, wie fuss't man sich auf solchen eitlen Grillen?
Warum wil man das Gantz der Lüffte
Mit fliegenden Chymeren füllen?
Wer solte doch die leichten Düffte
Der unfühlbahren Bilder führen?
Wer sie, so in der Näh' als in der Fern, regieren?
Und wie kan doch ein Werck, das voll Zerbrechlichkeiten,
Bis ins Gehirn sich einen Weg bereiten,
Ohn' aus einander sich zu setzen
Und seine Theile zu verletzen?


Auf! lasset uns mit Ernst das Auge, das so schön,
Das GOTT so Weisheits-voll gebildet hat, besehn!
Es ist recht wie ein Glas durchsichtig, rein,
Ja eigentlich bereitet zum Gesicht.
Es hüllen es die Augen-Lieder ein,
Es dringt darein offt mehr, offt minder Licht.
Sechs Muskeln dienen ihm, wodurch es sich bewegt,
Es macht sich platt, verlängt sich, hellt sich, sencket,
Und fügt sich so, üm besser zu empfangen
Die Züge, die bald starck, bald schwach aus Cörpern gehn,
Die wir verlangen
Anzusehn.
Der
Von dem Geſicht.
Als zarte Faͤden, duͤnne Duͤnſte,
Auswertig zarte Rind’, unſichtbare Geſpinſte,
Die Toͤne, Licht und Farben uns formiren,
Dadurch, daß ſie ohn’ daß wir es verſpuͤren,
Das Werckzeug bloß allein beruͤhren.


Allein, wie fuſſ’t man ſich auf ſolchen eitlen Grillen?
Warum wil man das Gantz der Luͤffte
Mit fliegenden Chymeren fuͤllen?
Wer ſolte doch die leichten Duͤffte
Der unfuͤhlbahren Bilder fuͤhren?
Wer ſie, ſo in der Naͤh’ als in der Fern, regieren?
Und wie kan doch ein Werck, das voll Zerbrechlichkeiten,
Bis ins Gehirn ſich einen Weg bereiten,
Ohn’ aus einander ſich zu ſetzen
Und ſeine Theile zu verletzen?


Auf! laſſet uns mit Ernſt das Auge, das ſo ſchoͤn,
Das GOTT ſo Weisheits-voll gebildet hat, beſehn!
Es iſt recht wie ein Glas durchſichtig, rein,
Ja eigentlich bereitet zum Geſicht.
Es huͤllen es die Augen-Lieder ein,
Es dringt darein offt mehr, offt minder Licht.
Sechs Muskeln dienen ihm, wodurch es ſich bewegt,
Es macht ſich platt, verlaͤngt ſich, hellt ſich, ſencket,
Und fuͤgt ſich ſo, uͤm beſſer zu empfangen
Die Zuͤge, die bald ſtarck, bald ſchwach aus Coͤrpern gehn,
Die wir verlangen
Anzuſehn.
Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0493" n="463"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Ge&#x017F;icht.</hi> </fw><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Als zarte Fa&#x0364;den, du&#x0364;nne Du&#x0364;n&#x017F;te,</l><lb/>
                <l>Auswertig zarte Rind&#x2019;, un&#x017F;ichtbare Ge&#x017F;pin&#x017F;te,</l><lb/>
                <l>Die To&#x0364;ne, Licht und Farben uns formiren,</l><lb/>
                <l>Dadurch, daß &#x017F;ie ohn&#x2019; daß wir es ver&#x017F;pu&#x0364;ren,</l><lb/>
                <l>Das Werckzeug bloß allein beru&#x0364;hren.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">A</hi>llein, wie fu&#x017F;&#x017F;&#x2019;t man &#x017F;ich auf &#x017F;olchen eitlen Grillen?</l><lb/>
                <l>Warum wil man das Gantz der Lu&#x0364;ffte</l><lb/>
                <l>Mit fliegenden Chymeren fu&#x0364;llen?</l><lb/>
                <l>Wer &#x017F;olte doch die leichten Du&#x0364;ffte</l><lb/>
                <l>Der unfu&#x0364;hlbahren Bilder fu&#x0364;hren?</l><lb/>
                <l>Wer &#x017F;ie, &#x017F;o in der Na&#x0364;h&#x2019; als in der Fern, regieren?</l><lb/>
                <l>Und wie kan doch ein Werck, das voll Zerbrechlichkeiten,</l><lb/>
                <l>Bis ins Gehirn &#x017F;ich einen Weg bereiten,</l><lb/>
                <l>Ohn&#x2019; aus einander &#x017F;ich zu &#x017F;etzen</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;eine Theile zu verletzen?</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">A</hi>uf! la&#x017F;&#x017F;et uns mit Ern&#x017F;t <hi rendition="#fr">das Auge,</hi> das &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
                <l>Das GOTT &#x017F;o Weisheits-voll gebildet hat, be&#x017F;ehn!</l><lb/>
                <l>Es i&#x017F;t recht wie ein Glas durch&#x017F;ichtig, rein,</l><lb/>
                <l>Ja eigentlich bereitet zum Ge&#x017F;icht.</l><lb/>
                <l>Es hu&#x0364;llen es die Augen-Lieder ein,</l><lb/>
                <l>Es dringt darein offt mehr, offt minder Licht.</l><lb/>
                <l>Sechs Muskeln dienen ihm, wodurch es &#x017F;ich bewegt,</l><lb/>
                <l>Es macht &#x017F;ich platt, verla&#x0364;ngt &#x017F;ich, hellt &#x017F;ich, &#x017F;encket,</l><lb/>
                <l>Und fu&#x0364;gt &#x017F;ich &#x017F;o, u&#x0364;m be&#x017F;&#x017F;er zu empfangen</l><lb/>
                <l>Die Zu&#x0364;ge, die bald &#x017F;tarck, bald &#x017F;chwach aus Co&#x0364;rpern gehn,</l><lb/>
                <l>Die wir verlangen</l><lb/>
                <l>Anzu&#x017F;ehn.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0493] Von dem Geſicht. Als zarte Faͤden, duͤnne Duͤnſte, Auswertig zarte Rind’, unſichtbare Geſpinſte, Die Toͤne, Licht und Farben uns formiren, Dadurch, daß ſie ohn’ daß wir es verſpuͤren, Das Werckzeug bloß allein beruͤhren. Allein, wie fuſſ’t man ſich auf ſolchen eitlen Grillen? Warum wil man das Gantz der Luͤffte Mit fliegenden Chymeren fuͤllen? Wer ſolte doch die leichten Duͤffte Der unfuͤhlbahren Bilder fuͤhren? Wer ſie, ſo in der Naͤh’ als in der Fern, regieren? Und wie kan doch ein Werck, das voll Zerbrechlichkeiten, Bis ins Gehirn ſich einen Weg bereiten, Ohn’ aus einander ſich zu ſetzen Und ſeine Theile zu verletzen? Auf! laſſet uns mit Ernſt das Auge, das ſo ſchoͤn, Das GOTT ſo Weisheits-voll gebildet hat, beſehn! Es iſt recht wie ein Glas durchſichtig, rein, Ja eigentlich bereitet zum Geſicht. Es huͤllen es die Augen-Lieder ein, Es dringt darein offt mehr, offt minder Licht. Sechs Muskeln dienen ihm, wodurch es ſich bewegt, Es macht ſich platt, verlaͤngt ſich, hellt ſich, ſencket, Und fuͤgt ſich ſo, uͤm beſſer zu empfangen Die Zuͤge, die bald ſtarck, bald ſchwach aus Coͤrpern gehn, Die wir verlangen Anzuſehn. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/493
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/493>, abgerufen am 26.06.2024.