Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Was Natur und Wort eröffnet, scheint ein unbeseelter Laut, Dem die Schiffahrt ihres Lebens Mast und Ruder anvertrant Dieser Jrrthum schwächt den Muht, daß er ohne Kräfft ringet, Und nur bey der Demmerung die gelähmten Flügel schwinget, Daß er keinen Vorschmack fühlt der versprochnen Ewigkeit, Die den Saamen der Betrachtung in uns allen ausgestreut. Dieser Saame wuchert nun, Theurer Brocks, in Deine Schrifften, Uns so wohl als jene Welt weydest Du auf diesen Trifften, Seit Du zum Behuff der Andacht ein unsterblich Werck ve[r] faßt, Und zum Bau des innern Tempels Kalck und Stein geliefe[rt] hast. Tadelt nun, ihr Lästerer, der Poeten Sitten-Lehre, Daß ihr Weyhrauch den Altar reiner GOttes-Furcht entehre, Nennet sie ein Spiel der Worte, nennet sie der Jugend Pest[,] Die das Unkraut schnöder Lüste bey der Unschuld wurtzel läßt. Nennt sie ein Sirenen-Lied, eine Zauberey der Ohren, Wo die Wahrheit auf der Fahrt offt ihr Ancker-Seil verlohren Sprecht, daß Plato diese Klippen schon zu jener Zeit erkann[t,] Und die Tichter aus den Gräntzen seiner neuen Welt ve[r] bannt, Schaut hieher, und denn versucht, ob diß möglich sey zu glauben Jedes Blatt des Theuern Brocks wird der Schmähsucht St[a] chel rauben, Als auf dessen netten Zeilen man ein offnes Feld erblickt, Wo die Wahrheit mit der Tugend in Gesellschafft Bluhme pflückt. Jede schmückt und krönet ihn, jede sucht ihn liebzukosen, Sie bestreuen ihn mit Laub, sie bedecken ihn mit Rosen, Jhre Hände winden Kräntze, ihre Stimmen ruhen nie, Und durch so bewährte Zeugen steigt der Preiß der Poesie. Die[se]
Was Natur und Wort eroͤffnet, ſcheint ein unbeſeelter Laut, Dem die Schiffahrt ihres Lebens Maſt und Ruder anvertrant Dieſer Jrrthum ſchwaͤcht den Muht, daß er ohne Kraͤfft ringet, Und nur bey der Demmerung die gelaͤhmten Fluͤgel ſchwinget, Daß er keinen Vorſchmack fuͤhlt der verſprochnen Ewigkeit, Die den Saamen der Betrachtung in uns allen ausgeſtreut. Dieſer Saame wuchert nun, Theurer Brocks, in Deine Schrifften, Uns ſo wohl als jene Welt weydeſt Du auf dieſen Trifften, Seit Du zum Behuff der Andacht ein unſterblich Werck ve[r] faßt, Und zum Bau des innern Tempels Kalck und Stein geliefe[rt] haſt. Tadelt nun, ihr Laͤſterer, der Poeten Sitten-Lehre, Daß ihr Weyhrauch den Altar reiner GOttes-Furcht entehre, Nennet ſie ein Spiel der Worte, nennet ſie der Jugend Peſt[,] Die das Unkraut ſchnoͤder Luͤſte bey der Unſchuld wurtzel laͤßt. Nennt ſie ein Sirenen-Lied, eine Zauberey der Ohren, Wo die Wahrheit auf der Fahrt offt ihr Ancker-Seil verlohren Sprecht, daß Plato dieſe Klippen ſchon zu jener Zeit erkann[t,] Und die Tichter aus den Graͤntzen ſeiner neuen Welt ve[r] bannt, Schaut hieher, und denn verſucht, ob diß moͤglich ſey zu glauben Jedes Blatt des Theuern Brocks wird der Schmaͤhſucht St[a] chel rauben, Als auf deſſen netten Zeilen man ein offnes Feld erblickt, Wo die Wahrheit mit der Tugend in Geſellſchafft Bluhme pfluͤckt. Jede ſchmuͤckt und kroͤnet ihn, jede ſucht ihn liebzukoſen, Sie beſtreuen ihn mit Laub, ſie bedecken ihn mit Roſen, Jhre Haͤnde winden Kraͤntze, ihre Stimmen ruhen nie, Und durch ſo bewaͤhrte Zeugen ſteigt der Preiß der Poeſie. Die[ſe]
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0022"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <l>Was Natur und Wort eroͤffnet, ſcheint ein unbeſeelter Laut,</l><lb/> <l>Dem die Schiffahrt ihres Lebens Maſt und Ruder anvertrant</l><lb/> <l>Dieſer Jrrthum ſchwaͤcht den Muht, daß er ohne Kraͤfft</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ringet,</hi> </l><lb/> <l>Und nur bey der Demmerung die gelaͤhmten Fluͤgel ſchwinget,</l><lb/> <l>Daß er keinen Vorſchmack fuͤhlt der verſprochnen Ewigkeit,</l><lb/> <l>Die den Saamen der Betrachtung in uns allen ausgeſtreut.</l><lb/> <l>Dieſer Saame wuchert nun, <hi rendition="#fr">Theurer Brocks,</hi> in Deine</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Schrifften,</hi> </l><lb/> <l>Uns ſo wohl als jene Welt weydeſt Du auf dieſen Trifften,</l><lb/> <l>Seit Du zum Behuff der Andacht ein unſterblich Werck ve<supplied>r</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">faßt,</hi> </l><lb/> <l>Und zum Bau des innern Tempels Kalck und Stein geliefe<supplied>rt</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">haſt.</hi> </l><lb/> <l>Tadelt nun, ihr Laͤſterer, der Poeten Sitten-Lehre,</l><lb/> <l>Daß ihr Weyhrauch den Altar reiner GOttes-Furcht entehre,</l><lb/> <l>Nennet ſie ein Spiel der Worte, nennet ſie der Jugend Peſt<supplied>,</supplied></l><lb/> <l>Die das Unkraut ſchnoͤder Luͤſte bey der Unſchuld wurtzel</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">laͤßt.</hi> </l><lb/> <l>Nennt ſie ein Sirenen-Lied, eine Zauberey der Ohren,</l><lb/> <l>Wo die Wahrheit auf der Fahrt offt ihr Ancker-Seil verlohren</l><lb/> <l>Sprecht, daß Plato dieſe Klippen ſchon zu jener Zeit erkann<supplied>t,</supplied></l><lb/> <l>Und die Tichter aus den Graͤntzen ſeiner neuen Welt ve<supplied>r</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">bannt,</hi> </l><lb/> <l>Schaut hieher, und denn verſucht, ob diß moͤglich ſey zu glauben</l><lb/> <l>Jedes Blatt des <hi rendition="#fr">Theuern Brocks</hi> wird der Schmaͤhſucht St<supplied>a</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">chel rauben,</hi> </l><lb/> <l>Als auf deſſen netten Zeilen man ein offnes Feld erblickt,</l><lb/> <l>Wo die Wahrheit mit der Tugend in Geſellſchafft Bluhme</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">pfluͤckt.</hi> </l><lb/> <l>Jede ſchmuͤckt und kroͤnet ihn, jede ſucht ihn liebzukoſen,</l><lb/> <l>Sie beſtreuen ihn mit Laub, ſie bedecken ihn mit Roſen,</l><lb/> <l>Jhre Haͤnde winden Kraͤntze, ihre Stimmen ruhen nie,</l><lb/> <l>Und durch ſo bewaͤhrte Zeugen ſteigt der Preiß der Poeſie.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die<supplied>ſe</supplied></fw><lb/> </lg> </div> </front> </text> </TEI> [0022]
Was Natur und Wort eroͤffnet, ſcheint ein unbeſeelter Laut,
Dem die Schiffahrt ihres Lebens Maſt und Ruder anvertrant
Dieſer Jrrthum ſchwaͤcht den Muht, daß er ohne Kraͤfft
ringet,
Und nur bey der Demmerung die gelaͤhmten Fluͤgel ſchwinget,
Daß er keinen Vorſchmack fuͤhlt der verſprochnen Ewigkeit,
Die den Saamen der Betrachtung in uns allen ausgeſtreut.
Dieſer Saame wuchert nun, Theurer Brocks, in Deine
Schrifften,
Uns ſo wohl als jene Welt weydeſt Du auf dieſen Trifften,
Seit Du zum Behuff der Andacht ein unſterblich Werck ver
faßt,
Und zum Bau des innern Tempels Kalck und Stein geliefert
haſt.
Tadelt nun, ihr Laͤſterer, der Poeten Sitten-Lehre,
Daß ihr Weyhrauch den Altar reiner GOttes-Furcht entehre,
Nennet ſie ein Spiel der Worte, nennet ſie der Jugend Peſt,
Die das Unkraut ſchnoͤder Luͤſte bey der Unſchuld wurtzel
laͤßt.
Nennt ſie ein Sirenen-Lied, eine Zauberey der Ohren,
Wo die Wahrheit auf der Fahrt offt ihr Ancker-Seil verlohren
Sprecht, daß Plato dieſe Klippen ſchon zu jener Zeit erkannt,
Und die Tichter aus den Graͤntzen ſeiner neuen Welt ver
bannt,
Schaut hieher, und denn verſucht, ob diß moͤglich ſey zu glauben
Jedes Blatt des Theuern Brocks wird der Schmaͤhſucht Sta
chel rauben,
Als auf deſſen netten Zeilen man ein offnes Feld erblickt,
Wo die Wahrheit mit der Tugend in Geſellſchafft Bluhme
pfluͤckt.
Jede ſchmuͤckt und kroͤnet ihn, jede ſucht ihn liebzukoſen,
Sie beſtreuen ihn mit Laub, ſie bedecken ihn mit Roſen,
Jhre Haͤnde winden Kraͤntze, ihre Stimmen ruhen nie,
Und durch ſo bewaͤhrte Zeugen ſteigt der Preiß der Poeſie.
Dieſe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |