Man hatte wohl gefast, daß die Materie Ein allgemeiner Grund zu allen Cörpern sey, Wenn man in tieffem Sinn sie nennt: Die Erstere; Aus ungeformter Erden Geschickt zu allerley, Und, ob sie gleich noch nichts, doch allerley zu werden. So wie ein roher Thon, der mancherley Gestallten Durch eines Künstlers Hand von gleicher Weis' erhalten. Der edlen Dichter Witz hatt' allzu wohl gefasst: Es sey der Stoff, so lang' er in der Rast Und unbeweget wär, Ein' Ursach sonder Folg', ein Grund, von Nutzen leer, Und daß Bewegung blos die Ordnung, Zier und Leben Jhm müsse geben. Sie sungen: Daß die dunckle Nacht Der Liebe Mutter sey, des Ursprungs aller Götter, Die alle Ding' hervorgebracht, Und allenthalben strahl': Daß die aus jener stamme. Sie sagten: Daß derselben süsse Flamme Voll Fruchtbarkeit, Aus Chaos gantz verworrner Dunckelheit, Die Welt befreyt; Und, durch ein glückliches Gesetz, die Kette Der Elementen wohl verbunden hätte; Daß ihrer Fackel Strahl das Licht hätt' angesteckt. Daß die Bewegung erst durch ihre Hand erweckt: Wodurch der Stoff erst aus einander gieng; Auch daß durch sie ein jedes Ding Sein' Ordnung und sein Maaß empfing.
Durch
Betrachtungen der Materie ꝛc.
Man hatte wohl gefaſt, daß die Materie Ein allgemeiner Grund zu allen Coͤrpern ſey, Wenn man in tieffem Sinn ſie nennt: Die Erſtere; Aus ungeformter Erden Geſchickt zu allerley, Und, ob ſie gleich noch nichts, doch allerley zu werden. So wie ein roher Thon, der mancherley Geſtallten Durch eines Kuͤnſtlers Hand von gleicher Weiſ’ erhalten. Der edlen Dichter Witz hatt’ allzu wohl gefaſſt: Es ſey der Stoff, ſo lang’ er in der Raſt Und unbeweget waͤr, Ein’ Urſach ſonder Folg’, ein Grund, von Nutzen leer, Und daß Bewegung blos die Ordnung, Zier und Leben Jhm muͤſſe geben. Sie ſungen: Daß die dunckle Nacht Der Liebe Mutter ſey, des Urſprungs aller Goͤtter, Die alle Ding’ hervorgebracht, Und allenthalben ſtrahl’: Daß die aus jener ſtamme. Sie ſagten: Daß derſelben ſuͤſſe Flamme Voll Fruchtbarkeit, Aus Chaos gantz verworrner Dunckelheit, Die Welt befreyt; Und, durch ein gluͤckliches Geſetz, die Kette Der Elementen wohl verbunden haͤtte; Daß ihrer Fackel Strahl das Licht haͤtt’ angeſteckt. Daß die Bewegung erſt durch ihre Hand erweckt: Wodurch der Stoff erſt aus einander gieng; Auch daß durch ſie ein jedes Ding Sein’ Ordnung und ſein Maaß empfing.
Durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0107"n="77"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Betrachtungen der Materie ꝛc.</hi></fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">M</hi>an hatte wohl gefaſt, daß die <hirendition="#fr">Materie</hi></l><lb/><l>Ein allgemeiner Grund zu allen Coͤrpern ſey,</l><lb/><l>Wenn man in tieffem Sinn ſie nennt: Die <hirendition="#fr">Erſtere;</hi></l><lb/><l>Aus ungeformter Erden</l><lb/><l>Geſchickt zu allerley,</l><lb/><l>Und, ob ſie gleich noch nichts, doch allerley zu werden.</l><lb/><l>So wie ein roher Thon, der mancherley Geſtallten</l><lb/><l>Durch eines Kuͤnſtlers Hand von gleicher Weiſ’ erhalten.</l><lb/><l>Der edlen Dichter Witz hatt’ allzu wohl gefaſſt:</l><lb/><l>Es ſey der Stoff, ſo lang’ er in der Raſt</l><lb/><l>Und unbeweget waͤr,</l><lb/><l>Ein’ Urſach ſonder Folg’, ein Grund, von Nutzen leer,</l><lb/><l>Und daß Bewegung blos die Ordnung, Zier und Leben</l><lb/><l>Jhm muͤſſe geben.</l><lb/><l>Sie ſungen: Daß die dunckle Nacht</l><lb/><l>Der Liebe Mutter ſey, des Urſprungs aller Goͤtter,</l><lb/><l>Die alle Ding’ hervorgebracht,</l><lb/><l>Und allenthalben ſtrahl’: Daß die aus jener ſtamme.</l><lb/><l>Sie ſagten: Daß derſelben ſuͤſſe Flamme</l><lb/><l>Voll Fruchtbarkeit,</l><lb/><l>Aus Chaos gantz verworrner Dunckelheit,</l><lb/><l>Die Welt befreyt;</l><lb/><l>Und, durch ein gluͤckliches Geſetz, die Kette</l><lb/><l>Der Elementen wohl verbunden haͤtte;</l><lb/><l>Daß ihrer Fackel Strahl das Licht haͤtt’ angeſteckt.</l><lb/><l>Daß die Bewegung erſt durch ihre Hand erweckt:</l><lb/><l>Wodurch der Stoff erſt aus einander gieng;</l><lb/><l>Auch daß durch ſie ein jedes Ding</l><lb/><l>Sein’ Ordnung und ſein Maaß empfing.</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Durch</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[77/0107]
Betrachtungen der Materie ꝛc.
Man hatte wohl gefaſt, daß die Materie
Ein allgemeiner Grund zu allen Coͤrpern ſey,
Wenn man in tieffem Sinn ſie nennt: Die Erſtere;
Aus ungeformter Erden
Geſchickt zu allerley,
Und, ob ſie gleich noch nichts, doch allerley zu werden.
So wie ein roher Thon, der mancherley Geſtallten
Durch eines Kuͤnſtlers Hand von gleicher Weiſ’ erhalten.
Der edlen Dichter Witz hatt’ allzu wohl gefaſſt:
Es ſey der Stoff, ſo lang’ er in der Raſt
Und unbeweget waͤr,
Ein’ Urſach ſonder Folg’, ein Grund, von Nutzen leer,
Und daß Bewegung blos die Ordnung, Zier und Leben
Jhm muͤſſe geben.
Sie ſungen: Daß die dunckle Nacht
Der Liebe Mutter ſey, des Urſprungs aller Goͤtter,
Die alle Ding’ hervorgebracht,
Und allenthalben ſtrahl’: Daß die aus jener ſtamme.
Sie ſagten: Daß derſelben ſuͤſſe Flamme
Voll Fruchtbarkeit,
Aus Chaos gantz verworrner Dunckelheit,
Die Welt befreyt;
Und, durch ein gluͤckliches Geſetz, die Kette
Der Elementen wohl verbunden haͤtte;
Daß ihrer Fackel Strahl das Licht haͤtt’ angeſteckt.
Daß die Bewegung erſt durch ihre Hand erweckt:
Wodurch der Stoff erſt aus einander gieng;
Auch daß durch ſie ein jedes Ding
Sein’ Ordnung und ſein Maaß empfing.
Durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/107>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.