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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Wir reden: du bist stumm, rus'st du mir ferner zu.
Ach höre, lieber Mensch! mit meinem stummen Munde
Lob' ich den Schöpfer mehr, als du.
Jch will nicht einst von meiner Schönheit sagen,
Worin der Vorzug ja unstreitig mir gebührt,
Nicht von dem lieblichen Geruche, der dich rührt;
Denn, wie mich deucht, so hör' ich dich schon fragen,
Und zwar nicht sonder Heftigkeit:
Armseligs Nichts, bey der Vollkommenheit,
So die Natur dich würdigt, dir zu schenken,
Kannst du gedenken?
Die Ahrt, wie ich gedenk', ist anders zwar, als deine,
Das geb' ich zu;
Alleine
Wofern auch du,
Wenn du mich siehst, nicht gleich dein Denken lenkest
Auf Den, Der uns gemacht,
Und an den Schöpfer nicht gedenkest,
Der uns so wunderbar hervor gebracht,
Der dir dein Wesen so, wie meines mir, gegeben;
So hast du, glaub' es mir, in deinem ganzen Leben
Nicht weniger als ich, so gut als nichts, gedacht.



Die

Wir reden: du biſt ſtumm, ruſ’ſt du mir ferner zu.
Ach hoͤre, lieber Menſch! mit meinem ſtummen Munde
Lob’ ich den Schoͤpfer mehr, als du.
Jch will nicht einſt von meiner Schoͤnheit ſagen,
Worin der Vorzug ja unſtreitig mir gebuͤhrt,
Nicht von dem lieblichen Geruche, der dich ruͤhrt;
Denn, wie mich deucht, ſo hoͤr’ ich dich ſchon fragen,
Und zwar nicht ſonder Heftigkeit:
Armſeligs Nichts, bey der Vollkommenheit,
So die Natur dich wuͤrdigt, dir zu ſchenken,
Kannſt du gedenken?
Die Ahrt, wie ich gedenk’, iſt anders zwar, als deine,
Das geb’ ich zu;
Alleine
Wofern auch du,
Wenn du mich ſiehſt, nicht gleich dein Denken lenkeſt
Auf Den, Der uns gemacht,
Und an den Schoͤpfer nicht gedenkeſt,
Der uns ſo wunderbar hervor gebracht,
Der dir dein Weſen ſo, wie meines mir, gegeben;
So haſt du, glaub’ es mir, in deinem ganzen Leben
Nicht weniger als ich, ſo gut als nichts, gedacht.



Die
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[59/0095] Wir reden: du biſt ſtumm, ruſ’ſt du mir ferner zu. Ach hoͤre, lieber Menſch! mit meinem ſtummen Munde Lob’ ich den Schoͤpfer mehr, als du. Jch will nicht einſt von meiner Schoͤnheit ſagen, Worin der Vorzug ja unſtreitig mir gebuͤhrt, Nicht von dem lieblichen Geruche, der dich ruͤhrt; Denn, wie mich deucht, ſo hoͤr’ ich dich ſchon fragen, Und zwar nicht ſonder Heftigkeit: Armſeligs Nichts, bey der Vollkommenheit, So die Natur dich wuͤrdigt, dir zu ſchenken, Kannſt du gedenken? Die Ahrt, wie ich gedenk’, iſt anders zwar, als deine, Das geb’ ich zu; Alleine Wofern auch du, Wenn du mich ſiehſt, nicht gleich dein Denken lenkeſt Auf Den, Der uns gemacht, Und an den Schoͤpfer nicht gedenkeſt, Der uns ſo wunderbar hervor gebracht, Der dir dein Weſen ſo, wie meines mir, gegeben; So haſt du, glaub’ es mir, in deinem ganzen Leben Nicht weniger als ich, ſo gut als nichts, gedacht. Die

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/95>, abgerufen am 28.03.2024.