Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.Die Tulpe. Mein Gärtner bracht' im Januario Mir eine Tulpe, die schon blüh'te, Die, Zeit und Frost zu Trotz, in dunklem Purpur glüh'te. Derselben Farben glänzten so, Daß sie dem gierigen Gesicht' (Als in der Dunkelheit ein schnell erblicktes Licht) Ein ganz allein geseh'ner Vorwurf war. Ach! Ey du lieber GOtt! ists möglich? das ist rar! Rief jeder, der sie sah: Ey das ist gar zu schön; Und kurz: Kein einziger vermogt sich satt zu sehn An dieser Bluhme frühen Pracht. Man nam so Blüht' als Laub, so Farb' als Form in acht, Und zwar mit grosser Lust und ungemeinem Fleiß, Da doch, wenn GOtt, wie itzt, uns Millionen schenket, Man an derselben Schmuck kaum einmal recht gedenket, Und nichts von Anmut, Lust, von Dank und Freuden weiß. Ach zeiget denn nur bloß der Mangel unsern Augen, Was Ueberfluß verbirgt? Jst wenig mehr, als viel? Hat uns'rer Sele Kraft nur ein so kurzes Ziel? Kann der Gewonheits-Dunst uns so zu blenden taugen, Daß wir, so bald uns GOtt viel giebet, nichts ermessen, Und, weil die Gabe groß, des Gebers ganz vergessen? Armsel'ge Creatur! bedaurens-wehrter Stand, Du bindest ja hiedurch, so viel an dir, die Hand Des milden Vaters selbst, daß sich Sein Gnaden-Fluß Statt Strom- nur Tropfen-weis' auf dich ergiessen muß. Ach mache du es doch, mein Herze, nicht also! Beschaue diese Bluhm' in ihrer Pracht; sey froh, Und danke GOtt, daß er in deinem Leben Dir
Die Tulpe. Mein Gaͤrtner bracht’ im Januario Mir eine Tulpe, die ſchon bluͤh’te, Die, Zeit und Froſt zu Trotz, in dunklem Purpur gluͤh’te. Derſelben Farben glaͤnzten ſo, Daß ſie dem gierigen Geſicht’ (Als in der Dunkelheit ein ſchnell erblicktes Licht) Ein ganz allein geſeh’ner Vorwurf war. Ach! Ey du lieber GOtt! iſts moͤglich? das iſt rar! Rief jeder, der ſie ſah: Ey das iſt gar zu ſchoͤn; Und kurz: Kein einziger vermogt ſich ſatt zu ſehn An dieſer Bluhme fruͤhen Pracht. Man nam ſo Bluͤht’ als Laub, ſo Farb’ als Form in acht, Und zwar mit groſſer Luſt und ungemeinem Fleiß, Da doch, wenn GOtt, wie itzt, uns Millionen ſchenket, Man an derſelben Schmuck kaum einmal recht gedenket, Und nichts von Anmut, Luſt, von Dank und Freuden weiß. Ach zeiget denn nur bloß der Mangel unſern Augen, Was Ueberfluß verbirgt? Jſt wenig mehr, als viel? Hat unſ’rer Sele Kraft nur ein ſo kurzes Ziel? Kann der Gewonheits-Dunſt uns ſo zu blenden taugen, Daß wir, ſo bald uns GOtt viel giebet, nichts ermeſſen, Und, weil die Gabe groß, des Gebers ganz vergeſſen? Armſel’ge Creatur! bedaurens-wehrter Stand, Du bindeſt ja hiedurch, ſo viel an dir, die Hand Des milden Vaters ſelbſt, daß ſich Sein Gnaden-Fluß Statt Strom- nur Tropfen-weiſ’ auf dich ergieſſen muß. Ach mache du es doch, mein Herze, nicht alſo! Beſchaue dieſe Bluhm’ in ihrer Pracht; ſey froh, Und danke GOtt, daß er in deinem Leben Dir
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Die Tulpe.
Mein Gaͤrtner bracht’ im Januario
Mir eine Tulpe, die ſchon bluͤh’te,
Die, Zeit und Froſt zu Trotz, in dunklem Purpur gluͤh’te.
Derſelben Farben glaͤnzten ſo,
Daß ſie dem gierigen Geſicht’
(Als in der Dunkelheit ein ſchnell erblicktes Licht)
Ein ganz allein geſeh’ner Vorwurf war.
Ach! Ey du lieber GOtt! iſts moͤglich? das iſt rar!
Rief jeder, der ſie ſah: Ey das iſt gar zu ſchoͤn;
Und kurz: Kein einziger vermogt ſich ſatt zu ſehn
An dieſer Bluhme fruͤhen Pracht.
Man nam ſo Bluͤht’ als Laub, ſo Farb’ als Form in acht,
Und zwar mit groſſer Luſt und ungemeinem Fleiß,
Da doch, wenn GOtt, wie itzt, uns Millionen ſchenket,
Man an derſelben Schmuck kaum einmal recht gedenket,
Und nichts von Anmut, Luſt, von Dank und Freuden weiß.
Ach zeiget denn nur bloß der Mangel unſern Augen,
Was Ueberfluß verbirgt? Jſt wenig mehr, als viel?
Hat unſ’rer Sele Kraft nur ein ſo kurzes Ziel?
Kann der Gewonheits-Dunſt uns ſo zu blenden taugen,
Daß wir, ſo bald uns GOtt viel giebet, nichts ermeſſen,
Und, weil die Gabe groß, des Gebers ganz vergeſſen?
Armſel’ge Creatur! bedaurens-wehrter Stand,
Du bindeſt ja hiedurch, ſo viel an dir, die Hand
Des milden Vaters ſelbſt, daß ſich Sein Gnaden-Fluß
Statt Strom- nur Tropfen-weiſ’ auf dich ergieſſen muß.
Ach mache du es doch, mein Herze, nicht alſo!
Beſchaue dieſe Bluhm’ in ihrer Pracht; ſey froh,
Und danke GOtt, daß er in deinem Leben
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