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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

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Da von Geschöpfen ja ein ruhiges Verweilen
Nicht mehr natürlich ist, als ein geschwindes Eilen.
Durch GOttes Willen fliesst so wol die rege Flut,
Als daß die Erd' in sich natürlich liegt und ruht.

Erwäg't nun die fast grause Kraft,
Die bloß allein dazu gehöret,
Den ganzen Erden-Ball, daß er geschwinder fähret,
Als eine Kugel, fort zu bringen!
Betrachtet eine Kraft, die durch ein stetes Schwingen
Viel tausend Cörper mit sich rafft,
Wovon verschied'ne noch viel tausend mal so groß!
Wer kann des Wesens Macht, das alles dieses fasst,
Erschaffen hat, erhält und träget,
Allgegenwärtig führt, beweget,
Und zwar
Daß alles sich in stiller Majestät,
Und stets unwandelbar in solcher Eile, dreht,
So unbegreiflich wunderbar
Jn solcher Ordnung leiten kann,
Ohn' einiges Erstaunen sehen!
Ach! wie verschwinden hier die kindischen Jdeen
Von einem alten Mann,
Womit so mancher Mensch erbärmlich sich getragen,
Und, da er sich dadurch ein Götzen-Bild gemacht,
Sich um die Gottheit selbst durch eig'ne Schuld gebracht!
Bedenke, lieber Mensch, um GOttes Willen,
Wie gröblich du gefel't! wie närrisch deine Grillen,
Die, fast wie Lucifern, dein eit'les Hirn erfüllt,
Da du, aus einem stolzen Triebe

Der
M 5

Da von Geſchoͤpfen ja ein ruhiges Verweilen
Nicht mehr natuͤrlich iſt, als ein geſchwindes Eilen.
Durch GOttes Willen flieſſt ſo wol die rege Flut,
Als daß die Erd’ in ſich natuͤrlich liegt und ruht.

Erwaͤg’t nun die faſt grauſe Kraft,
Die bloß allein dazu gehoͤret,
Den ganzen Erden-Ball, daß er geſchwinder faͤhret,
Als eine Kugel, fort zu bringen!
Betrachtet eine Kraft, die durch ein ſtetes Schwingen
Viel tauſend Coͤrper mit ſich rafft,
Wovon verſchied’ne noch viel tauſend mal ſo groß!
Wer kann des Weſens Macht, das alles dieſes faſſt,
Erſchaffen hat, erhaͤlt und traͤget,
Allgegenwaͤrtig fuͤhrt, beweget,
Und zwar
Daß alles ſich in ſtiller Majeſtaͤt,
Und ſtets unwandelbar in ſolcher Eile, dreht,
So unbegreiflich wunderbar
Jn ſolcher Ordnung leiten kann,
Ohn’ einiges Erſtaunen ſehen!
Ach! wie verſchwinden hier die kindiſchen Jdeen
Von einem alten Mann,
Womit ſo mancher Menſch erbaͤrmlich ſich getragen,
Und, da er ſich dadurch ein Goͤtzen-Bild gemacht,
Sich um die Gottheit ſelbſt durch eig’ne Schuld gebracht!
Bedenke, lieber Menſch, um GOttes Willen,
Wie groͤblich du gefel’t! wie naͤrriſch deine Grillen,
Die, faſt wie Lucifern, dein eit’les Hirn erfuͤllt,
Da du, aus einem ſtolzen Triebe

Der
M 5
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[185/0221] Da von Geſchoͤpfen ja ein ruhiges Verweilen Nicht mehr natuͤrlich iſt, als ein geſchwindes Eilen. Durch GOttes Willen flieſſt ſo wol die rege Flut, Als daß die Erd’ in ſich natuͤrlich liegt und ruht. Erwaͤg’t nun die faſt grauſe Kraft, Die bloß allein dazu gehoͤret, Den ganzen Erden-Ball, daß er geſchwinder faͤhret, Als eine Kugel, fort zu bringen! Betrachtet eine Kraft, die durch ein ſtetes Schwingen Viel tauſend Coͤrper mit ſich rafft, Wovon verſchied’ne noch viel tauſend mal ſo groß! Wer kann des Weſens Macht, das alles dieſes faſſt, Erſchaffen hat, erhaͤlt und traͤget, Allgegenwaͤrtig fuͤhrt, beweget, Und zwar Daß alles ſich in ſtiller Majeſtaͤt, Und ſtets unwandelbar in ſolcher Eile, dreht, So unbegreiflich wunderbar Jn ſolcher Ordnung leiten kann, Ohn’ einiges Erſtaunen ſehen! Ach! wie verſchwinden hier die kindiſchen Jdeen Von einem alten Mann, Womit ſo mancher Menſch erbaͤrmlich ſich getragen, Und, da er ſich dadurch ein Goͤtzen-Bild gemacht, Sich um die Gottheit ſelbſt durch eig’ne Schuld gebracht! Bedenke, lieber Menſch, um GOttes Willen, Wie groͤblich du gefel’t! wie naͤrriſch deine Grillen, Die, faſt wie Lucifern, dein eit’les Hirn erfuͤllt, Da du, aus einem ſtolzen Triebe Der M 5

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/221>, abgerufen am 29.03.2024.