Daß man von GOtt nichts sieht, nichts spricht, Daß Seine Werke niemand rühren. Denn, wär' ein Buch auch noch so schön; Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn, Der nicht einmal kann buchstabiren? Homerus und Virgilius, Die jeder, der sie liest, bewundern muß, Sieht einer, der nicht lesen kann, Gewiß mit keiner Lust, mit keinem Nutzen an. Der Kern, das geistige, so in den Schristen stecket, Jst ihnen nicht, die Hülsen nur, entdecket.
Willt du nun von des Schöpfers Wesen, Pracht, Allmacht, Weisheit, Glanz und Schein Nicht ewig unempfindlich seyn, Geliebter Mensch; so lern' um GOttes willen lesen! Du wirst, und zwar mit höchster Lust Und inn'rer Regung deiner Brust, Des Welt-Buchs Jnhalt bald verstehen; Du wirst mit fast halb-sel'gen Freuden An dieser Schrift die Sele weiden, Jm irdischen was Göttlichs sehen. Du wirst, so bald die schöne Welt Dir mit Vernunft und Lust gefällt, Jn ihren schönen äussern Rinden Den Schöpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.
Die Schrift ist wunderbar, sie übertrifft All' and're Schrift. Ein jeder Buchstab kann allein Ein ganzes Buch voll Weisheit seyn. Je mehr man nun die grossen Lettern sieht, Je mehr wird man dadurch ergetzet. Je mehr man sich damit bemüht,
Je
Daß man von GOtt nichts ſieht, nichts ſpricht, Daß Seine Werke niemand ruͤhren. Denn, waͤr’ ein Buch auch noch ſo ſchoͤn; Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn, Der nicht einmal kann buchſtabiren? Homerus und Virgilius, Die jeder, der ſie lieſt, bewundern muß, Sieht einer, der nicht leſen kann, Gewiß mit keiner Luſt, mit keinem Nutzen an. Der Kern, das geiſtige, ſo in den Schriſten ſtecket, Jſt ihnen nicht, die Huͤlſen nur, entdecket.
Willt du nun von des Schoͤpfers Weſen, Pracht, Allmacht, Weiſheit, Glanz und Schein Nicht ewig unempfindlich ſeyn, Geliebter Menſch; ſo lern’ um GOttes willen leſen! Du wirſt, und zwar mit hoͤchſter Luſt Und inn’rer Regung deiner Bruſt, Des Welt-Buchs Jnhalt bald verſtehen; Du wirſt mit faſt halb-ſel’gen Freuden An dieſer Schrift die Sele weiden, Jm irdiſchen was Goͤttlichs ſehen. Du wirſt, ſo bald die ſchoͤne Welt Dir mit Vernunft und Luſt gefaͤllt, Jn ihren ſchoͤnen aͤuſſern Rinden Den Schoͤpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.
Die Schrift iſt wunderbar, ſie uͤbertrifft All’ and’re Schrift. Ein jeder Buchſtab kann allein Ein ganzes Buch voll Weiſheit ſeyn. Je mehr man nun die groſſen Lettern ſieht, Je mehr wird man dadurch ergetzet. Je mehr man ſich damit bemuͤht,
Je
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="16"><l><pbfacs="#f0161"n="125"/>
Daß man von GOtt nichts ſieht, nichts ſpricht,</l><lb/><l>Daß Seine Werke niemand ruͤhren.</l><lb/><l>Denn, waͤr’ ein Buch auch noch ſo ſchoͤn;</l><lb/><l>Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn,</l><lb/><l>Der nicht einmal kann buchſtabiren?</l><lb/><l>Homerus und Virgilius,</l><lb/><l>Die jeder, der ſie lieſt, bewundern muß,</l><lb/><l>Sieht einer, der nicht leſen kann,</l><lb/><l>Gewiß mit keiner Luſt, mit keinem Nutzen an.</l><lb/><l>Der Kern, das geiſtige, ſo in den Schriſten ſtecket,</l><lb/><l>Jſt ihnen nicht, die Huͤlſen nur, entdecket.</l></lg><lb/><lgn="17"><l>Willt du nun von des Schoͤpfers Weſen,</l><lb/><l>Pracht, Allmacht, Weiſheit, Glanz und Schein</l><lb/><l>Nicht ewig unempfindlich ſeyn,</l><lb/><l>Geliebter Menſch; ſo lern’ um GOttes willen leſen!</l><lb/><l>Du wirſt, und zwar mit hoͤchſter Luſt</l><lb/><l>Und inn’rer Regung deiner Bruſt,</l><lb/><l>Des Welt-Buchs Jnhalt bald verſtehen;</l><lb/><l>Du wirſt mit faſt halb-ſel’gen Freuden</l><lb/><l>An dieſer Schrift die Sele weiden,</l><lb/><l>Jm irdiſchen was Goͤttlichs ſehen.</l><lb/><l>Du wirſt, ſo bald die ſchoͤne Welt</l><lb/><l>Dir mit Vernunft und Luſt gefaͤllt,</l><lb/><l>Jn ihren ſchoͤnen aͤuſſern Rinden</l><lb/><l>Den Schoͤpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.</l></lg><lb/><lgn="18"><l>Die Schrift iſt wunderbar, ſie uͤbertrifft</l><lb/><l>All’ and’re Schrift.</l><lb/><l>Ein jeder Buchſtab kann allein</l><lb/><l>Ein ganzes Buch voll Weiſheit ſeyn.</l><lb/><l>Je mehr man nun die groſſen Lettern ſieht,</l><lb/><l>Je mehr wird man dadurch ergetzet.</l><lb/><l>Je mehr man ſich damit bemuͤht,</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="catch">Je</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[125/0161]
Daß man von GOtt nichts ſieht, nichts ſpricht,
Daß Seine Werke niemand ruͤhren.
Denn, waͤr’ ein Buch auch noch ſo ſchoͤn;
Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn,
Der nicht einmal kann buchſtabiren?
Homerus und Virgilius,
Die jeder, der ſie lieſt, bewundern muß,
Sieht einer, der nicht leſen kann,
Gewiß mit keiner Luſt, mit keinem Nutzen an.
Der Kern, das geiſtige, ſo in den Schriſten ſtecket,
Jſt ihnen nicht, die Huͤlſen nur, entdecket.
Willt du nun von des Schoͤpfers Weſen,
Pracht, Allmacht, Weiſheit, Glanz und Schein
Nicht ewig unempfindlich ſeyn,
Geliebter Menſch; ſo lern’ um GOttes willen leſen!
Du wirſt, und zwar mit hoͤchſter Luſt
Und inn’rer Regung deiner Bruſt,
Des Welt-Buchs Jnhalt bald verſtehen;
Du wirſt mit faſt halb-ſel’gen Freuden
An dieſer Schrift die Sele weiden,
Jm irdiſchen was Goͤttlichs ſehen.
Du wirſt, ſo bald die ſchoͤne Welt
Dir mit Vernunft und Luſt gefaͤllt,
Jn ihren ſchoͤnen aͤuſſern Rinden
Den Schoͤpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.
Die Schrift iſt wunderbar, ſie uͤbertrifft
All’ and’re Schrift.
Ein jeder Buchſtab kann allein
Ein ganzes Buch voll Weiſheit ſeyn.
Je mehr man nun die groſſen Lettern ſieht,
Je mehr wird man dadurch ergetzet.
Je mehr man ſich damit bemuͤht,
Je
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/161>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.