Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß man von GOtt nichts sieht, nichts spricht,
Daß Seine Werke niemand rühren.
Denn, wär' ein Buch auch noch so schön;
Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn,
Der nicht einmal kann buchstabiren?
Homerus und Virgilius,
Die jeder, der sie liest, bewundern muß,
Sieht einer, der nicht lesen kann,
Gewiß mit keiner Lust, mit keinem Nutzen an.
Der Kern, das geistige, so in den Schristen stecket,
Jst ihnen nicht, die Hülsen nur, entdecket.

Willt du nun von des Schöpfers Wesen,
Pracht, Allmacht, Weisheit, Glanz und Schein
Nicht ewig unempfindlich seyn,
Geliebter Mensch; so lern' um GOttes willen lesen!
Du wirst, und zwar mit höchster Lust
Und inn'rer Regung deiner Brust,
Des Welt-Buchs Jnhalt bald verstehen;
Du wirst mit fast halb-sel'gen Freuden
An dieser Schrift die Sele weiden,
Jm irdischen was Göttlichs sehen.
Du wirst, so bald die schöne Welt
Dir mit Vernunft und Lust gefällt,
Jn ihren schönen äussern Rinden
Den Schöpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.
Die Schrift ist wunderbar, sie übertrifft
All' and're Schrift.
Ein jeder Buchstab kann allein
Ein ganzes Buch voll Weisheit seyn.
Je mehr man nun die grossen Lettern sieht,
Je mehr wird man dadurch ergetzet.
Je mehr man sich damit bemüht,

Je

Daß man von GOtt nichts ſieht, nichts ſpricht,
Daß Seine Werke niemand ruͤhren.
Denn, waͤr’ ein Buch auch noch ſo ſchoͤn;
Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn,
Der nicht einmal kann buchſtabiren?
Homerus und Virgilius,
Die jeder, der ſie lieſt, bewundern muß,
Sieht einer, der nicht leſen kann,
Gewiß mit keiner Luſt, mit keinem Nutzen an.
Der Kern, das geiſtige, ſo in den Schriſten ſtecket,
Jſt ihnen nicht, die Huͤlſen nur, entdecket.

Willt du nun von des Schoͤpfers Weſen,
Pracht, Allmacht, Weiſheit, Glanz und Schein
Nicht ewig unempfindlich ſeyn,
Geliebter Menſch; ſo lern’ um GOttes willen leſen!
Du wirſt, und zwar mit hoͤchſter Luſt
Und inn’rer Regung deiner Bruſt,
Des Welt-Buchs Jnhalt bald verſtehen;
Du wirſt mit faſt halb-ſel’gen Freuden
An dieſer Schrift die Sele weiden,
Jm irdiſchen was Goͤttlichs ſehen.
Du wirſt, ſo bald die ſchoͤne Welt
Dir mit Vernunft und Luſt gefaͤllt,
Jn ihren ſchoͤnen aͤuſſern Rinden
Den Schoͤpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.
Die Schrift iſt wunderbar, ſie uͤbertrifft
All’ and’re Schrift.
Ein jeder Buchſtab kann allein
Ein ganzes Buch voll Weiſheit ſeyn.
Je mehr man nun die groſſen Lettern ſieht,
Je mehr wird man dadurch ergetzet.
Je mehr man ſich damit bemuͤht,

Je
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="16">
            <l><pb facs="#f0161" n="125"/>
Daß man von GOtt nichts &#x017F;ieht, nichts &#x017F;pricht,</l><lb/>
            <l>Daß Seine Werke niemand ru&#x0364;hren.</l><lb/>
            <l>Denn, wa&#x0364;r&#x2019; ein Buch auch noch &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n;</l><lb/>
            <l>Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn,</l><lb/>
            <l>Der nicht einmal kann buch&#x017F;tabiren?</l><lb/>
            <l>Homerus und Virgilius,</l><lb/>
            <l>Die jeder, der &#x017F;ie lie&#x017F;t, bewundern muß,</l><lb/>
            <l>Sieht einer, der nicht le&#x017F;en kann,</l><lb/>
            <l>Gewiß mit keiner Lu&#x017F;t, mit keinem Nutzen an.</l><lb/>
            <l>Der Kern, das gei&#x017F;tige, &#x017F;o in den Schri&#x017F;ten &#x017F;tecket,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t ihnen nicht, die Hu&#x0364;l&#x017F;en nur, entdecket.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="17">
            <l>Willt du nun von des Scho&#x0364;pfers We&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Pracht, Allmacht, Wei&#x017F;heit, Glanz und Schein</l><lb/>
            <l>Nicht ewig unempfindlich &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Geliebter Men&#x017F;ch; &#x017F;o lern&#x2019; um GOttes willen le&#x017F;en!</l><lb/>
            <l>Du wir&#x017F;t, und zwar mit ho&#x0364;ch&#x017F;ter Lu&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Und inn&#x2019;rer Regung deiner Bru&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Des Welt-Buchs Jnhalt bald ver&#x017F;tehen;</l><lb/>
            <l>Du wir&#x017F;t mit fa&#x017F;t halb-&#x017F;el&#x2019;gen Freuden</l><lb/>
            <l>An die&#x017F;er Schrift die Sele weiden,</l><lb/>
            <l>Jm irdi&#x017F;chen was Go&#x0364;ttlichs &#x017F;ehen.</l><lb/>
            <l>Du wir&#x017F;t, &#x017F;o bald die &#x017F;cho&#x0364;ne Welt</l><lb/>
            <l>Dir mit Vernunft und Lu&#x017F;t gefa&#x0364;llt,</l><lb/>
            <l>Jn ihren &#x017F;cho&#x0364;nen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Rinden</l><lb/>
            <l>Den Scho&#x0364;pfer nicht allein, auch den Erhalter, finden.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="18">
            <l>Die Schrift i&#x017F;t wunderbar, &#x017F;ie u&#x0364;bertrifft</l><lb/>
            <l>All&#x2019; and&#x2019;re Schrift.</l><lb/>
            <l>Ein jeder Buch&#x017F;tab kann allein</l><lb/>
            <l>Ein ganzes Buch voll Wei&#x017F;heit &#x017F;eyn.</l><lb/>
            <l>Je mehr man nun die gro&#x017F;&#x017F;en Lettern &#x017F;ieht,</l><lb/>
            <l>Je mehr wird man dadurch ergetzet.</l><lb/>
            <l>Je mehr man &#x017F;ich damit bemu&#x0364;ht,</l><lb/>
            <l>
              <fw place="bottom" type="catch">Je</fw><lb/>
            </l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0161] Daß man von GOtt nichts ſieht, nichts ſpricht, Daß Seine Werke niemand ruͤhren. Denn, waͤr’ ein Buch auch noch ſo ſchoͤn; Wie kann der Jnhalt dem zu Herzen gehn, Der nicht einmal kann buchſtabiren? Homerus und Virgilius, Die jeder, der ſie lieſt, bewundern muß, Sieht einer, der nicht leſen kann, Gewiß mit keiner Luſt, mit keinem Nutzen an. Der Kern, das geiſtige, ſo in den Schriſten ſtecket, Jſt ihnen nicht, die Huͤlſen nur, entdecket. Willt du nun von des Schoͤpfers Weſen, Pracht, Allmacht, Weiſheit, Glanz und Schein Nicht ewig unempfindlich ſeyn, Geliebter Menſch; ſo lern’ um GOttes willen leſen! Du wirſt, und zwar mit hoͤchſter Luſt Und inn’rer Regung deiner Bruſt, Des Welt-Buchs Jnhalt bald verſtehen; Du wirſt mit faſt halb-ſel’gen Freuden An dieſer Schrift die Sele weiden, Jm irdiſchen was Goͤttlichs ſehen. Du wirſt, ſo bald die ſchoͤne Welt Dir mit Vernunft und Luſt gefaͤllt, Jn ihren ſchoͤnen aͤuſſern Rinden Den Schoͤpfer nicht allein, auch den Erhalter, finden. Die Schrift iſt wunderbar, ſie uͤbertrifft All’ and’re Schrift. Ein jeder Buchſtab kann allein Ein ganzes Buch voll Weiſheit ſeyn. Je mehr man nun die groſſen Lettern ſieht, Je mehr wird man dadurch ergetzet. Je mehr man ſich damit bemuͤht, Je

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/161
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/161>, abgerufen am 29.03.2024.