Wer kann von aller Hoheit, Pracht, Und von dem Wesen ird'scher Dinge, Ja selbst von unserm eig'nen Leben, Ein gleicher Ebenbild uns geben? Man kommt, man ruht nicht, man verschwindet, Und zwar fast unvermerkt, indem die Welt, Daß wir vergehen, nicht empfindet: Es sind stets and're da, die gleich, so bald wir scheiden, Die Stellen wiederum bekleiden. Betrachtet doch, ihr Menschen, was ich meyne, Und denket bey der Flut beständ'ger Flüchtigkeit: Wir alle währen eine kleine, Und uns're Ruh währt keine, Zeit.
Der Stral, der in die Höhe steiget, Vergnüget das Gesicht. Wenn er sich aber oben bricht, Und rauschend sich zum Fallen neiget; Vergnüg't er unser Ohr. Es können, die es lange hören, Mit Mühe sich des Schlaf's erwehren. Zuweilen unterbricht ein holes Plumpen Das klatschende Getös, indem es schlurfet, zischt, Und oft ein gurgelndes Gegluck darunter mischt, Wenn kleine weisse Wasser-Klumpen Jn die beschäumte Flut, Die gleichsam kocht, und nimmer ruht, Wie Stücke von geschliffenen Krystallen, Auf einmal schnell herunter fallen. Dieß Sprudeln, Lispeln, Schallen, Dieß murmelnde Getön Wird jedem, der es hör't, gefallen, Und suchet uns durch's Ohr ans Herz zu gehn.
Am Fuß der Röhre schäumt und hüpfet in der Flut Ein reines Weiß, das stets entstehet,
Stets
Wer kann von aller Hoheit, Pracht, Und von dem Weſen ird’ſcher Dinge, Ja ſelbſt von unſerm eig’nen Leben, Ein gleicher Ebenbild uns geben? Man kommt, man ruht nicht, man verſchwindet, Und zwar faſt unvermerkt, indem die Welt, Daß wir vergehen, nicht empfindet: Es ſind ſtets and’re da, die gleich, ſo bald wir ſcheiden, Die Stellen wiederum bekleiden. Betrachtet doch, ihr Menſchen, was ich meyne, Und denket bey der Flut beſtaͤnd’ger Fluͤchtigkeit: Wir alle waͤhren eine kleine, Und unſ’re Ruh waͤhrt keine, Zeit.
Der Stral, der in die Hoͤhe ſteiget, Vergnuͤget das Geſicht. Wenn er ſich aber oben bricht, Und rauſchend ſich zum Fallen neiget; Vergnuͤg’t er unſer Ohr. Es koͤnnen, die es lange hoͤren, Mit Muͤhe ſich des Schlaf’s erwehren. Zuweilen unterbricht ein holes Plumpen Das klatſchende Getoͤs, indem es ſchlurfet, ziſcht, Und oft ein gurgelndes Gegluck darunter miſcht, Wenn kleine weiſſe Waſſer-Klumpen Jn die beſchaͤumte Flut, Die gleichſam kocht, und nimmer ruht, Wie Stuͤcke von geſchliffenen Kryſtallen, Auf einmal ſchnell herunter fallen. Dieß Sprudeln, Liſpeln, Schallen, Dieß murmelnde Getoͤn Wird jedem, der es hoͤr’t, gefallen, Und ſuchet uns durch’s Ohr ans Herz zu gehn.
Am Fuß der Roͤhre ſchaͤumt und huͤpfet in der Flut Ein reines Weiß, das ſtets entſtehet,
Stets
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Wer kann von aller Hoheit, Pracht,
Und von dem Weſen ird’ſcher Dinge,
Ja ſelbſt von unſerm eig’nen Leben,
Ein gleicher Ebenbild uns geben?
Man kommt, man ruht nicht, man verſchwindet,
Und zwar faſt unvermerkt, indem die Welt,
Daß wir vergehen, nicht empfindet:
Es ſind ſtets and’re da, die gleich, ſo bald wir ſcheiden,
Die Stellen wiederum bekleiden.
Betrachtet doch, ihr Menſchen, was ich meyne,
Und denket bey der Flut beſtaͤnd’ger Fluͤchtigkeit:
Wir alle waͤhren eine kleine,
Und unſ’re Ruh waͤhrt keine, Zeit.
Der Stral, der in die Hoͤhe ſteiget,
Vergnuͤget das Geſicht.
Wenn er ſich aber oben bricht,
Und rauſchend ſich zum Fallen neiget;
Vergnuͤg’t er unſer Ohr.
Es koͤnnen, die es lange hoͤren,
Mit Muͤhe ſich des Schlaf’s erwehren.
Zuweilen unterbricht ein holes Plumpen
Das klatſchende Getoͤs, indem es ſchlurfet, ziſcht,
Und oft ein gurgelndes Gegluck darunter miſcht,
Wenn kleine weiſſe Waſſer-Klumpen
Jn die beſchaͤumte Flut,
Die gleichſam kocht, und nimmer ruht,
Wie Stuͤcke von geſchliffenen Kryſtallen,
Auf einmal ſchnell herunter fallen.
Dieß Sprudeln, Liſpeln, Schallen,
Dieß murmelnde Getoͤn
Wird jedem, der es hoͤr’t, gefallen,
Und ſuchet uns durch’s Ohr ans Herz zu gehn.
Am Fuß der Roͤhre ſchaͤumt und huͤpfet in der Flut
Ein reines Weiß, das ſtets entſtehet,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/148>, abgerufen am 21.11.2024.
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