Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich stürzte
die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Her¬
zogs, der mich betroffen und unwillig aufstehen hieß.
Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlaf¬
rock, den er sorgfältig über der Brust zusammen hielt.

Ich trug dem Herzoge Alles, was mir die Alte von
dem Selbstmorde des Uhlanen, von der Geschichte der
schönen Annerl erzählt hatte, so gedrängt vor, als es
die Noth erforderte, und flehte ihn wenigstens um den
Aufschub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um
ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn
Gnade unmöglich sey. -- Ach, Gnade, Gnade! rief ich
aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll
Rosen aus dem Busen zog; dieser Schleier, den ich auf
meinem Wege hierher gefunden, schien mir Gnade zu
verheißen.

Der Herzog griff mit Ungestüm nach dem Schleier,
und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in seinen
Händen und als ich die Worte aussprach, dieses arme
Mädchen ist ein Opfer falscher Ehrsucht; ein Vornehmer
hat sie verführt, und ihr die Ehe versprochen, ach, sie
ist so gut, daß sie lieber sterben will, als ihn nennen --
da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den

Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich ſtürzte
die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Her¬
zogs, der mich betroffen und unwillig aufſtehen hieß.
Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlaf¬
rock, den er ſorgfältig über der Bruſt zuſammen hielt.

Ich trug dem Herzoge Alles, was mir die Alte von
dem Selbſtmorde des Uhlanen, von der Geſchichte der
ſchönen Annerl erzählt hatte, ſo gedrängt vor, als es
die Noth erforderte, und flehte ihn wenigſtens um den
Aufſchub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um
ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn
Gnade unmöglich ſey. — Ach, Gnade, Gnade! rief ich
aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll
Roſen aus dem Buſen zog; dieſer Schleier, den ich auf
meinem Wege hierher gefunden, ſchien mir Gnade zu
verheißen.

Der Herzog griff mit Ungeſtüm nach dem Schleier,
und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in ſeinen
Händen und als ich die Worte ausſprach, dieſes arme
Mädchen iſt ein Opfer falſcher Ehrſucht; ein Vornehmer
hat ſie verführt, und ihr die Ehe verſprochen, ach, ſie
iſt ſo gut, daß ſie lieber ſterben will, als ihn nennen —
da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0067" n="57"/>
        <p>Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich &#x017F;türzte<lb/>
die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Her¬<lb/>
zogs, der mich betroffen und unwillig auf&#x017F;tehen hieß.<lb/>
Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlaf¬<lb/>
rock, den er &#x017F;orgfältig über der Bru&#x017F;t zu&#x017F;ammen hielt.</p><lb/>
        <p>Ich trug dem Herzoge Alles, was mir die Alte von<lb/>
dem Selb&#x017F;tmorde des Uhlanen, von der Ge&#x017F;chichte der<lb/>
&#x017F;chönen Annerl erzählt hatte, &#x017F;o gedrängt vor, als es<lb/>
die Noth erforderte, und flehte ihn wenig&#x017F;tens um den<lb/>
Auf&#x017F;chub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um<lb/>
ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn<lb/>
Gnade unmöglich &#x017F;ey. &#x2014; Ach, Gnade, Gnade! rief ich<lb/>
aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll<lb/>
Ro&#x017F;en aus dem Bu&#x017F;en zog; die&#x017F;er Schleier, den ich auf<lb/>
meinem Wege hierher gefunden, &#x017F;chien mir Gnade zu<lb/>
verheißen.</p><lb/>
        <p>Der Herzog griff mit Unge&#x017F;tüm nach dem Schleier,<lb/>
und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in &#x017F;einen<lb/>
Händen und als ich die Worte aus&#x017F;prach, die&#x017F;es arme<lb/>
Mädchen i&#x017F;t ein Opfer fal&#x017F;cher Ehr&#x017F;ucht; ein Vornehmer<lb/>
hat &#x017F;ie verführt, und ihr die Ehe ver&#x017F;prochen, ach, &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o gut, daß &#x017F;ie lieber &#x017F;terben will, als ihn nennen &#x2014;<lb/>
da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0067] Ich wartete nicht auf den Fähndrich; ich ſtürzte die Treppe hinauf, ich fiel nieder zu den Füßen des Her¬ zogs, der mich betroffen und unwillig aufſtehen hieß. Er hatte Stiefel und Sporen an, und doch einen Schlaf¬ rock, den er ſorgfältig über der Bruſt zuſammen hielt. Ich trug dem Herzoge Alles, was mir die Alte von dem Selbſtmorde des Uhlanen, von der Geſchichte der ſchönen Annerl erzählt hatte, ſo gedrängt vor, als es die Noth erforderte, und flehte ihn wenigſtens um den Aufſchub der Hinrichtung auf wenige Stunden und um ein ehrliches Grab für die beiden Unglücklichen an, wenn Gnade unmöglich ſey. — Ach, Gnade, Gnade! rief ich aus, indem ich den gefundenen weißen Schleier voll Roſen aus dem Buſen zog; dieſer Schleier, den ich auf meinem Wege hierher gefunden, ſchien mir Gnade zu verheißen. Der Herzog griff mit Ungeſtüm nach dem Schleier, und war heftig bewegt; er drückte den Schleier in ſeinen Händen und als ich die Worte ausſprach, dieſes arme Mädchen iſt ein Opfer falſcher Ehrſucht; ein Vornehmer hat ſie verführt, und ihr die Ehe verſprochen, ach, ſie iſt ſo gut, daß ſie lieber ſterben will, als ihn nennen — da unterbrach mich der Herzog mit Thränen in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/67
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/67>, abgerufen am 22.11.2024.